China-Experte Martin Welling zur Situation der katholischen Kirche in der Volksrepublik

"Ermahnt, verhört, bedroht"

Veröffentlicht am 23.05.2014 um 00:00 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 
Christen in China beim Gottesdienst.
Bild: © KNA
China

Sankt Augustin ‐ Am 24. Mai beten Katholiken in aller Welt für ihre Glaubensbrüder in China. Im Interview spricht Pater Martin Welling, Direktor des China-Zentrums der Steyler Missionare, über die Probleme und Perspektiven der katholischen Kirche in China.

  • Teilen:

Frage: Pater Welling, seit dem Jahr 2008 beten Katholiken in aller Welt alljährlich am 24. Mai für die katholische Kirche in China. Wie stellt sich deren Situation aktuell dar?

Welling: Die katholische Kirche in China versteht sich als eine Kirche. Dennoch ist die Kirche nach wie vor gespalten in eine offiziell registrierte "Patriotische Vereinigung" und eine Untergrundkirche, die wiederum in sich recht facettenreich ist. Die registrierten Kirchen sind starker staatlicher Kontrolle und zahlreichen Restriktionen ausgesetzt. Und natürlich steht die Untergrundkirche unter noch intensiverer Beobachtung. Immer wieder wird ihr kirchliches Personal mit Verhören und Arresten "ermutigt", der "Patriotischen Vereinigung" beizutreten. Zwar kann man insgesamt nicht von einer unmittelbaren Verfolgungssituation sprechen, doch die Bewegungsfreiheit für Katholiken ist in China erheblich eingeschränkt.

Frage: Wie muss man sich vor diesem Hintergrund das Leben eines Katholiken in China vorstellen?

Welling: Generell gilt: Verglichen mit anderen autoritären Staaten kann ein Katholik in China seinen Glauben relativ frei und offen leben - solange er nicht die Vorrangstellung der Kommunistischen Partei in Frage stellt oder Kritik am politischen und gesellschaftlichen System der Volksrepublik äußert. Wer sich jedoch gegen die Ziele der kommunistischen Politik stellt oder außerhalb kirchlicher Orte missionarisch tätig wird, muss damit rechnen, von der Polizei oder der Staatssicherheit - wie es beschönigend heißt - eine "Einladung zum Teetrinken" zu bekommen. Bei solchen Terminen wird der Betroffene dann je nach Anlass ermahnt, verhört, bedroht und bisweilen sogar in Haft genommen. Ziel des Regimes ist die absolute Kontrolle über die katholische Kirche und ihre größtmögliche Isolierung von der Weltkirche.

Pater Martin Welling ist seit 2012 Direktor des China-Zentrums der Steyler Missionare.
Bild: ©KNA

Pater Martin Welling ist seit 2012 Direktor des China-Zentrums der Steyler Missionare.

Frage: Hat sich an dieser Situation seit dem Amtsantritt von Papst Franziskus irgendetwas geändert?

Welling: Nein, bislang sind im Verhalten des Regimes gegenüber der Kirche keine Veränderungen erkennbar. Dies gilt im Übrigen auch für die generellen Beziehungen zwischen China und dem Heiligen Stuhl. Papst Franziskus hat sich öffentlich bislang nur einmal dazu geäußert. Anfang März sagte er der italienischen Zeitung "Corriere della Sera": "Wir sind China nahe. Ich habe dem Präsidenten Xi Jinping einen Brief geschrieben, als er gewählt wurde, drei Tage nach mir. Und er hat mir geantwortet. Es gibt einige Beziehungen. Es ist ein großes Volk, das ich liebe." Interessant waren die chinesischen Reaktionen auf diese Aussage: Der Vizepräsident der "Patriotischen Vereinigung" ermahnte den Papst einmal mehr, er solle sich nicht in die inneren Angelegenheiten Chinas einmischen. Von einem Neuanfang in den Beziehungen kann bislang also keine Rede sein.

Frage: Der kirchliche Gebetstag für die Katholiken in China bietet jedes Jahr Gelegenheit, die Situation der Kirche in China genauer in den Blick zu nehmen. Was können Katholiken hierzulande darüber hinaus für ihre Glaubensbrüder in der Volksrepublik tun?

Welling: Das Gebet und die weltweite Aufmerksamkeit sind eine wichtige spirituelle Hilfe. Die Katholiken in China wissen, dass die Weltkirche am 24. Mai auf sie schaut und ihnen den Rücken stärkt. Da das Regime den Katholiken fast alle internationalen Kontakte untersagt, ist es umso wichtiger zu zeigen, dass uns die Kirche in China nicht egal ist. Darüber hinaus kann ich jeden Katholiken, der als Tourist oder aus anderen Gründen nach China reist, nur dazu aufrufen, dort in die katholischen Kirchen zu gehen, ein Zeugnis für den Glauben zu geben und damit auch dem Respekt für die chinesische Kirche Ausdruck zu verleihen. Besuchen sie Gottesdienste und zeigen sie Solidarität mit den chinesischen Katholiken - in China und in Deutschland!

