Gott akzeptiert mich, nur die Kirche nicht: Darum bin ich #OutInChurch
Wer etwas von seiner Persönlichkeit offenbart, macht sich immer verletzbar. Das beginnt schon im Kleinen, wenn man trotz Umfragetief zur politischen Meinung steht oder sich unter Katzenfans als Hundeliebhaber zu erkennen gibt. Dagegen hat ein Coming Out ein ungleich größeres, existentielles Gewicht. Es betrifft einen zentralen Bereich der eigenen Identität, offenbart, wer man ist und wie man liebt.
Ich bin schwul – und trotzdem katholisch. Ich bin #OutInChurch.
In meiner Familie wuchs ich in losem Kontakt zur katholischen Kirche auf: Alles konnte, nichts musste – ohne jede denkerische Enge. Für diese Offenheit bin ich meinen Eltern bis heute sehr dankbar. Ich wurde getauft und ging zur Erstkommunion, fand bei den Ministranten Heimat. Ich lernte einen Gott kennen, der die Menschen vorbehaltslos liebt. Dass es so etwas wie einen Katechismus gibt, der diese Liebe klaren Regeln unterwirft, habe ich erst spät erfahren.
Der Wunsch, nicht schwul zu sein
Ich erinnere mich an eine einzige Situation, in der ich mit etwa zwölf Jahren gebetet habe, nicht schwul zu sein. Als ich mich gegen Ende der Pubertät bewusst mit meiner Homosexualität auseinanderzusetzen begann, war dieser Gedanke zum Glück verflogen. Die Selbstzweifel und die Sorge, nicht den gesellschaftlichen Vorstellungen zu entsprechen, waren schwer genug, aber ich habe meine sexuelle Orientierung nie im Widerspruch zu meinem Glauben erlebt, habe nie befürchtet, Gott könnte mich dafür verstoßen, wer ich bin. Auch in meinem familiären Umfeld und in meiner Heimatpfarrei habe ich keine Ausgrenzung erlebt, sondern jede erdenkliche Unterstützung erhalten – Gott sei Dank!
Ein so reibungsloses Coming Out ist leider keine Selbstverständlichkeit, auch in unserer heutigen Gesellschaft nicht. Im kirchlichen Umfeld dürfte es sehr selten sein. Wie anders die Reaktionen dort ausfallen können, habe ich während meines Studiums in Freiburg erlebt: In der Pfarrei, in der ich liturgisch und musikalisch engagiert war, wurde mir von anderen Gläubigen auf äußerst unschöne Weise deutlich gemacht, dass ich nicht mehr willkommen sei, als bekannt wurde, dass ich schwul bin. Es fielen die Worte "Heuchler" und "Sodomit". Der zuständige Pfarrer zeigte kein sonderliches Engagement, mir den Rücken zu stärken.
Bis dahin hatte ich meine sexuelle Orientierung außerhalb meines Freundeskreises größtenteils für mich behalten. Ich war der Meinung, sie ginge schlicht niemanden etwas an – und natürlich tut sie das auch nicht. Aber durch diesen Vorfall wurde mir schmerzhaft bewusst: Wer nicht akzeptiert, was ich empfinde und wen ich liebe, der lehnt mich als ganze Person ab. Es geht hier nicht um Geschmacksfragen, sondern um Identität.
Seitdem pflege ich einen sehr offenen Umgang mit meinem Schwulsein: Ich binde es niemandem auf die Nase, aber ich erzähle ganz selbstverständlich von den Wochenenderlebnissen oder vom gemeinsamen Urlaub mit meinem Partner. Und ich korrigiere mein Gegenüber, wenn es "mein Freund" als "ein Freund" missversteht – ob absichtlich oder unabsichtlich. Erfreulicherweise hat das bisher weder in der Bonner Pfarrei, in der ich lebe, noch bei der Bewerbung für die katholische Journalistenschule für Probleme gesorgt. Und auch im Redaktionsalltag von katholisch.de spielt meine sexuelle Orientierung keine Rolle, es herrscht hier die gesunde Normalität, die einem aufgeschlossenen Miteinander und dem Menschenbild im 21. Jahrhundert entspricht.
Keine Berührungsängste beim "Bodenpersonal" – aber im Katechismus
Ein Großteil des kirchlichen "Bodenpersonals" hat längst keine Berührungsängste mit queeren Menschen mehr. Für die meisten Seelsorgerinnen und Seelsorger steht außer Frage, dass sie einen festen Platz in Gottes bunter Schöpfung haben und dass ihnen sein Segen gewiss ist. Leider wird dieses Engagement durch die nach wie vor geltenden unsäglichen Passagen in Katechismus und lehramtlichen Verlautbarungen täglich Lüge gestraft.
Linktipp: "#OutInChurch": Queere Menschen fordern Erneuerung der Kirche
Öffentlich sprechen 125 queere Menschen darüber, dass sie ihre sexuelle Orientierung in der katholischen Kirche lange Zeit verheimlicht haben – und nun nicht mehr schweigen wollen. Die Kampagne "#OutInChurch" schließt dabei an bestehende Debatten an.
Deshalb hatte es sich für mich etwa von vornherein erübrigt, als Theologe eine akademische Karriere anzustreben: Auch an staatlichen Fakultäten brauchen Professorinnen und Professoren eine päpstliche Lehrerlaubnis, die ich niemals erhalten würde, sofern ich meine Beziehung zu einem Mann nicht im Geheimen führen will. Gleiches gilt für die allermeisten Berufe im pastoralen Dienst – übrigens in Übereinstimmung mit staatlichem Recht.
Solche Ungerechtigkeiten und die vielen persönlichen Verletzungen im Umgang mit queeren Menschen in der Kirche müssen endlich aufhören. Wenn sie auch nur halbwegs glaubhaft einen liebenden Gott verkünden will, darf sie die gesellschaftlichen Ideale von Freiheit und Gleichberechtigung nicht länger unterbieten. Der christliche Glaube bietet dazu alle erdenklichen Anknüpfungspunkte: Sein Kern ist eine Botschaft der Befreiung. Herzloser Biblizismus und dogmatische Verkrustungen können wir getrost den religiösen Fundamentalisten überlassen.
Die Kirche ist vielfältig, unzählige queere Menschen erfüllen sie täglich mit Leben. Um dieser Vielfalt ein Gesicht zu geben, bin ich Teil von #OutInChurch.