"Ich habe nie daran gezweifelt, dass Gott mich liebt"

Transidentität: Eine Frau bewahrt ihren Glauben – der Norm zum Trotz

Veröffentlicht am 07.02.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Hände umgreifen ein Kreuz aus bunten Keramiksteinen
Bild: © privat

Bonn ‐ Sie wuchs als Junge auf – lebt heute aber als Frau. Nach offizieller Lehre sind Personen wie Barbara im Plan Gottes nicht vorgesehen. Trotzdem hat sie ihren Glauben bewahrt und nie daran gezweifelt, dass Gott sie liebt. Eine Geschichte zwischen lehramtlichem Unverständnis und pastoraler Zuwendung.

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"Seit 2004 bin ich Frau", sagt Barbara und strahlt bis über beide Ohren. Wenn sie ihre Lebensgeschichte erzählt, sprüht sie vor Glück, lacht und klatscht schon mal aus Begeisterung in die Hände. Ihre blonden Locken wippen beim Gestikulieren auf und ab. Damals begann für sie ein neues Leben – ohne, dass das vorherige aufgehört hätte. Damals entschloss sich die heute 52-Jährige, offen als Frau zu leben, nachdem sie rund 30 Jahre im Körper und in der Rolle eines Mannes gelebt hatte. Als gläubige Katholikin keine leichte Entscheidung.

Barbara ist transident: Sie wurde als Junge großgezogen, identifiziert sich aber weiblich. Nach offizieller Lehre der Kirche verstößt sie damit gegen den Schöpferwillen Gottes. Katholisch geblieben ist sie trotzdem. Sie singt in der Choralschola ihrer Heimatpfarrei und in einem überregionalen Projektchor für "queere" Menschen (eine Selbstbezeichnung für alle, die nicht heterosexuell sind oder deren Geschlechtsidentität nicht den gesellschaftlichen Vorstellungen entsprechen). Barbara singt im Tenor. "Mein Hals ist mein Hals, der ändert sich nicht mehr", sagt sie. Erst da fällt auf, dass ihre Stimme etwas tiefer klingt, als man es von einer Frau erwartet – vielleicht als hätte sie einen leichten Schnupfen. In der Kirchengemeinde engagiert sie sich, weil ihr dort Menschen begegneten seien, die sie akzeptieren, wie sie ist, erzählt sie. Menschen, denen die Person wichtiger sei als die Lehre.

"Ich habe nie daran gezweifelt, dass Gott mich liebt", bekennt Barbara, die eigentlich anders heißt, ihren richtigen Namen aber aus Sorge vor Hassmails lieber nicht im Internet veröffentlichen will. Sie trägt eine pastellfarbene Bluse, darüber einen rosa Strickschal. Beiläufig drapiert sie den grobmaschigen Stoff auf ihren Schultern zurecht. Barbara sitzt auf ihrem hellgrünen Sofa, sie hat es sich zwischen einer Handvoll Papierstapeln gemütlich gemacht. Darin gesammelt: kirchliche Verlautbarungen zum Umgang mit queeren Menschen – stille Zeugen des Unverständnisses und der Ablehnung.

Die Suche nach der eigenen Identität – und lehramtliches Unverständnis

Das kirchliche Lehramt fährt in Sachen Transsexualität harte Vokabeln auf. Wirft man einen Blick in die offiziellen Verlautbarungen zum Thema, tritt eine Mischung aus Erfahrungslosigkeit und ideologischen Verkürzungen zu Tage. Die zentrale Stelle im Katechismus findet sich symptomatischer Weise im Abschnitt über das sechste Gebot ("Du sollst nicht die Ehe brechen"). Dort ist zu lesen: "Jeder Mensch, ob Mann oder Frau, muss seine Geschlechtlichkeit anerkennen und annehmen" (Nr. 2333). Gemeint ist das dem genetischen Chromosomensatz entsprechende Geschlecht. Dass es auch genetisch uneindeutige Konstellationen gibt, wird vom Lehramt nicht berücksichtigt. Auch die für Transpersonen entscheidende Selbstwahrnehmung und die Frage nach der eigenen Identität finden keine Erwähnung. Von der wissenschaftlich belegten Existenz eines Hirngeschlechts, das vom genetischen Körpergeschlecht abweichen kann, ganz zu Schweigen.

Etwa 0,3 bis 0,6 Prozent der Bevölkerung sind laut internationalen Studien transident. Aus dem Wunsch, als Angehörige eines anderen Geschlechts zu leben und anerkannt zu werden, vollziehen viele dieser Personen eine Transition. Damit wird der Verwandlungsprozess bezeichnet, bei dem eine Transperson ihr Aussehen und ihre soziale Rolle ändert und sich oft Hormontherapien und geschlechtsangleichenden Operationen unterzieht, um die eigene Identität auch körperlich auszudrücken. 

