Lateinamerika-Kirchenversammlung: Jüngerinnen und Jünger im Aufbruch
Medellín, Puebla, Santo Domingo, Aparecida: Versammlungen der lateinamerikanischen Bischöfe haben durch neuartige Perspektiven und Herangehensweisen schon in der Vergangenheit die Weltkirche geprägt. Doch eine "Asamblea Eclesial" wie jene, die am vergangenen Sonntag mit einem Gottesdienst im Marienwallfahrtsort Guadalupe in der mexikanischen Hauptstadt Mexiko-Stadt eröffnet wurde, gab es noch nie: Sie steht im Kontext des weltweiten synodalen Prozesses – und bietet erstmals auch Laien und Ordensleuten einen Platz in den Beratungen.
Im Gebäude der mexikanischen Bischofskonferenz, dem Veranstaltungsgelände der kirchlichen Versammlung von Lateinamerika und der Karibik, ist der Versammlungstitel "Discípulos Misioneros en Salida" (zu Deutsch: "Wir alle sind Missionarische Jüngerinnen und Jünger im Aufbruch") allgegenwärtig. Er prangt von Plakat- und Leinwänden, Programmheften, Flyern und Bildschirmen jeder Größe; auch in der eigens komponierten, gleichnamigen Hymne mit professionell gedrehtem Musikvideo steht er im Mittelpunkt. Viele kirchennahe Radio- und Fernsehkanäle übertragen den Verlauf der Versammlung live, die Presseabteilung des Bischofsrats CELAM produziert täglich mehrmals kurze Nachrichtensendungen. Der Aufwand, der für die Durchführung dieses Großevents notwendig ist, macht klar: Der "Aufbruch" wird hier nicht nur geplant. Er ist schon längst im Gange.
Etappenziel einer langen Reise
So ist dieses Kirchentreffen keineswegs der Beginn großer Veränderungen; sie ist vielmehr das Etappenziel einer langen Reise, die schon vor rund einem Jahr begonnen hat. Auf allen Ebenen gab es vorab einen Prozess des gegenseitigen "Aufeinanderhörens". Zwischen Januar und November haben fast 70.000 Menschen ihre Gedanken zum Thema geteilt, berichtet Sr. Birgit Weiler vom Orden der missionsärztlichen Schwestern, die im peruanischen Lima Theologie lehrt und Teile der nun in Mexiko stattfindenden Versammlung mitgestaltet. Einzelpersonen, Pfarrgemeinden, Verbände und Bistümer erzählten im Vorfeld von ihren Erfahrungen – und hörten sich gegenseitig zu. Zum ersten Mal seien so viele diverse Stimmen aus der Kirche Lateinamerikas und der Karibik in so großem Umfang gesammelt worden, so die Theologin.
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Zahlreiche Kommissionen organisierten dieses "Aufeinanderhören" im Auftrag der jeweiligen Bischofskonferenzen. In lokalen oder regionalen Veranstaltungen brachten Laien ihre Eindrücke und Sorgen vor, während Bischöfe und Priester zunächst in die Rolle der Zuhörenden schlüpfen mussten – für so manchen eine neue Erfahrung. "Man betet, man spricht, man denkt nach, man diskutiert, man sucht den Willen Gottes", fasste Papst Franziskus das Vorgehen zusammen, das diese Vorbereitungstreffen ebenso prägte wie nun die Zusammenkunft in Mexiko-Stadt. Aus Rom verfolgt er die kirchliche Versammlung mit großem Interesse – und meldet sich immer wieder mit Handyvideos und Texten zu Wort.
Ein großer Aufwand für 95 anwesende Menschen, möchte man bei einem Blick in den Plenarsaal der mexikanischen Bischofskonferenz meinen. Doch die Bildschirme der Medienleute im Pressebereich erzählen eine andere Geschichte. Nur knapp zehn Prozent der Teilnehmenden sind wirklich vor Ort. Die Corona-Pandemie mit ihren gravierenden Folgen für Lateinamerika und die Karibik ist nicht nur ein zentrales Thema der Beratungen. Viele konnten gerade wegen der epidemischen Lage nicht anreisen. Präsent sind sie dennoch im Halbrund des Veranstaltungsraums – 984 Personen, zugeschaltet per Zoom aus allen Ländern Lateinamerikas und der Karibik.
