Lorenz Wolf – Münchens Offizial zieht sich vorerst zurück
In einer Mannschaftssportart würde man ihn als Schlüsselspieler bezeichnen: Lorenz Wolf (66) zählt zu den einflussreichsten katholischen Geistlichen in Bayern und darüber hinaus. Sollte er endgültig seinen Posten räumen müssen, dürfte er nicht leicht zu ersetzen sein.
Aus dem vor über einer Woche veröffentlichten Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl geht klar hervor, dass sich der Kirchenrechtler weitgehend zu Unrecht an den Pranger gestellt fühlt. Mit mehreren Rechtsbeiständen hat er sich zur Wehr gesetzt, die Legitimität der Untersuchung bezweifelt und noch im Januar versucht zu verhindern, dass er überhaupt namentlich erwähnt wird. Die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) ließ sich davon nicht beeindrucken.
Vorwürfe seien "unwahr, tendenziös und willkürlich selektiv"
In ihrem Gutachten heißt es über Wolf, sein Handeln in 12 von 104 Fällen während seiner Amtszeit als Offizial (seit 1997) gebe "Anlass zu Kritik". Der Geistliche verzichtete auf Stellungnahmen zu den einzelnen Fällen. Die Vorwürfe ließ er seinerseits von Anwälten als "unwahr, tendenziös und willkürlich selektiv" zurückweisen. Die Hauptkritik der Gutachter lautet, Wolf habe im Umgang mit Missbrauchsfällen die Interessen der Beschuldigten vor die der mutmaßlichen Opfer gestellt, habe "klerikerfreundlich" agiert und sei auf der anderen Seite Zeugen mit ausgeprägtem Argwohn begegnet.
Bei der Pressekonferenz am Donnerstag lässt Marx keinen Zweifel daran, dass der Prälat vorerst seine Aufgaben nicht wahrnehmen kann – dass er aber die Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten soll.
Der Prälat ist nicht irgendein Mitarbeiter. Er zählt seit langem zu den gefragtesten Kirchenrichtern in Deutschland. Nicht nur im Münchner Ordinariat, wo er das Referat für Kirchenrecht leitet, wurde seiner Expertise vertraut.
Als Chef des Katholischen Büros bildet er die Schnittstelle zu Politik und Regierung in Bayern. Zugleich nimmt er in Personalunion die Funktion eines Sekretärs der Freisinger Bischofskonferenz wahr. Nicht unterschätzt werden darf außerdem sein Einwirken auf die Ernennung von Bischöfen und die Verteilung von Kirchensteuermitteln auf katholische Einrichtungen und Verbände im Freistaat. Wenn es um Interessenausgleich ging, wurde ihm bisher von vielen diplomatisches Geschick bescheinigt.
Vorsitzender des BR-Rundfunkrats
Seit 2014 ist der Oberbayer außerdem Vorsitzender des Rundfunkrats des Bayerischen Rundfunks (BR), einmal wurde er wiedergewählt. Im Mai sollte er in den Verwaltungsrat wechseln. Dagegen regen sich nun Widerstände, den Anfang machten Politiker der Grünen und der FDP.
Das Gutachten und die bisher erfolgten Reaktionen deuten auch darauf hin, dass das Verhältnis zwischen Kardinal Reinhard Marx, seinem langjährigen Generalvikar Peter Beer (2010-2020) und dem Kirchenrechtler nicht immer spannungsfrei war. Das gilt gerade für den Umgang mit Missbrauchsfällen. Ein zunehmender Entfremdungsprozess unter den dreien ist erkennbar.
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Die Ergebnisse seien erschütternd, aber nicht mehr überraschend: Der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier erklärt im katholisch.de-Interview, wie er auf das Münchner Gutachten blickt – und gibt seine Einschätzung zur viel diskutierten Stellungnahme Benedikts XVI.
Ein umstrittenes kirchliches Strafdekret über den Wiederholungstäter Peter H., dem das WSW-Gutachten einen Sonderband widmet, trägt Wolfs Unterschrift. Nach einigem Hin und Her zwischen Deutschland und Rom wurde es im Mai 2016 ausgefertigt. Marx und Beer waren ausweislich des Gutachtens nicht zufrieden, vor allem damit nicht, dass H.s Berufsverbot zwar bestätigt, er aber nicht aus dem Klerikerstand entlassen wurde. Beer ließ daraufhin von einem Mitglied der Kanzlei WSW eine Stellungnahme einholen. Ein offenes Misstrauensvotum gegenüber Wolf.
Betroffener äußert Kritik
Dass Opferbelange bisher zu kurz gekommen seien, hat der Kirchenrichter in einem Gespräch mit den Gutachtern allgemein eingeräumt. Und zugleich darauf verwiesen, dass er als Mitglied einer Arbeitsgruppe für eine neue kirchliche Strafgerichtsbarkeit in Deutschland mit eigenen Strafgerichtshöfen sich intensiv damit auseinandergesetzt habe, dass die Opfer eine eigenständige Rolle im kirchlichen Strafverfahren bekommen sollen. Von ihm persönlich erhielten sie jede Unterstützung, die sie wollten, wenn auch nicht grenzenlos, sagte er.
In Richard Kick vom unabhängigen Betroffenenbeirat des Erzbistums hat sich nun ein erstes Opfer namentlich gemeldet, das diese Selbstdarstellung des Offizials massiv angreift.