Anselm Grün zu Reformen: Manchmal müssen die Ortskirchen vorangehen
Laut dem Münsterschwarzacher Benediktinerpater Anselm Grün muss die Kirche bei Reformvorhaben nicht zwingend auf den Vatikan warten. "Manchmal müssen Ortskirchen vorangehen", sagte Grün im Interview mit der Monatszeitschrift "Einfach Leben" (April-Ausgabe). Wenn sich die deutschen Bischöfe einig seien, "haben sie eine starke Position, strukturell etwas zu verändern", so Grün im Hinblick auf den Reformprozess Synodaler Weg in der Kirche in Deutschland. Vom Papst dagegen zu erwarten, dass Frauenpriestertum "bereits morgen" weltkirchlich zu ermöglichen, wäre ungeschichtlich.
Wenn Christen Werte wie Solidarität, Gerechtigkeit und Schöpfungsverantwortung in der Gesellschaft lebten, bedeute das auch die Einhaltung sozialer Standards, Machtkontrolle, Frauenrechte und den Zugang von Frauen zu den Ämtern, so Grün weiter. All das müsse angegangen werden, "auch wenn nicht alles überall und gleichzeitig passieren wird". Doch bloße Strukturveränderungen nützten nichts, wenn es keine spirituelle Vertiefung gebe. "Kirche muss Räume eröffnen, in denen die Menschen Gott erfahren können", betonte Grün.
Gefahr für Menschen, die wenig Selbstwertgefühl haben
Ursache für die Missbrauchskrise der Kirche ist nach Grüns Einschätzung die Klerikalisierung sowie damit verbunden die Versuchung, Macht auszuüben. "Das Priesteramt ist eine Gefahr für Menschen, die wenig Selbstwertgefühl haben und der Versuchung erliegen, ihr eigenes Ego aufzublähen, indem sie in eine große Rolle ausüben", so der Ordensmann. Ein weiterer Grund sei die "Verteufelung" der Sexualität. "Wenn ich Sexualität total ablehne, entwickelt sie eine Gegenkraft und ist viel wirksamer, als wenn ich sie integriere." Mit "frommen Worten oder bloßen Vorsätzen" ließen sich diese Ursachen nicht beseitigen.
Die Kirche müsse deshalb vom "Thron der Arroganz" herabsteigen, fordert Grün. Sie müsse demütiger werden und aufhören, den Menschen ein schlechtes Gewissen zu machen. "Sie sollte Menschen aufrichten, nicht klein machen." Das sei jedoch für manche Priester und Seelsorger schwierig, "weil sie in dieser Hinwendung Abschied nehmen müssen von ihrem überhöhten Selbstbild".
Auch wenn manches in der Kirche aktuell "stirbt", habe er die Hoffnung, dass neues geboren werde, unterstrich der Ordensmann. "Eine kleinere Kirche vielleicht, aber eine authentischere." Die wichtigste Voraussetzung dafür sei ein "doppeltes Hinhören": einerseits auf die Sehnsüchte der Menschen, andererseits darauf, wie man ihnen die Botschaft Jesu in einer Sprache, in Formen der Liturgie, im Miteinander vermittelt, "dass wir sowohl ihrer Sehnsucht als auch der Botschaft Jesu gerecht werden". (mal)