Wie bei den meisten Transpersonen war auch Barbaras Weg zur Transition lang. Ihre Kindheit und das Leben auf einem katholischen Jungeninternat beschreibt sie als unbeschwert. Erst gegen Ende der Schulzeit habe sie bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Die Erfahrung des eigenen männlichen Körpers wird zunehmend zum Problem. Aus einer früh geschlossenen Ehe gehen drei Kinder hervor, doch der Drang, jemand anderes zu sein als der, den alle in ihr sehen, wird immer stärker – einfache Auswege schaffen keine Abhilfe mehr. "Ich war ein sehr dünner und langhaariger Papa, aber Frauenkleider habe ich immer als Verkleidung empfunden", sagt Barbara. Mit den aufkommenden Recherchemöglichkeiten des Internets wuchs schließlich ihre Gewissheit: Ich bin eine Frau und möchte auch so leben. Und sie stellt fest: Es gibt andere, denen es genauso geht und die ihre Geschlechterrollen verlassen haben – es ist in Ordnung, es gibt einen Weg zu meinem eigenen Ich.

Die Transgender-Flagge
Bild: ©picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Toby Brusseau (Symbolbild)

Hellblau und Rosa: In der Transgender-Flagge treffen die traditionellen Farben für männliche und weibliche Babys zusammen – Ausdruck geschlechtlicher Vielfalt. In den lehramtlichen Texten spielt die Selbstwahrnehmung transidenter Menschen keine Rolle.

Von der katholischen Kirche dagegen wird Transsexualität als Persönlichkeitsstörung gedeutet, die allenfalls therapeutisch zu behandeln ist. Das durch eine Transition ausgedrückte Geschlecht wird nicht anerkannt, geschlechtsangleichende Operationen gelten als Selbstverstümmelung. Kirchenrechtlich drückt sich dieses Unverständnis im Ausschluss transidenter Menschen vom Sakrament der Ehe und der Weihe aus. Hier bleibt ein an die Biologie gekettetes Geschlechtsverständnis vorherrschend, das sich ursprünglich mit dem Siegeszug der modernen Medizin etabliert hat – dort aber allgemein als überholt gilt. Warum die Kirche diese Strömung im 19. Jahrhundert so bereitwillig rezipierte, sich heute aber den fortschreitenden Erkenntnissen der Humanwissenschaften verschließt, bleibt offen. 

Die lehramtlichen Texte der Kirche sind durchweg von der Annahme einer naturgegebenen Dualität von Mann und Frau geprägt. Alles, was davon abweicht, wird pauschal als Ideologie gebrandmarkt, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit aktuellen Forschungsdiskursen findet nicht statt. Besonders deutlich wird das in einem Dokument der römischen Bildungskongregation aus dem Jahr 2019 mit dem Titel "Als Mann und Frau schuf er sie. Für einen Weg des Dialogs zur Gender-Frage im Bildungswesen". Die Einladung zum "Dialog" bleibt aber Fassade. Denn bereits im ersten Absatz wird ein klares Feindbild gezeichnet: "Die anthropologische Desorientierung, die vielfach das kulturelle Klima unserer Zeit kennzeichnet, hat sicher dazu beigetragen, die Familie zu zerstören, mit der Tendenz, die Unterschiede zwischen Mann und Frau … zu destabilisieren" (Nr. 1). Den Gendertheorien unterstellt das Dokument, sie würden eine freie Wählbarkeit des Geschlechts propagieren, und beklagt die "Entfernung von der Natur hin zu einer totalen Option für die Entscheidung des emotionalen Subjekts" (Nr. 19). Am großen Leid, das Transpersonen auf ihrem Weg zur Transition erleben, und für die Einsicht, dass sie ihr Geschlecht gerade nicht frei wählen, sondern es als Gewissheit erleben und sich in einer falschen Rolle gefangen fühlen, hat der Text der Bildungskongregation kein Interesse.

Der Schmerz, nicht mit sich selbst übereinzustimmen, wird für Barbara irgendwann unerträglich, der Start in ihr neues Leben zur Befreiung. Sie verlässt ihre Heimat und nimmt in einer bayerischen Großstadt eine Stelle als Informatikerin an. Ihre Mitmenschen brauchen zwar Zeit, um sich auf ihre neue Identität einzulassen, von den allermeisten erhält sie aber Unterstützung: "Meine Mutter hatte anfangs Selbstzweifel, ob sie etwas falsch gemacht hat, konnte dann aber sehen, dass Gott mich so geschaffen hat." Gegen alle Befürchtungen macht Barbara auch im Kontakt mit der Kirche durchweg positive Erfahrungen. Es habe "keinen Bruch mit Gott und seinem Bodenpersonal" gegeben, wie sie es formuliert. Als sie bei einem Gottesdienst gebeten wird, die Lesung vorzutragen, offenbart sie dem Pfarrer ihre Lebensgeschichte und rechnet schon mit einer Zurückweisung. Doch die freundlichen Augen des Jesuitenpaters hätten ihr deutlich gemacht, dass ihre Angst unbegründet war, und durch sein schlichtes "Willkommen" wurde die Pfarrgemeinde ihre neue Heimat.

