Der Aufbruch: Vor 60 Jahren wurde das Zweite Vatikanum einberufen
Zum Entsetzen mancher Kardinäle hatte Papst Johannes XXIII. im Januar 1959 ein allgemeines Konzil angekündigt. Zu Weihnachten 1961, vor 60 Jahren, verschickte er die offizielle Einladung. "Wir hielten die Zeit für reif", schrieb der Papst im Dokument "Humanae salutis" vom 25. Dezember 1961, "der katholischen Kirche und der Menschheitsfamilie die Möglichkeit eines neuen Ökumenischen Konzils zu schenken".
Für viele klang das wie eine Befreiung, für andere wie eine Bedrohung. "Macht die Fenster der Kirche weit auf!" Das Motto, das der Papst laut einer nie bestätigten Anekdote nach seinem Amtsantritt ausgegeben haben soll, ging als Weckruf durch die katholische Welt. Zu stark hatte sich die Kirche in den Jahrzehnten zuvor von einer Welt in Aufruhr abgekoppelt. Nun forderte der greise Angelo Giuseppe Roncalli, eigentlich als Kompromisskandidat und "Papst des Übergangs" gedacht, die Sensation: ein "aggiornamento", eine Annäherung an die Erfordernisse der Zeit.
Viele hatten in den Jahrzehnten zuvor die Idee allgemeiner Konzilien bereits für tot erklärt: zu aufwendig, zu ineffizient, zu unwägbar. Und nun eine neuerliche Kirchenversammlung? Es sollte tatsächlich die größte des 20. Jahrhunderts werden. Johannes XXIII. wollte kein Verurteilungs- oder Lehrkonzil mit neuen Dogmen, sondern ein von der Seelsorge geprägtes; dialogisch, nicht autoritär: eine Denkfabrik für die Fragen, die die Christen im 20. Jahrhunderts bewegten.
Bedenken gab es viele
Der Bedenken gab es freilich viele. Es sei unmöglich, die umfangreichen Vorbereitungen – Arbeitsdokumente, Unterkunft für Konzilsväter – bis 1963 ins Werk zu setzen. "Dann werden wir eben schon 1962 beginnen", entgegnete der Papst ungerührt. Weniger aus Naivität, die man ihm unterstellte, als vielmehr mit realistischem Blick auf die wenige Zeit, die dem damals 77-Jährigen noch blieb.
So wurde, mit den Worten des Konzilienforschers Giuseppe Alberigo, "das gewaltige Räderwerk der römischen Kirche in Gang gesetzt", dessen Umwälzungen bis heute zu spüren sind. Johannes XXIII. machte freilich für "sein" Konzil keine konkreten inhaltlichen Vorgaben und Vorschriften – mit dem Ergebnis, dass die römischen Kurienbehörden – und vor allem deren eher auf Bewährtes setzenden Führungskräfte – das Heft des Handelns ergriffen. Das "Gesicht" dieser Strömung war Kardinal Alfredo Ottaviani (1890-1979), Sekretär des Heiligen Offiziums und Präsident der theologischen Vorbereitungskommission des Konzils.
Zu einem natürlichen kirchenpolitischen Antipoden wurde der deutsche Kurienkardinal Augustin Bea (1881-1968), den Johannes XXIII. im Juni 1960 zum Präsidenten des neu geschaffenen Sekretariates zur Förderung der Einheit der Christen, also sozusagen zum "Staatssekretär für Ökumene" gemacht hatte –Anliegen, das dem Papst selbst mehr am Herzen lag als dem konservativen Flügel um Ottaviani. Noch bevor das Konzil begann, zeigten sich die Konfliktlinien zwischen "Bewahrern" und "Reformern", die sich später bei den entscheidenden Sitzungen des Konzils vertiefen sollten.
Konfliktlinien zeigen sich
Der Papst fand zu Weihnachten 1961 noch nicht so prägnante Worte wie bei seiner Konzilseröffnung knapp ein Jahr später, als er erklärte, er wolle den "Unglückspropheten" der Zeit "entschieden widersprechen" und sich furchtlos an die Aufgaben begeben, die das Jahrhundert an die Kirche stelle. In "Humanae salutis" heißt es, das Konzil werde "die Mutter Kirche in immerwährender Lebenskraft und Jugend zeigen", so dass die Kirche "neues Licht ausstrahlt". Am 2. Februar 1962 legte er schließlich den Beginn auf den 11. Oktober fest – selbst noch nicht wissend, wie die aufgetürmten Gebirge von vorbereiteten Dokumenten abgearbeitet werden könnten.
Das Konzil machte Geschichte und führte zu tiefgreifenden Veränderungen: eine liturgische Erneuerung mit der Zurückdrängung der alten lateinischen Messe, ein verstärktes Selbstbewusstsein der Ortsbischöfe gegenüber Rom, aber auch der Laien gegenüber den Bischöfen, die Bewusstwerdung von Weltkirche und eine ökumenische Öffnung ohne Vorbild.
Wohl niemand – auch nicht Johannes XXIII. selbst – konnte zu Weihnachten 1961 ahnen, wie viel Aktenstudium, wie viel theologisches und kirchenpolitisches Ringen und wie viel Wehen des Heiligen Geistes dafür noch notwendig sein würden. Und was der Kirche auch danach noch an grundstürzenden Herausforderungen ins Haus stehen würde.