Rörig: Staat ist bei Missbrauchsfällen in der Kirche in der Pflicht
Der scheidende Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, hat eine stärkere Verantwortungsübernahme des Staates bei der Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs gefordert. "Der Staat" stehe bei der Verfolgung noch nicht strafrechtlich verjährter Sexualstraftaten im kirchlichen Kontext "uneingeschränkt in der Pflicht", heißt es in dem am Mittwoch veröffentlichten Positionspapier. Das gelte für die katholische Kirche, aber auch für alle anderen Gesellschaftsbereiche wie Sport, Schule und Familie.
Konkret plädiert Rörig für eine gesetzliche Grundlage auch für die unabhängige Aufarbeitungskommission. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP bereits darüber verständigt, dass das Amt das Missbrauchsbeauftragten gesetzlich verankert werden soll. "Der Staat muss jetzt beweisen, dass er die unabhängige Aufarbeitung sexueller Gewalt ernst nimmt und alles dafür tut, damit diese unterstützt, kritisch begleitet und kontrolliert wird", so Rörig.
Politisches Begleitgremium auf Bundesebene
Die Kommission könnte auf diese Weise institutionelle Aufarbeitungsprozesse anstoßen und sie beratend begleiten, hätte aber auch konkrete gesetzliche Befugnisse zur Akteneinsicht und für Zeugeneinladungen. Derzeit kann sie lediglich Betroffene anhören und Rückschlüsse aus ihren Schilderungen ziehen sowie Studien in Auftrag geben. Weiter spricht sich Rörig für ein fraktions- und ressortübergreifendes politisches Begleitgremium auf Bundesebene aus. Diesem Gremium solle die gestärkte Aufarbeitungskommission berichten und konkrete Empfehlungen aussprechen.
In seinem Positionspapier heißt es weiter, die katholische Kirche habe sich seit 2010 verbindlich und seit 2020 im Rahmen einer kirchenrechtlichen Ordnung normativ verpflichtet, grundsätzlich jede Missbrauchstat zur Anzeige zu bringen. Aufgabe der Länder sei es sicherzustellen, dass Ermittlungsbehörden jedem Verdacht und jeder Anzeige in "der gebotenen Weise" nachgehen könnten.
Linktipp: Missbrauchsbeauftragter Rörig will Amt vorzeitig niederlegen
Erst im Sommer schloss Johannes-Wilhelm Rörig mit der Deutschen Bischofskonferenz als erster Institution eine Aufarbeitungsvereinbarung. Trotzdem kündigte der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung nun an, sein Amt früher abzugeben als geplant.
Der Missbrauchsbeauftragte warb dafür, zügig zu handeln. Bundestag und Bundesregierung sollten noch in der ersten Jahreshälfte einen Referentenentwurf erarbeiten. Spätestens im kommenden Jahr solle auch die Aufarbeitungskommission gesetzlich verankert sein. Derzeit ist sie bis Ende 2023 befristet. Rörig selbst hatte bereits im vergangenen Jahr angekündigt, dass er sein Amt in dieser Legislatur niederlegen wolle. Zuletzt war von Ende Februar die Rede. Einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für ihn steht allerdings noch nicht fest.
Die unabhängige Aufarbeitungskommission begrüßte das Papier. Sie unterstütze "ausdrücklich" das Anliegen, dass hierbei nicht ausschließlich der Fokus auf der katholischen Kirche liegen dürfe, sondern auch andere Gesellschaftsbereiche wie der Sport, die Schule aber auch die Familie einbezogen werden müssten. Eine gesetzliche Grundlage für die Arbeit der Kommission sei unerlässlich, damit die Kommission bundesweit institutionelle Aufarbeitungsprozesse initiieren, anstoßen, begleiten, beraten sowie die Einhaltung konkreter Standards kontrollieren könne.
Ackermann: Papier bietet hilfreiche Klarstellung
Auch der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, betonte, er sei dankbar für die Veröffentlichung des Papiers. Es biete "in der aufgeheizten Diskussion" nach der Veröffentlichung des Gutachtens im Erzbistum München und Freising eine sehr hilfreiche Klarstellung. Er begrüße ausdrücklich, wenn die Kommission auf dieser Grundlage mit weitergehenden Befugnissen als bisher ausgestattet werde, um zu einer zentralen staatlichen Kontroll- und Monitoringstelle für Aufarbeitungsprozesse zu werden.
Der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz erklärte, um sexuellen Missbrauch zukünftig zu verhindern, sei es erforderlich, das Problem gesamtgesellschaftlich zu bekämpfen. Rörigs aktuelles Papier liefere erneut "wichtige Impulse, mit denen wir uns intensiv auseinandersetzen werden". Die Kirchen müssten die notwendigen und längst überfälligen Schritte angehen. (KNA)