Der Mensch als Abbild Gottes – Ausdruck geschlechtlicher Vielfalt

Barbara hatte Glück mit ihren Erfahrungen im kirchlichen Umfeld. Vielen Transpersonen ergeht es anders: Zu oft ist gerade die Glaubenspraxis einer Familie ausschlaggebend dafür, Angehörige zu verstoßen, weil sie nicht der vermeintlich göttlichen Norm entsprechen. Zu oft wird das Potential des Glaubens verspielt, Menschen in ihrer Identität zu stärken, ihnen einen Gott vor Augen zu stellen, der für sie da ist, wenn sie im eigenen Umfeld auf Ablehnung und Unverständnis stoßen. Stattdessen erfahren Betroffenen Ausgrenzung, wo sie Unterstützung am meisten bräuchten.

Dabei gibt es in der Theologie genügend anschlussfähige Modelle. So heben Exegetinnen und Exegeten immer wieder hervor, dass im hebräischen Urtext der Schöpfungsgeschichte nicht stehe "Als Mann und Frau schuf er sie", sondern "Männlich und weiblich schuf er sie". Was nur wie eine sprachliche Feinheit klingt, bedeutet aber: Hier wird gerade keine Bipolarität ausgedrückt, sondern die geschlechtliche Vielfalt zum Ausdruck gebracht, in der der Mensch seine Gottebenbildlichkeit verwirklicht – genauso wie zwischen Tag und Nacht die Dämmerung und das Abendrot liegen. Und auch die Josefsgeschichte wird von einigen Bibelwissenschaftlern als Geschichte über die menschliche Ablehnung und göttliche Rettung einer transidenten Frau gelesen: Die Vokabel für das Gewand, mit dem Josef von seinem Vater beschenkt wird und das den Unmut seiner Brüder weckt, bezeichnet demnach in seiner ursprünglichen Bedeutung das Festkleid einer Prinzessin.

In der evangelischen Kirche ist man im Aufzeigen solcher Identifikationsgeschichten schon weiter. Zum Reformationsjubiläum 2017 wurde eine umfangreiche Handreichung mit dem Titel "Reformation für alle*. Transidentität/Transsexualität und Kirche" veröffentlicht. Und die Landeskirche Hessen-Nassau hat 2019 die Informationsbroschüre "Zum Bilde Gottes geschaffen. Transsexualität in der Kirche" herausgegeben, in der persönliche Erfahrungsberichte, Beiträge aus Neurowissenschaft und Theologie sowie pastorale Handlungsempfehlungen gesammelt sind. Der bisher einzige interdisziplinäre Sammelband zum Thema geht ebenfalls auf eine evangelische Fachtagung aus dem Jahr 2016 zurück.

Hände liegen auf einem regenbogenfarbenen Buch
Bild: ©privat

Hand in Hand: Gemeinsam mit ihrer Frau hat Barbara einen dreijährigen Sohn. Im Buch "Katholisch und queer" erzählt sie, warum sie sich nach langem Überlegen entschieden haben, ihn katholisch taufen zu lassen.

Zu den wenigen katholischen Stimmen, die sich öffentlich mit theologischen Fragestellungen zur Transsexualität auseinandersetzen, zählt der Mainzer Moraltheologe Stephan Goertz. Er hält fest, dass eine Moraltheologie, die von falschen Annahmen über die Wirklichkeit ausgehe, nicht mehr funktionsfähig sei und deshalb ersetzt werden müsse. Statt den Menschen auf seine biologischen Anlagen zu reduzieren, plädiert er dafür, ihn als leibseelische Einheit wahrzunehmen. So könne die innere Erfahrungswelt einer Person stärker in den Blick rücken und im Zweifelsfall auch körperliche Eingriffe legitimieren, wenn diese zum seelischen Gesamtwohl beitrügen.

