Erzbischöfin Antje Jackelén: Sehe Zölibat "problematisch"
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Die Erzbischöfin von Uppsala, Antje Jackelén ist das Oberhaupt der schwedischen (lutherischen) Kirche. Sie ist die erste Frau im Amt und das erste frei gewählte Kirchenoberhaupt des Landes. Bevor sie 2022 in Ruhestand geht, erklärt sie, wie sich ihr Amt von katholischen Oberhirten unterscheidet, und warum es sehr viele Gemeinsamkeiten – wie Mitra und Bischofsstab – gibt. Außerdem erläutert sie, warum sie den Zölibat "problematisch" findet.
Frage: Sie sind mit ihrem Amt als Erzbischöfin nah dran an der Auslegung, wie die katholische Seite ihre männlichen Erzbischöfe auslegen würde. Wo ist der Unterschied? Warum ist das bei Ihnen in der lutherischen Kirche, in der Kirche von Schweden möglich, in der katholischen aber nicht?
Jackelén: Theoretisch ist es ja immer noch so, dass die katholische Kirche das Amt in anderen Kirchen nicht voll anerkennt. Praktisch erlebe ich da etwas anderes: Auch von katholischen Kollegen empfange ich sehr viel Respekt. In der schwedischen Kirche haben wir auch die apostolische Sukzession. Auch von daher sind wir der katholischen Kirche sehr nahe. Was uns teilweise unterscheidet: Ich bin als Erzbischöfin gewählt worden – von Vertretern aller Diözesen der schwedischen Kirche und von Pfarrern, Diakonen und Laien in der Diözese Uppsala.
Und ich glaube, es gibt bei uns eine stärkere Verpflichtung, wirklich mit Laien zusammenzuarbeiten. Ich weiß ja, dass es in der katholischen Kirche die Diskussion gibt über den Synodalen Weg, und dass es da viele Hoffnungen gibt, aber auch Kritik, die sagt: "Ist das nicht Scheindemokratie? Wie kriegen wir zustande, dass es richtige Transparenz gibt?" Ich glaube, da haben wir durch unser reformatorisches Erbe mehr an Gemeinsamkeit mit dabei. Es ist bei uns doch sehr stark so, dass das Amt auf der Berufung durch die Gemeinde beruht und nicht darauf, dass jemand von oben einen Bischof oder eine Bischöfin hinsetzt.
Frage: Das heißt, Sie haben dann quasi beides. Sie sind gewählt, Sie sind aber auch geweiht. Die apostolische Sukzession haben Sie ja gerade angesprochen.
Jackelén: Ja, wir sprechen gerne von der gemeinsamen Verantwortungslinie. Einerseits die Laien, die dann voll demokratisch gewählt sind und andererseits eben die Linie der Weihe, wo es auch Wahlen gibt, wenn es um Bischöfe geht.
„Ich finde das fantastisch, wenn man in alten Kirchen ist, Epitaphien sieht und denkt, "da liegt ein Kollege" von vor 1000 Jahren – diese Kontinuität.“
Frage: Sie tragen die Insignien, die auch ein katholischer Bischof tragen würde: Mitra, Bischofsring, Kreuz. Ihre Gewänder sehen auch ähnlich aus, was bei anderen protestantischen Kirchen nicht so ist. Was drückt das aus bei Ihnen?
Jackelén: Einen Bischofsring tragen wir nicht, aber Mitra, Stab und Kreuz haben wir auch. Ich finde das fantastisch, wenn man in alten Kirchen ist, Epitaphien sieht und denkt, "da liegt ein Kollege" von vor 1000 Jahren – diese Kontinuität. Ich denke, das ist doch eine Stärke in der Kirche, dass wir sagen können: 2000 Jahre die gleiche weltliche Sprache, die gleiche Geschäftsidee. Das ist eine Erfahrung, auf die wir uns berufen können. Und gerade aufgrund der Erfahrung, glaube ich, können wir auch freimütig sein, wenn es um Erneuerung, Reform und Veränderung geht. Wir brauchen nicht so furchtbar ängstlich zu sein. Wir haben doch so viel erlebt, sowohl an Glückserfahrungen, aber auch an Lebenserfahrungen, sowohl Leiden, das uns auferlegt worden ist, aber auch Leiden, dass die Kirche selbst verursacht hat.
Ich weiß noch genau, als ich nach Schweden gekommen war Ende der 70er-Jahre und meine Eltern mich das erste Mal besuchten. Da gingen wir in die Kirche und sie sagten: "Oh, das ist ja so katholisch hier." Wir haben also viel gemeinsam, was liturgische Gewänder, die Ordnung und die Sprache anbelangt. In Deutschland war nach der Reformation das Bedürfnis entstanden, sich zu profilieren. Da feiern die einen Messe und die anderen feiern das Abendmahl. Die einen weihen, die anderen ordinieren – und so weiter. In Schweden kam die Reformation sozusagen von oben – und das war auch ein komplizierter Prozess. Es entstand aber nicht dieses Bedürfnis, sich zu profilieren, sondern man konnte die Worte beibehalten, weshalb wir weihen und die Messe feiern.
Frage: Das heißt, je weiter man von den Katholiken entfernt ist, umso weniger muss man rebellieren und sich ein eigenes Kirchenbild schaffen?
Jackelén: Ja, ungefähr so. Der Definitionsdrang ist einfach nicht so groß, weil alle es gemeinsam machen. Da kann man dann die Formen doch beibehalten. Man muss nicht eine neue Terminologie schaffen, um einen Unterschied zu dokumentieren oder zu manifestieren.
Frage: Sie haben die angestrebten Reformen der katholischen Kirche schon angesprochen. Eine große Frage dabei ist, welche Rolle der Zölibat spielt. Die katholische Kirche argumentiert, dass sich der Priester oder der Bischof ganz seiner Gemeinde widmen soll und nicht durch ein Familienleben "abgelenkt" ist. Sie sind als Erzbischöfin verheiratet und haben Kinder. Sie haben dieses Privatleben, dieses Familienleben dazu. Würden Sie sagen, das schränkt Sie ein in Ihrer Arbeit? Oder bringt das noch mal was Neues dazu?
Jackelén: Ich glaube, es bringt auch etwas Neues. Es schafft ja auch mehr Glaubwürdigkeit, was die Erfahrung vom Alltag mit Kindern und Partnerbeziehungen anbelangt. Wenn jemand alleine ist und sich derjenige oder diejenige ganz der Gemeinde widmen kann, gibt es das natürlich auch. Aber ich würde es eher so sagen: Das ist auch eine Berufung. Und aus der Berufung einen Zwang zu machen für alle ist ja dann doch problematisch. Ich glaube auch, wenn Menschen sich voll und ganz dem Arbeitsleben widmen und nur das Arbeitsleben haben, dass da auch das Risiko größer ist, dass man nicht nur brennt, sondern auch verbrennt. Und wenn die Zeit im Leben kommt, wo das Arbeitsleben eben nicht mehr das ganze Leben ausfüllen kann, dann entsteht auch eine große Leere.
Ich denke, das ist auch ein menschliches Problem. Ich meine, bei mir ist es auch jetzt so, dass seit vielen Jahren schon das meiste meines sozialen Lebens über meine Rolle als Erzbischöfin abläuft. Wenn das Arbeitsleben aber mal zum Abschluss kommt, dann kommt eben eine große Leere – und damit auch psychische Belastungen, wo ich nicht weiß, ob das richtig ist, das den Menschen so aufzuerlegen.
Frage: Es braucht also modern gesprochen auch für Kleriker eine "Work-Life-Balance"?
Jackelén: Ich denke, ja.