Nicht frei von Polarisierungstendenzen
Sie bilden die ganze Bandbreite der dortigen Kirche ab – und sind trotz aller Differenzen daran interessiert, den "Aufbruch" mitzugestalten. Auch in Lateinamerika und der Karibik ist die Kirche nicht frei von Polarisierungstendenzen. Klare klassische Zuschreibungen im Sinne von "konservativ", "liberal", "befreiungstheologisch" oder "klerikal" treffen aber auf kaum einen Wortbeitrag zu. Vielmehr sind sich die Teilnehmenden bewusst, dass sie etwas zur Zukunft der Weltkirche beizutragen haben. "Wir können unsere Kultur und diese besondere Verbindung mit der Natur, dem 'gemeinsamen Haus', der Schöpfung einbringen", erzählt beispielsweise die Menschenrechtlerin Patricia Gualinga vom indigenen Volk der Kichwa aus Ecuador.
In Mexiko-Stadt wird derweil unter dem Dreiklang Sehen-Deuten-Handeln über Themen gesprochen, die nicht nur Menschen und Kirche in Lateinamerika und der Karibik betreffen: von Großstadtpastoral über die Pandemie als Zeichen epochaler Umbrüche, Migration, Gerechtigkeit und Wirtschaft, kulturelle Vielfalt, Armut, sexuellen Missbrauch in der Kirche, die volle Teilhabe von Frauen bis hin zur Säkularisierung geht es um Themen von weltweiter Bedeutung. Pfarrer Luis Miguel Modino, der für die lateinamerikanische Bischofskonferenz CELAM vor Ort die Pressearbeit begleitet, berichtet aus der Versammlung von häufig wiederkehrenden Fragen zur Zukunft der Jugendarbeit – und zum wachsenden Priestermangel. Lateinamerika ist zwar noch immer größtenteils katholisch geprägt, bei den nachwachsenden Generationen ist das aber längst nicht mehr selbstverständlich.
Auch viele Konflikte im Zusammenhang mit kultureller und spiritueller Vielfalt sind in der Kirche zwischen Atlantik und Pazifik nicht abschließend gelöst. "Schwarze Frauen werden in der Gesellschaft nicht als gleichwertig gesehen, auch in der Kirche", prangert die Vinzentinerin María Suyapa Cacho Álvarez aus Honduras an. Das gilt ähnlich auch für die "Kirche mit amazonischem Antlitz" und andere Regionen mit hohem indigenen Bevölkerungsanteil. Der gegenseitige Respekt für Kultur und Spiritualität ist häufig noch nicht selbstverständlich, Rassismus häufig anzutreffen. Der Erfolg der kirchlichen Versammlung wird am Ende auch daran gemessen werden, ob sie glaubwürdige Lösungsansätze für diese Herausforderungen findet.
In zahlreichen Plenar- und Kleingruppensitzungen werden nun bis zum Abschlussgottesdienst am Sonntag die Rückmeldungen aus Süd-, Nord- und Mittelamerika sowie der Karibik auf Spanisch und Portugiesisch gesammelt, sortiert und systematisiert. Daraus soll dann ein Abschlussdokument entstehen, bei dem davon auszugehen ist, dass es die Arbeit der Kirche auf allen Ebenen über Jahrzehnte hinweg prägen wird.
Ein Blick auf die "Vorgänger" dieser "Asamblea Eclesial" macht das besonders deutlich. Das Prinzip der "Option für die Armen" wurde 1979 von der Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats in Puebla (Mexiko) geprägt. Inzwischen ist es fester Bestandteil der katholischen Soziallehre – weltweit.
Hinweis
Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Internetportal weltkirche.katholisch.de.