Für Aufsehen sorgte Ende 2021 das Buch "Katholisch und queer. Eine Einladung zum Hinsehen, Verstehen und Handeln", das von den Mitgliedern des Synodalen Wegs Mirjam Gräve, Hendrik Johannemann und Mara Klein herausgegeben wurde. Für die Beteiligten steht außer Frage, dass Veränderungen der kirchlichen Sexuallehre nötig und möglich sind – insbesondere mit Blick auf queere Personen. Das Herausgeber-Trio versteht die Publikation als Problemanzeige und hat darin bewegende Lebenszeugnisse von Menschen gesammelt, deren Identität nicht mit der kirchlichen Norm übereinstimmt. Neben hoffnungsvollen Beiträgen, wie dem über die Taufe von Barbaras kleinem Sohn, finden sich auch bedrückende Berichte über Glaubensverlust, Leiderfahrungen und Suizidversuche. "Die Kirche hat mit mir Schluss gemacht", so das Fazit einer Person über ihre Erlebnisse mit der eigenen Glaubensgemeinschaft.

Dass persönliche Begegnungen auch an der Kirchenspitze zu Umdenken führen können, zeigen die Gastbeiträge der Bischöfe von Dresden-Meißen und Essen, Heinrich Timmerevers und Franz-Josef Overbeck. Beide beschreiben, dass sie nach einem Treffen mit queeren Menschen von deren Mut und Glaubensstärke tief berührt waren. Als Konsequenz kommt Timmerevers zu der Feststellung, "dass wir mit unserer rigiden Morallehre eher eine exklusive Pastoral betrieben haben. Wer unseren Moralvorstellungen, unserer Normen und Geboten nicht entsprechen konnte (kann) – aus welchem Grund auch immer –, der wurde vom Leben ausgeschlossen, ausgegrenzt." Er fragt, wie die Kirche zu einer inklusiveren Seelsorge finden kann, und will sich für Veränderungen stark machen. Overbeck wendet sich gegen "das Festhalten an einer Sexualmoral, die zum Beispiel gleichgeschlechtlich liebenden Menschen die Möglichkeit einer gelingenden und erfüllenden Beziehung praktisch verwehren möchte". Eindeutige und zeitlos gültige Antworten würden dem menschlichen Leben selten gerecht, stattdessen brauche es die "Wende zu einem personal-ganzheitlichen Verständnis von Sexualität und Identität in unserer Kirche".

Vorrang der Praxis vor der Theorie: "Komm, du bist willkommen"

Immerhin: In 15 der 27 deutschen Diözesen gibt es inzwischen bischöfliche Beauftragte für die Queer-Seelsorge, in anderen sind entsprechende Aufgabenbereiche in Planung. Für Transpersonen gibt es angesichts der ohnehin geringen Stellenumfänge zwar meist keine eigenen Angebote für ihre spezifische Lebenslage, aber die Beauftragten können immerhin eine erste Anlaufstelle sein. Viel wichtiger aber ist der Kontakt mit den Seelsorgerinnen und Seelsorgern vor Ort: In ihrem Umgang entscheidet sich, ob queere Menschen die Kirche als Unterstützung erleben oder ob ihnen die Hilfe der Glaubensgemeinschaft verwehrt bleibt und sie sich abwenden.

Barbara ist heute zum zweiten Mal verheiratet und hat mir ihrer Frau einen dreijährigen Sohn. Sowohl in ihrer katholischen Pfarrei als auch in der evangelischen ihrer Partnerin wurde die junge Familie mit offenen Armen empfangen. Dass das in beiden Konfessionen keine Selbstverständlichkeit sein muss, ist Barbara bewusst. "Konfessionsverschieden, wiederverheiratet, lesbisch und trans – da kommt einiges zusammen, dafür würden mich manche vermutlich mehrfach in die Hölle schicken", sagt sie und lacht. Der Widerspruch zwischen der kirchlichen Lehre und der pastoralen Wirklichkeit, die sie erlebt, ist offensichtlich. Ertragen könne sie ihn aufgrund ihrer eigenen Glaubensgewissheit und der Zuwendung so vieler Menschen – sowie einer gehörigen Portion Humor.

Barbara hat beschlossen, sich ihre Glaubensheimat nicht von vatikanischen Verlautbarungen nehmen zu lassen. Wo Menschen ausgeschlossen und diskriminiert werden, ist die Verblendung der Kirche für sie offensichtlich. Für die kirchlichen Verantwortungsträger dagegen können Geschichten wie ihre der sprechende Beleg dafür sein, wie fruchtbar ein gelebter Vorrang der Praxis von der Theorie wirkt. Denn, so die Frau, die ihre Identität gefunden und ihren Glauben gerettet hat: "Wie anders wäre mein Verhältnis zur Kirche heute, wenn der Pfarrer in unserer Gemeinde nicht gesagt hätte: Komm, du bist willkommen."

Von Moritz Findeisen

Buchempfehlung

Mirjam Gräve, Hendrik Johannemann, Mara Klein (Hrsg.): "Katholisch und Queer. Eine Einladung zum Hinsehen, Verstehen und Handeln", Bonifatius Verlag (Paderborn 2021), ISBN 978-3-89710-915-5, 304 Seiten, 22 Euro.