Neues Buch zum Thema Menschlichkeit

Theologe Hartl: Werde mich aus Gebetshaus-Leitung zurückziehen

Veröffentlicht am 26.10.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Augsburg ‐ In seinem Buch will der Theologe Johannes Hartl aufzeigen, wie das "Leben anfangen könnte, wieder mehr nach Eden zu schmecken". Im Interview erklärt er, was das heißt und warum er sich aus der Leitung des Augsburger Gebetshauses zurückziehen will.

  • Teilen:

"Eden Culture – Ökologie des Herzens für ein neues Morgen" heißt das neue Buch des katholischen Theologen Johannes Hartl (42) aus Augsburg. Über sein Plädoyer für mehr Menschlichkeit spricht Hartl im Interview. Außerdem erklärt er seinen Rückzug aus der Gebetshaus-Leitung und spricht über sein Verhältnis zum Augsburger Bischof Bertram Meier.

Frage: Herr Hartl, Sie schreiben, jeder Mensch habe "seine ganz persönliche Geschichte vom Auszug aus dem Paradies". Wie geht Ihre?

Hartl: Ich glaube, dass es in der Kindheit jedes Menschen einen Moment gibt, der einen in seinem Urvertrauen herausfordert. So habe auch ich meine Geschichte, eine ganz private. Konkreter möchte ich nicht werden.

Frage: Was folgt denn aus dieser Erkenntnis?

Hartl: Die Frage, ob da eine Sehnsucht ist nach einem neuen Morgen. Darum geht mein Buch: In welcher Zukunft wollen wir leben? Dazu fächere ich drei Grundwerte des Menschlichen auf, die beschreiben, was wir zum menschlichen Leben brauchen.

Frage: Erklären Sie.

Hartl: Erstens geht es um Verbundenheit. Soziale Verbundenheit ist für das menschliche Wohlbefinden genauso entscheidend wie etwa die Ernährung. Einsamkeit ist genauso gefährlich wie Rauchen. Wir leben nun in einer Zeit, in der es an Verbundenheit zunehmend mangelt, wegen der Beschleunigung und der Digitalisierung. Wir haben es inzwischen mit einer Pandemie der Einsamkeit zu tun und mit einem massiven Anstieg von psychosomatischen Störungen. Mehr Verbundenheit mit anderen Menschen und auch sich selbst würde dagegen helfen.

Frage: Was ist der zweite Grundwert?

Hartl: Der Sinn. Wir können infolge der massiven Geschwindigkeit des Wissenszuwachses Informationen immer weniger tief verarbeiten. Das führt zu zwei Megatrends: Oberflächlichkeit und sich gegenseitig abschirmenden Diskursblasen. Sinn in einer Gesellschaft lebt aber davon, dass wir uns gemeinsam und tiefgreifend darüber verständigen, was gut und wahr ist.

Frage: Und drittens?

Hartl: Die Schönheit. Sie wird zunehmend im Namen von "form follows function" verdrängt. Gebäude etwa sollen oft nur noch eine Funktion erfüllen, verziert werden sie nicht mehr. Auch der Mangel an Schönheit führt zu weniger Wohlbefinden.

"Mehr"-Konferenz des katholisch-charismatischen Gebetshauses in Augsburg.
Bild: ©KNA (Archivbild)

Für gewöhnlich kamen zur "Mehr"-Konferenz des Augsburger Gebetshauses mehre Tausend Menschen. Im Januar soll es stattdessen eine "Weniger" geben.

Frage: Klingt nach "Früher war alles besser".

Hartl: Alle drei Wertedefizite sind Nebeneffekte des positiven Trends Fortschritt. Aber wir sollten im Blick behalten, welche Bereiche des menschlichen Herzens dadurch in Nichtbeachtung geraten können. Denn wir Menschen bewohnen nicht nur den äußeren Raum der Natur, sondern auch den sozialen der Herzen. Wenn wir nur CO2-neutral leben, aber Verbundenheit, Sinn und Schönheit verlieren, sterben wir auf andere Art aus.

Frage: Ihr Buch hat schon im Titel einen Religionsbezug. Was kann die Kirche für die "Eden Culture" tun?

Hartl: In der Kirche bedaure ich manchmal einen Mangel an Mut zur Exzellenz, ja fast eine Angst vor zu viel Professionalität. Es geht im Glauben nicht um Perfektionismus, keine Frage. Dennoch gilt: Die Schönheit der Form sollte von der Schönheit des Inhaltes zeugen.

