Bisher 13 Millionen Euro Anerkennungsleistungen für Missbrauchsopfer
Die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) hat im ersten Jahr ihres Bestehens in 606 Fällen auf Anerkennungsleistungen von insgesamt 12.890.200 Euro für Betroffene von Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen entschieden. Ausgezahlt wurden davon aufgrund zuvor bereits geleisteter Zahlungen 9,4 Millionen Euro. Das geht aus dem am Freitag veröffentlichten Tätigkeitsbericht des Gremiums für das Jahr 2021 hervor. In 47 Fällen hat die UKA in besonders schweren Härtefällen höhere Leistungen als die von der Verfahrensordnung vorgesehenen 50.000 Euro zuerkannt, davon in 13 Fällen zwischen 75.000 und 100.000 Euro und in sechs fällen über 100.000 Euro. Die zuständigen kirchlichen Institutionen, die Leistungen über der Höchstgrenze zustimmen müssen, hätten in jedem dieser Fälle zugestimmt.
Anträge sind aus allen Bistümern eingegangen. Das Geschlechterverhältnis entspricht dabei der aus den Erkenntnissen der MHG-Missbrauchsstudie zu erwartenden Verteilung: Etwa 80 Prozent der Anträge wurde von Männern gestellt, etwa 20 Prozent von Frauen. Aufgrund von hohem Alter oder schwerer Erkrankung seien 128 Anträge priorisiert behandelt worden. Besonders viele Anträge liegen aus Münster (191), Freiburg (112) und Essen (104) vor, während aus Eichstätt (acht), Dresden-Meißen, Passau (beide elf) und Görlitz (2) nur wenige Fälle eingereicht worden sind, heißt es im Jahresbericht. Aus Fällen bei Orden und sonstigen Einrichtungen sind 252 Anträge eingegangen. Bei der Interpretation dieser Zahlen sei aber Vorsicht geboten, betonte der stellvertretende Vorsitzende der UKA, Ernst Hauck, da es zu Schwerpunkten aufgrund von Einrichtungen kommen könne, etwa wenn sich Taten auf ein Kinderheim konzentrierten. Außerdem hätten die einzelnen Diözesen in unterschiedlichem Maße Betroffene aktiv aufgefordert, sich zu melden. Es gebe ein erhebliches Dunkelfeld, betonte Hauck: "Nicht jeder, der betroffen ist, stellt auch einen Antrag", so der ehemalige Vorsitzende Richter am Bundessozialgericht. Er glaubt, dass Betroffene teilweise auf Anträge verzichten, um keine Retraumatisierung zu riskieren.
Änderung der Verfahrensordnung
Bis Dezember waren bei der Kommission 1.565 Anträge eingegangen, von denen 616 erledigt wurden. Damit konnten 949 Anträge aus dem Jahr 2021 in diesem Jahr nicht bearbeitet werden. Um die große Anzahl der Anträge zeitnah bearbeiten zu können, wurde im Laufe des Jahres die die Verfahrensordnung so geändert, dass nicht nur das Plenum der UKA, sondern auch bisher zwei und künftig drei Spruchkammern über Anträge entscheiden können. Dennoch zeigte sich die Vorsitzende des Gremiums, Margarete Reske, in der Pressekonferenz selbstkritisch: "Die Zahl der nicht bearbeiteten Anträge ist zu hoch, als dass wir nach unserem eigenen Anspruch zufrieden sein könnten", so die ehemalige Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Köln. Dem Bearbeitungsstau, der aufgrund des vor allem zu Beginn der Arbeit hohen Antragseingangs entstand, werde aber durch die ergriffenen Maßnahmen gut begegnet. Reske betonte, dass der Bericht angesichts der Anlaufphase nur eine Momentaufnahme darstellen könne und man noch keine endgültigen Schlüsse auf das laufende Jahr ziehen könne. Die Entwicklung sei sehr stark im Fluss.
"Das individuelle Leid der Betroffenen ist in jedem Fall einzeln zu würdigen – und das geschieht", sagte Hauck. Der Einzelfall dürfe durch das Zahlenwerk keinesfalls aus dem Blick geraten. Jeder einzelne Antrag werde intensiv vorbereitet und beraten, betonte auch Reske. "Mit den Mitgliedern der UKA hoffe ich, dass auf diese Weise das unermessliche Leid der Betroffenen eine Anerkennung erfährt, das ihnen aus der katholischen Kirche heraus in ihrer Jugend zugefügt wurde und das sich auf ihr ganzes Leben auswirkt."
Im Juni des vergangenen Jahres hatten zwei Betroffenenvertreter deutliche Kritik an der Arbeit der UKA geäußert. In einem als "Hilferuf" formulierten Brief an die Bischöfe und Generalvikare der deutschen Diözesen berichteten Patrick Bauer und Jens Windel von Rückmeldungen Betroffener, die gekennzeichnet seien "von Enttäuschung über die Höhe der Anerkennung, von Ärger über die Bearbeitungsdauer und von Frustration über die Art der Kommunikation". Die UKA wies diese Kritik zurück. "Die pauschale Wertung, durch die Entscheidung der UKA werde 'weder das tatsächlich erlittene Leid widergespiegelt, noch eine genugtuende, wertschätzende Anerkennungsleistung erbracht', nimmt die professionelle und engagierte Arbeit der Unabhängigen Kommission nicht zur Kenntnis", hieß es in einer Pressemitteilung. Die Kritik entbehre jeder Grundlage, betonte die UKA. Auch die Deutsche Bischofskonferenz, auf deren Beschluss die Kommission eingerichtet wurde, nahm keine grundsätzlichen Änderungen an der UKA vor und teilte mit, am Verfahren festhalten zu wollen.
Im September 2020 hatten die deutschen Bischöfe das seit 2018 bestehende System der "Anerkennungsleistungen" für Betroffene sexualisierter Gewalt grundlegend reformiert und eine "Verfahrensordnung zur Anerkennung des Leids von Missbrauchsopfern in der katholischen Kirche" erlassen. Der UKA gehörten zunächst vier Frauen und drei Männer aus den Bereichen Recht, Medizin und Psychologie an, im Januar wurde die Kommission um drei weitere Mitglieder aufgestockt, um schneller arbeiten zu können. (fxn)
Tätigkeitsbericht der UKA
Die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen hat ihren ersten Tätigkeitsbericht vorgelegt. Mit den Texten, Zahlen und Grafiken, die dieser Bericht enthält, soll ein nachvollziehbarer Einblick in die Arbeit der Unabhängigen Kommission und der Geschäftsstelle im Lauf des ersten Jahres 2021 gegeben werden.