Müntefering über personalen Gott: "Nein, das glaube ich nicht mehr"
Religionen wissen aus Sicht des früheren SPD-Vorsitzenden und Vizekanzlers Franz Müntefering "viel über uns Menschen und das Leben". Die Idee der Nächstenliebe sei für ihn jedoch "kein Gottesbeweis", sagte er der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag). Er sei sehr katholisch aufgewachsen. "Wenn mit Gott aber gemeint ist, dass da ein Wesen ist, das alles steuerte und steuert: Nein, das glaube ich nicht mehr. Ein Wesen, das mich Mensch beobachtet, schützt oder auch nicht, und zensiert, nein."
Diese Vorstellung eines personalen Gottes sei "ungeheuerlich", erklärte der Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (Bagso). "Man nimmt sich ganz schön wichtig, wenn man das glaubt. Das fände ich wahnsinnig: Milliarden Jahre gab es mich nicht. Jetzt für einen Augenblick in der Ewigkeit schon. Und in diesem Augenblick macht sich der großartige Geist Gedanken um mich, hebt den Daumen oder senkt ihn?" Das könne er sich "letztlich nicht vorstellen".
Für ihn sei diese Frage nicht entscheidend, sagte der frühere Politiker. "Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, die kenne ich durch meine Mutter. Sie sagte: Glaube ist eine Gnade. Hoffnung muss man sich und anderen machen. Das Wichtigste aber ist die Liebe." Darum gehe es zwischen den Menschen, so Müntefering.
Mutter prägte ihn
Mit seiner Mutter habe er viel über diese Themen gesprochen, berichtete der 81-Jährige. Besonderes habe sie ihm Nächstenliebe vermittelt, etwa im Umgang mit Kriegsversehrten, die in seiner Kindheit bisweilen hungrig an die Tür geklopft hätten. Seine Mutter habe ihnen am Küchentisch ein Brot oder Suppe gegeben. "Mir gefiel das alles nicht, und ich habe sie später gefragt: Warum machst du das? Lass sie doch draußen warten und bring ihnen die Schnitte Brot raus. Da hat sie gesagt: Man zwingt Menschen nicht, im Stehen zu essen. Das vergesse ich mein ganzes Leben lang nicht."
Zudem sei es gut, "den Tod als Teil des Lebens" zu kennen, sagte Müntefering. Er habe keine Angst vor dem Tod: "Inzwischen bin ich da gelassen, kann mir das Sterben aber nicht vorstellen. Man kann ja nicht üben." Er spreche daher nie über den Tod: "Dazu weiß ich nichts, ich kenne auch niemanden, der etwas darüber weiß. Übers Sterben schon." Er wolle nicht "jede Sekunde Leben unbedingt retten. Aber ich möchte, dass es gut zu Ende geht. Mit Menschen an meiner Seite, die mir wichtig sind."
Beliebigkeit im Umgang mit dem Sterben ist nach Worten Münteferings eine Gefahr. "Dass wir bei dem Thema zurzeit eine gesetzlich ungeregelte Situation haben, sehe ich mit großer Sorge", sagte er. Er sei gegen ärztlich assistierte Beihilfe zum Suizid. Palliative Möglichkeiten der Schmerzreduktion sollten dagegen "natürlich" genutzt werden, so der frühere SPD-Vorsitzende. Die Begleitung seiner 2008 verstorbenen Ehefrau habe seine Haltung zu diesem Thema geprägt, fügte Müntefering hinzu. "Ich habe gelernt: Sterbende spüren, dass es zu Ende geht. Aber so ganz sicher sind sie sich doch nicht und erleben dieses Stück Leben sehr intensiv." (tmg/KNA)