Frage: Ein Beispiel?

Hartl: Bei meinen ersten Veranstaltungen stand ich vor der Frage: Darf da jeder Gitarre spielen oder nur die Person, die es am besten kann? Heute weiß ich: Wenn jemand spielt, dessen Gabe das nicht ist, leidet das Publikum – und auch der Spieler, der die Leute weggehen sieht.

Frage: Sie schreiben, nach einem Sabbatical wüssten Sie, Sie bräuchten "die großen Bühnen" nicht. Eine Rückzugsankündigung?

Hartl: Zurückziehen will ich mich aus der Öffentlichkeit nicht, ich wähle aber Termine gezielter aus. Gerade zieht es mich sehr zu Formaten, bei denen nichtgläubige Menschen zusammenkommen.

Frage: Weil die noch zu missionieren sind?

Hartl: Weil ich meine Themen in einen breiten Kontext setzen möchte. Aber klar bin ich – und das wird das Publikum spüren – ein gläubiger Mensch.

Bischof Bertram Meier
Bild: ©Bistum Augsburg/Bernd Müller

Die Zahlen, die Hartl versammele, seien beeindruckend, sagte der Augsburger Bischof Bertram Meier in einem Interview. Andererseits frage er sich, wie nachhaltig Events wie die "Mehr" seien. "Wir müssen im Gespräch bleiben, um der Menschen willen einander im Blick behalten und darauf achten, dass aus dem Gebetshaus nicht eine neue Art von Kirche entsteht." Man stehe in einem "sehr angenehmen Austausch", sagt Hartl.

Frage: Als solcher haben Sie 2005 das Augsburger Gebetshaus gegründet, das überregional bekannt dafür ist, dass darin rund um die Uhr gebetet wird. Was gibt es Neues von dort?

Hartl: Dort ziehe ich mich tatsächlich langsam aus dem exekutiven Alltagsgeschäft zurück. Es läuft ein Prozess, die Gebetshaus-Leitung auf mehr und jüngere Schultern zu verteilen. Das Gebetshaus soll langfristig bestehen, unabhängig von einer bestimmten Person.

Frage: Sie sind bekannt geworden durch christliche Massenveranstaltungen. Wie hat sich Corona darauf und mithin auf Ihr Geschäftsmodell ausgewirkt?

Hartl: Wir sind eine Plattform zur Kommunikation, zur Kommunikation gehört auch Partizipation, die äußert sich auch finanziell. Aber das ist kein Geschäftsmodell. Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht und unsere digitalen Angebote vergrößert. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht.

Frage: Das Analoge kommt aber wieder, wenn auch anders: Im Januar soll es statt der üblichen Christen-Konferenz "Mehr" in Augsburg eine "Weniger" geben.

Hartl: Genau, statt einer großen Veranstaltung gibt es zwei kleine, die inhaltlich identisch sind. Wir hätten es nicht genehmigt bekommen, wie zuletzt rund 12.000 Menschen zu empfangen. Entsprechend wollen wir auf der "Weniger" ein Programm von spirituellem Minimalismus anbieten und aufzeigen, wie man mit weniger Lärm und mehr Gott leben kann.

Frage: Wie sieht es mit weiteren Veranstaltungen aus?

Hartl: Unsere bisherige Augsburger "Schön"-Konferenz wird wohl künftig in einer "Eden Culture"-Konferenz aufgehen, um Schönheit mit Sinn und Verbundenheit zu vernetzen. Zudem steht das für August bei Landsberg am Lech geplante "Zimzum"-Jugendfestival auf der Kippe, weil zahlreiche Mitveranstalter nach zwei ausgefallenen Sommern erst mal wieder etwas Eigenes machen wollen.

Frage: Vor gut einem Jahr trat Bertram Meier als neuer Augsburger Bischof mit der Ansage an, ein besonderes Augenmerk auf das Gebetshaus richten zu wollen. Was merken Sie davon?

Hartl: Qualitativ hat sich nichts geändert, nur die E-Mails sind mehr geworden. Wir stehen in einem sehr angenehmen Austausch, der von Interesse und gegenseitiger Nichtvereinnahmung geprägt ist.

Von Christopher Beschnitt (KNA)

Buchtipp

Johannes Hartl: Eden Culture – Ökologie des Herzens für ein neues Morgen. Verlag Herder, Freiburg 2021, 304 Seiten, 24 Euro.