Umdenken an der Madison Avenue
Vor Ort, so sagen manche Priester, ist er jedoch eher selten. Dolan delegiert, für die meisten Alltagsfragen ist sein Vikar zuständig. Die Entscheidung fällt er am Ende freilich immer selbst.
Keiner ist arm in der Madison Avenue
Der 64-jährige Kardinal von New York ist beliebt und wird geachtet. Als nach dem Abgang von Benedikt XVI. im März 2013 ein neuer Papst gesucht wurde, fiel auch der Name des US-Amerikaners. Doch nun sitzt der Argentinier Jorge Mario Bergoglio auf dem Heiligen Stuhl. Der heilige Franziskus sei ein Mann der Armut gewesen, sagt der Papst. Und weil eine arme Kirche für Arme anzustreben sei, habe er diesen Namen für sich gewählt.
So richtig arm ist auf der Madison Avenue niemand. Auch nicht der Kardinal. Bislang hatte das allerdings niemanden gestört. Erst seit Franziskus über Bescheidenheit predigt, zweifeln viele Katholiken in den USA, ob ihre Kirchenführer nicht einen zu glamourösen Lebensstil pflegen.
So ließ sich etwa der Erzbischof von Atlanta, Wilton Gregory, ein neues Anwesen für 2,2 Millionen Dollar einrichten. Doch lange wohnte er nicht darin. Nach nur wenigen Monaten und unzähligen erbosten Anrufen, Briefen und E-Mails wollte er das Haus wieder verkaufen. Gregory entschuldigte sich. Er habe die Auswirkungen auf die Kirchgänger außer Acht gelassen, die Jahr für Jahr mit Spenden das Bistum unterstützten, obwohl sie oft selbst nicht wüssten, wie sie ihre Mieten und Stromrechnungen bezahlen sollten.
„Der Papst hat mich inspiriert, nach Wegen zu suchen, wie wir einladender wirken können, mehr fokussiert auf jene, die sich von Jesus und der Kirche entfernt haben“
In Newark protestierten die Katholiken gegen Pläne von Erzbischof John Myers, sich ein Wochenendhaus mit Pool und Feuerstelle bauen zu lassen. In Camden, eine der kriminellsten Städte der USA, sorgte Bischof Dennis Sullivan für Unmut. Er hatte sich ein Haus für 500.000 Dollar gekauft. Und im Bundesstaat West Virginia verlangten die Katholiken gar Einsicht in die nach ihrer Meinung exzessiven Ausgaben des Bistums.
New Yorks Kardinal Dolan will in seiner Residenz auf der Madison Avenue wohnen bleiben. Franziskus habe ihn jedoch inspiriert zu prüfen, ob sich die Diözese in der Vergangenheit womöglich zu sehr auf ihre Gebäude, Institutionen und Hierarchien konzentriert habe - auf Kosten der Menschen, denen sie eigentlich dienen soll. "Ganz sicher hat mich der Papst inspiriert, nach Wegen zu suchen, wie wir einladender wirken können, mehr fokussiert auf jene, die sich von Jesus und der Kirche entfernt haben", erklärte Dolan kürzlich in einem Interview.
Ungewohnte Töne
Auch inhaltlich zeigt sich der für seine pointierten Aussagen bekannte Kirchenmann differenzierter. So sagte er kürzlich, als ihn ein Reporter auf den ersten sich öffentlich bekennenden homosexuellen Footballspieler Michael Sam ansprach: "Gut für ihn." Die Bibel lehre, nicht über die Menschen zu richten. "Also würde ich sagen: bravo." Das sind ungewohnte Töne in der US-Kirche, die ansonsten erbittert gegen eine Gleichstellung Homosexueller kämpft, fast ebenso erbittert wie gegen die Abtreibung.
Seit Jahrzehnten führen die Katholiken in den USA diese Debatten - was dem neuen Papst Franziskus insofern missfällt, als andere Themen wie Soziales oder Migration darüber oft ins Hintertreffen geraten. Doch auch das scheint derzeit in Bewegung zu kommen. So befasste sich Dolan in einem Meinungsbeitrag für die Zeitung "Washington Post" mit der Frage, wie ein Kapitalismus aussehen sollte, von dem die gesamte Gesellschaft und nicht nur wenige profitieren könnte. Und bei der Frühjahrsvollversammlung der US-Bischöfe in New Orleans wurde das Thema Armut in jenen Leitfaden aufgenommen, den die Kirche ihren Mitgliedern für politische Wahlen an die Hand gibt.
Von Stefanie Ball (KNA)