Der Moskauer Patriarch steht fest zu Putin
"Als Patriarch der ganzen Rus und Primas der Kirche, deren Herde sich in Russland, der Ukraine und anderen Ländern befindet, habe ich tiefes Mitgefühl mit all denen, die von dem Unglück getroffen sind", schrieb der Vorsteher der russisch-orthodoxen Kirche, Kyrill I., am Tag des Überfalls der russischen Truppen auf das Nachbarland. Er vermied dabei die Begriffe "Angriff" und "Krieg" und erwähnte Präsident Wladimir Putin mit keinem Wort.
Stattdessen meinte er allgemein: "Ich fordere alle Konfliktparteien auf, alles zu tun, um Opfer in der Zivilbevölkerung zu vermeiden." Und er fügte hinzu: "Das russische und das ukrainische Volk haben eine gemeinsame jahrhundertealte Geschichte, die auf die Taufe der Rus (...) zurückgeht."
Es ist dieses Geschichtsbild, das eine Gemeinsamkeit zwischen Patriarch und Präsident begründet. Im Jahr 988 fand auf Initiative von Großfürst Vladimir die Taufe der "Rus" in Kiew und anderen Städten statt, wobei "Rus" die damals in Kiew und in verbündeten Ländern herrschende Dynastie bezeichnete und nicht mit dem viel später entstandenen Russland identisch ist. In dieser Hinsicht ist Kiew geografisch und geistlich ein zentraler Bezugspunkt für die – übrigens erst seit 1943 bei der Wiederherstellung des Patriarchats durch Stalin so titulierte – russisch-orthodoxe Kirche.
Diese hat nach dem Ende der Sowjetunion eine erstaunliche Wiedergeburt zu verzeichnen. So konnte sie 10.000 neue Pfarreien gründen, 30.000 neue Gotteshäuser bauen, die Zahl ihrer Diözesen verdoppeln sowie theologische Seminare eröffnen. Dabei ist die Zusammenarbeit mit dem Staat eng – der seit 2009 amtierende Kyrill lobt die "Symphonie" zwischen Kirche und Staat, hebt aber zugleich die Unabhängigkeit der Kirche hervor. Putin braucht die Kirche als Garant für traditionelle Werte, wie er sie versteht. Putin und Kyrill treffen sich regelmäßig, haben sich gegenseitig hohe Orden verliehen, und natürlich unterstützte die Kirche Putin bei den Präsidentschaftswahlen.
Die Kritik bleibt aus
Eine wie auch immer ausgestaltete "Wächterrolle" gegenüber dem Staat ist in diesem Kirchenverständnis nicht vorgesehen. Kritik an der Verfolgung und sogar Ermordung Oppositioneller war von der Kirche ebensowenig zu hören wie ein Einspruch gegen die Annexion der Krim 2014 und die Militäraktionen im Donbass oder die militärische Umzingelung der Ukraine. Bei einer Feier zum "Tag der Verteidigers des Vaterlands" behauptete Kyrill am 23. Februar wie der Kreml, Russland werde an seinen Grenzen bedroht. In seiner Predigt am 27. Februar bezeichnete er Russlands Gegner als "Kräfte des Bösen". "Wir dürfen uns nicht von dunklen und feindlichen äußeren Kräften verhöhnen lassen", betonte er.
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Wie Putin hat Kyrill kein Verständnis für eine Eigenständigkeit der Ukraine. Daher auch der heftige Widerstand gegen eine eigenständige orthodoxe Kirche in der Ukraine. Das 1992 nach der Unabhängigkeit des Landes gegründete "Kiewer Patriarchat" wurde zunächst von keiner anderen orthodoxen Kirche anerkannt. Moskau verlieh der konkurrierenden "offiziellen" ukrainisch-orthodoxen Kirche (UOK) einen "autonomen" Status, was aber nicht verhinderte, dass sie von vielen als Anhängsel Moskaus wahrgenommen wurde. Allerdings vermied es Kyrill, die Krim-Diözese aus der UOK herauszulösen. "Die Grenzen der Kirche werden nicht von politischen Präferenzen, ethnischen Unterschieden oder gar Staatsgrenzen bestimmt", erklärte der "Heilige Synod" – die Kirchenleitung – des Moskauer Patriarchats 2014. Die Krim sei und bleibe "ein unveräußerlicher Teil unserer einheitlichen und multinationalen Kirche".
Verspieltes Vertrauen in der Ukraine
Deshalb war es für Moskau eine nicht hinnehmbare Provokation, dass Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel als Ehrenoberhaupt der Orthodoxie auf jahrelanges Bitten der Regierenden in Kiew die Gründung einer unabhängigen orthodoxen Kirche der Ukraine (OUK) auf den Weg brachte – der sich die UOK nicht anschloss. Kyrill kündigte sofort die kirchliche Gemeinschaft mit Konstantinopel auf sowie mit allen Kirchen, die die neue autokephale Kirche anerkannten. Weltweit – auch in Afrika – baute er konkurrierende Strukturen zu diesen auf.
In der Ukraine selbst hat Kyrill I. aber bereits in den vergangenen Jahren viel Vertrauen verspielt, und dies dürfte sich angesichts seiner jetzigen Haltung noch verstärken. Selbst die zu seinem Patriarchat gehörende UOK unter Metropolit Onufri folgt seiner Vorgabe nicht, sondern hat sich unmissverständlich zur "staatlichen Souveränität und territorialen Integrität" der Ukraine bekannt. Ihre flehentliche Bitte an Kyrill, sein "hochpriesterliches Wort zu sprechen, damit das brudermörderische Blutvergießen auf ukrainischem Boden aufhört, und die Führung der Russischen Föderation aufzufordern, die Feindseligkeiten, die sich bereits zu einem Weltkrieg auszuweiten drohen, unverzüglich einzustellen" blieb bisher unerhört. Kyrill dürfte seinem Ziel der kirchlichen Einheit von Moskau bis Kiew einen Bärendienst erwiesen haben.