Frage: Wenige Tage nach dem Gebetstag ist der 25. Jahrestag des Massakers auf dem Platz des himmlischen Friedens. Damals, am 4. Juni 1989, schlug das kommunistische Regime die Demokratiebewegung in Peking mit unglaublicher Brutalität nieder. Sie selbst waren zu dieser Zeit als Missionar auf Taiwan. Was haben Sie von den Ereignissen mitbekommen?

Welling: Sehr viel, das taiwanesische Fernsehen hat damals fast den ganzen Tag berichtet. Die Menschen waren alle sehr aufgeregt; viele haben gedacht, dass China tatsächlich demokratisch werden könnte. Umso größer waren dann die Wut und die Trauer, als die Demokratiebewegung so brutal niedergeschlagen wurde.

Treu zum Papst: Ein Transparent chinesischer Christen bei einer Generealaudienz auf dem Petersplatz im Jahr 2006.
Bild: ©picture-alliance/ dpa

Treu zum Papst: Ein Transparent chinesischer Christen bei einer Generealaudienz auf dem Petersplatz im Jahr 2006.

Frage: Das Massaker ist in China bis heute ein Tabu. Gedenkveranstaltungen sind verboten, Bürgerrechtler und Intellektuelle werden regelmäßig vor dem Jahrestag mundtot gemacht oder weggesperrt. Warum ist das Regime mit Blick auf die Ereignisse von damals noch immer so nervös?

Welling: Die Geschichte der Demokratiebewegung und der dramatischen Ereignisse auf dem Platz des himmlischen Friedens ist bis heute nicht aufgearbeitet. Noch immer ist unklar, was damals genau passiert ist und wie viele Menschen wirklich getötet worden sind. Solange von staatlicher Seite versucht wird, die Erinnerung an den 4. Juni 1989 auszulöschen, kann es keine Aufarbeitung und damit auch keine Versöhnung geben. Vor allem die Menschen, die die dramatischen Ereignisse damals unmittelbar miterlebt haben, wollen endlich Aufklärung! Und weil das Regime das weiß und jegliche Form von Unruhen fürchtet, reagiert es entsprechend nervös: Dissidenten und Künstler werden vorsichtshalber eingesperrt, das Internet wird noch stärker kontrolliert als sonst – aber all das fordert Intellektuelle und die akademische Jugend umso mehr heraus, Aufklärung zu verlangen.

Frage: Heute, 25 Jahre nach den Ereignissen, ist China in weiten Teilen ein anderes Land: Wirtschaftlich und militärisch ist die Volksrepublik auf dem Weg zur Weltmacht, auch gesellschaftlich hat es enorme Veränderungen gegeben. Was denken Sie: Wie fragil ist die chinesische Gesellschaft heute? Wäre eine Entwicklung wie 1989 theoretisch wieder denkbar?

Welling: Wir haben zuletzt beim Arabischen Frühling gesehen, wie nervös die chinesische Staatsführung auf solche Ereignisse reagiert. Das Regime hat extrem aufgepasst, dass der Funke der Revolutionen in den arabischen Ländern nicht auf China übersprang. Das zeigt, dass die Regierung selbst offenbar mit der Möglichkeit öffentlicher Unruhen rechnet. Zwar muss man bewundernd zugeben, dass China in den vergangenen Jahrzehnten Großes erreicht hat, Fortschritt und Wohlstand sind überall sichtbar. Dennoch hat das Land heute enorme soziale Probleme, und viele dieser Probleme sind nicht ohne weiteres in den Griff zu bekommen. Um ein Beispiel zu nennen: Millionen Wanderarbeiter ziehen jedes Jahr vom Land in die Städte - diese oftmals extrem armen Menschen sehen den Wohlstand, der in den Städten herrscht, und sie spüren diese soziale Ungerechtigkeit. Dadurch entsteht ein enormer sozialer Sprengstoff. Darüber hinaus nehmen auch die demografischen Probleme in China immer mehr zu. Aufgrund der Ein-Kind-Politik fehlen Millionen Kinder, die demografischen und sozialen Lasten müssen deshalb von immer weniger jungen Menschen geschultert werden. Wenn die chinesische Führung diese Probleme nicht in den Griff bekommt, kann es über kurz oder lang durchaus zu Demonstrationen oder gar Aufständen kommen.

Zur Person

Pater Martin Welling SVD ist seit 2012 Direktor des China-Zentrums der Steyler Missionare in Sankt Augustin bei Bonn.
Von Steffen Zimmermann