Wie der Vatikan versucht, Türen nach Moskau offenzuhalten

Warum der Patriarch mit dem Papst telefonierte

Veröffentlicht am 21.03.2022 um 12:50 Uhr – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ Das Videogespräch zwischen Franziskus und Kyrill I. war eine Überraschung – allerdings nicht völlig unerwartet. Immer wieder hatte Rom beteuert, man sei zu Vermittlungen im Krieg gegen die Ukraine bereit.

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Anfang Dezember hatte Franziskus erwähnt, er plane, sich noch im Sommer mit dem Moskauer orthodoxen Patriarchen Kyrill I. zu treffen. Aber spätestens seit Russlands Überfall auf die Ukraine schien eine solche Begegnung in weite Ferne gerückt. Ein erstes Gesprächsangebot aus Rom kurz nach Beginn des Krieges habe Kyrill I. noch abgelehnt, heißt es. Gut zwei Wochen später wollte er dann doch mit Franziskus sprechen.

Dass Papst und Patriarch am Mittwoch über eine Stunde lang per Videoschalte miteinander redeten, hat viele überrascht. Und das Ehrenoberhaupt der anglikanischen Weltkirche, Erzbischof Justin Welby von Canterbury, legte nach, telefonierte ebenfalls mit Kyrill.

Rückblickend stellte der Moskauer Patriarch seine Telefonate mit Franziskus und Welby so dar, als sei er sich mit beiden Kirchenführern weitgehend einig. Allein die bisherigen Formulierungen von Kyrill und Franziskus zur Ukraine belegen ihre völlig unterschiedliche Bewertung.

Franziskus habe klare Worte gesprochen

Bei dem rund 80-minütigen Videogespräch, so heißt es, habe Franziskus klare Worte gesprochen. Das Statement des vatikanischen Presseamtes zum Videogespräch zwischen Papst und Patriarch formulierte: "Die Kirche – da war sich der Papst mit dem Patriarchen einig – darf nicht die Sprache der Politik verwenden, sondern die Sprache Jesu." Wer den vornehmen Schleier vatikanisch-diplomatischer Formulierungen aufhebt, liest darunter eine klare Ansage des Papstes an sein Gegenüber.

Auf mögliche politische Debatten zum Ukraine-Konflikt (und nun Krieg) dürfte sich Franziskus nicht eingelassen haben. Für ihn sind Kirchenführer vor allem Hirten, keine staatlich bediensteten Kleriker; sie müssen eindeutig für Frieden und Versöhnung sprechen und arbeiten.

Seit Kriegsbeginn wurde der Papst dafür kritisiert, in seinen Friedensappellen und seiner Kritik an der Gewalt nicht Ross und Reiter zu nennen. Will sagen: Warum nimmt Franziskus die Wörter "Russland", "Moskau" und "Putin" nicht in den Mund? Dabei versteht jeder, der seine Äußerungen der vergangenen Wochen liest, wer gemeint ist. So etwa am Sonntag noch: "Leider geht die gewaltsame Aggression gegen die Ukraine unvermindert weiter; ein sinnloses Massaker, bei dem sich die Gräueltaten jeden Tag wiederholen. Dafür gibt es keine Rechtfertigung!" Dieser "verabscheuungswürdige Krieg" müssen umgehend beendet werden.

Bild: ©Vatican Media/Romano Siciliani/KNA (Archivbild)

Papst Franziskus empfing Wladimir Putin, Staatspräsident der Russischen Föderation, im Juli 2019 im Vatikan.

Etliche verteidigen die Haltung des Papstes, können sie zumindest nachvollziehen. "Wir im Westen teilen die Welt inzwischen nur noch in pro und contra Russland", sagte dieser Tage ein Europapolitiker, der an seiner Verurteilung des "völlig ungerechtfertigten Angriff" Russlands keinen Zweifel ließ. Er könne daher verstehen, wenn der Heilige Stuhl sich eine gewisse formale Zurückhaltung auferlege, um Türen zu persönlichen Kontakten nicht zuzuschlagen.

Hinzu kommt die über 100 Jahre lange Tradition päpstlicher Diplomatie, keine Namen zu nennen. Das tat Benedikt XV. (1914-1921) nicht im Ersten und Pius XII. (1939-1958) nicht im Zweiten Weltkrieg – obschon auch sie zum Ausdruck brachten, wen sie meinten.

Zu sehr von "Vorsicht gegenüber Moskau" bestimmt

Andere lassen solche Argumente nicht gelten. Die Strategie des Papstes sei zu sehr von einer "Vorsicht gegenüber Moskau" bestimmt, "um keine Schäden anzurichten", kritisiert die Theologin und Osteuropa-Expertin Regina Elsner. "Das ist in einer so eindeutig zu bestimmenden Kriegslage aber verheerend", sagte sie in einem KNA-Interview.

Je länger die Isolierung Moskaus dauert – des Patriarchats wie des Kremls –, desto wahrscheinlicher ist, dass es von dort neue Gesprächsanfragen an den Vatikan geben wird. Vor dem Obersten Kirchenrat in Moskau sagte Kyrill, wie wichtig es sei, "dass sich bei meinen persönlichen Video-Kontakten mit dem Papst und dem Erzbischof von Canterbury ein hohes Maß an Einigkeit und Verständnis gezeigt" habe. Als vielleicht wichtigsten Eindruck habe er gewonnen, "dass sich unsere Gesprächspartner nicht von uns distanziert haben oder zu unseren Feinden geworden sind". Auch ein ranghoher Vertreter des russischen Außenministeriums begrüßte die vatikanischen Vermittlungsangebote.

Der pastorale und dialogbereite Franziskus muss aufpassen, sich von so viel Schmeichelei nicht einwickeln oder doch instrumentalisieren zu lassen. Das würde der moralischen Autorität, die der Heilige Stuhl in diplomatischen und politischen Kreisen weltweit genießt, erheblich schaden.

Von Roland Juchem (KNA)