Institutionelles Versagen bei Missbrauch sei nicht zu rechtfertigen

Bischof Oster wundert sich über Erklärung von Benedikt XVI.

Veröffentlicht am 25.01.2022 um 09:16 Uhr – Lesedauer: 

Passau ‐ Persönlich habe er Benedikt XVI. als grundehrlichen Menschen kennengelernt, der seinen Bischofsspruch "Mitarbeiter der Wahrheit" sehr ernst nehme: Bischof Oster fragt sich daher, wie die Erklärung des Emeritus zum Münchner Gutachten zustandekam.

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Nach der Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens dringt der Passauer Bischof Stefan Oster auf weitere Aufarbeitung. "Natürlich ist solch ein menschliches und institutionelles Versagen durch nichts zu rechtfertigen. Vor allem, dass die Betroffenen in der Vergangenheit so wenig im Blick waren", sagte Oster der "Passauer Neuen Presse" (Dienstag). Die Kirche arbeite seit vielen Jahren fortwährend und tiefgreifend an Maßnahmen, die all dies aufarbeiten und künftig verhindern sollten.

Er wundere sich zudem, wie die Erklärung des emeritierten Papstes Benedikt XVI. zum Missbrauchsgutachten zustande gekommen sei, fügte der Bischof hinzu. Oster wörtlich: "Ich frage mich natürlich, wie diese 82-seitige Stellungnahme, die seine Unterschrift trägt, entstanden ist." Persönlich habe er Papst Benedikt als grundehrlichen Menschen kennengelernt, der auch seinen bischöflichen Wahlspruch, "Mitarbeiter der Wahrheit" sein zu wollen, sehr ernst nehme.

Das am Donnerstag vorgestellte Gutachten bescheinigt mehreren Münchner Erzbischöfen und weiteren Angehörigen der Bistumsleitung Führungsversagen im Umgang mit Missbrauchstätern sowie fehlende Sorge für die Geschädigten. Die Studie erhebt in diesem Zusammenhang auch Vorwürfe gegen den früheren Papst Benedikt XVI./Joseph Ratzinger, der von 1977 bis 1982 dem Erzbistum München-Freising vorstand. Unter anderem geht es um den Fall des Priesters H., der nach Missbrauchstaten mehrfach verurteilt und doch immer wieder versetzt wurde.

Benedikt XVI. änderte Aussage zu Gutachten

Am Montag korrigierte Benedikt eine wesentliche Aussage zum Gutachten. Entgegen seiner bisherigen Darstellung habe er doch an der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 teilgenommen, bei der es auch um den Fall H. ging, heißt es in einer Stellungnahme. Der Fehler sei aber "nicht aus böser Absicht heraus geschehen", sondern "Folge eines Versehens bei der redaktionellen Bearbeitung seiner Stellungnahme". Dies tue ihm "sehr leid", und er bitte, dies zu entschuldigen. Allerdings sei in der betreffenden Sitzung "über einen seelsorgerlichen Einsatz des betreffenden Priesters nicht entschieden" worden. Vielmehr habe man lediglich der Bitte entsprochen, dem Mann "während seiner therapeutischen Behandlung in München Unterkunft zu ermöglichen". Wie es zu dem Versehen kam, will Benedikt XVI. in seiner "noch ausstehenden Stellungnahme" erklären.

Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick rief in Folge des Münchner Gutachtens dazu auf, jeden Missbrauch zu ahnden und aufzuarbeiten. Zum Christsein gehöre, sich der eigenen Schuld und dem Versagen zu stellen, schrieb Schick in einem am Dienstag veröffentlichten Brief an die Mitarbeitenden in seinem Erzbistum. "Wahrheit ist dabei ein hohes Gut, das niemals aus opportunistischen Gründen, aus Feigheit oder Selbstgerechtigkeit durch Unwahrhaftigkeit, Verschleierung oder Vertuschung gebeugt oder missachtet werden darf." Er höre und wisse, dass viele Mitarbeitende und Gläubige aufgrund der Veröffentlichung des Gutachtens belastet und verunsichert seien, so der Erzbischof weiter. Auch wenn sie sich nichts zu Schulden hätten kommen lassen, schlage ihnen der kalte Wind ins Gesicht. "Ich fühle und leide mit Ihnen."

Bereits zuvor hatten mehrere deutsche Bischöfe zum Münchner Gutachten Stellung genommen und dabei auch die Vorwürfe gegen Benedikt XVI. thematisiert. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann, der auch Missbrauchsbeauftrager der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) ist, sagte, die Vorwürfe seien "für viele Gläubige kaum mehr zu fassen und zu ertragen". Der Limburger Bischof und DBK-Vorsitzende Georg Bätzing sprach mit Blick auf München von einem "desaströsen Verhalten" und erwähnte in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch den emeritierten Papst. Die Bischöfe Franz-Josef Overbeck (Essen), Franz-Josef Bode (Osnabrück), Franz Jung (Würzburg) und Helmut Dieser (Aachen) forderten, dass sich Benedikt und auch andere noch lebende Verantwortungsträger erneut zu den Vorwürfen äußern müssten. Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf sprach in einer persönlichen Stellungnahme zu den jüngsten kirchlichen Missbrauchsstudien von einem Wegbrechen bischöflicher Vorbilder. (tmg/KNA)

25.1., 11:05 Uhr: Ergänzt um Schick.