Pawlo Honczaruk im Interview zur Lage in seinem Bistum

Bischof von Charkiw: Wir leisten Seelsorge im Krieg

Veröffentlicht am 31.03.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Charkiw ‐ Die Metropole Charkiw im Osten der Ukraine wird sei Wochen beschossen. Trotzdem harrt Bischof Honczaruk in der Stadt aus. Im Interview spricht er über die Situation in seinem Bistum – und darüber, wie man es schafft, die Hoffnung nicht zu verlieren.

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Pawlo Honczaruk (44) ist römisch-katholischer Bischof von Charkiw-Saporischschja in der Ostukraine. Während der russischen Offensive wurde auch die Metropole Charkiw angeriffen. Im Interview berichtet Honczaruk, wie Seelsorge in einer solchen Ausnahmesituation funktioniert.

Frage: Herr Bischof, was ist die Aufgabe der römisch-katholischen Kirche mitten im Ukraine-Krieg?

Honczaruk: Kirche, das ist die Anwesenheit Gottes. Eine klare Anwesenheit von Christus und Gott inmitten der Menschen. Wir müssen mit den Menschen sprechen, ihnen helfen. Durch Sakramente, durch Beichte, Kommunion, durch Treffen, Gespräch, durch psychische Stärkung, aber auch durch materielle. Das ist Christus, der durch seine Kirche anwesend ist inmitten der Menschen. Man muss nichts Besonderes leisten im Vergleich zu sonst, man muss einfach nur Kirche sein.

Frage: Während wir telefonieren, befinden Sie sich in Charkiw. Wie ist die Situation in der Stadt?

Honczaruk: Ich bin im Gebäude der Diözesankurie. Die ganze Nacht wurde in Charkiw geschossen, es gibt keine Ruhe. Wir werden ständig angegriffen, die Lage ist brenzlig. Auch das Dach der Kurie wurde vor ein paar Tagen von Splittern getroffen, aber niemand wurde verletzt. Die Stadt und die Straßen sind leer, die Leute sitzen in U-Bahn-Schächten oder Kellern. Man geht nur kurz raus, um eine Besorgung zu machen und versteckt sich dann. Während wie hier reden, verstecken sich 150.000 Menschen in ihren Kellern.

Frage: Wie sieht Seelsorge in solch einer Situation aus?

Honczaruk: Meine Diözese liegt in insgesamt sieben Oblasten [Gebietsbezirken, Anm.], hier in Charkow können die Menschen nicht in die Kirchen, denn die haben wir verschlossen. Es ist einfach zu gefährlich. Die Priester besuchen die Leute, gehen in Krankenhäuser. Sie schauen, was möglich ist außerhalb der Ausgangssperre, die von 6 Uhr abends bis 6 Uhr morgens gilt. Etwa Beichte abnehmen oder Gottesdienste im kleinen Kreis feiern, denn es kann keine größeren Zusammenkünfte geben. Dafür ist es zu gefährlich. Die Priester engagieren sich durch karitative Arbeit, sie organisieren Dinge, sie helfen, wo sie können. Aber auch Hilfe zu leisten, ist gefährlich. Denn die Russen schauen, wo es Stützpunkte der humanitären Hilfe gibt – und nehmen diese unter Beschuss. Wenn es kein normales Leben gibt, dann gibt es auch keine normale Seelsorge, das ist dann Seelsorge im Krieg.

„Der Krieg bringt mit sich, dass alles nah beieinander ist: der Himmel, aber auch die Hölle.“

—  Zitat: Bischof Pawlo Honczaruk von Charkiw-Saporischschja

Frage: Wenn sich Priester in Lebensgefahr begeben, ist das dann Märtyrertum?

Honczaruk: Ich weiß nicht, ob man das so bezeichnen kann. Es gibt Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Menschen, denen wir etwa Essen bringen. Die Not ist da. Da denkt niemand an Märtyrer, wir dienen den Menschen.

Frage: Wie schafft man es, die Hoffnung im Krieg nicht zu verlieren?

Honczaruk: Der Krieg bringt mit sich, dass alles nah beieinander ist: der Himmel, aber auch die Hölle. Es ist die Frage, wohin die Seele blickt. Wenn sie in Richtung Gott schaut, wird sie dadurch gestärkt. Wenn man sich aber davon abwendet, dann wird man selbst auch Hoffnungslosigkeit erleben. Und was uns hilft, eine Normalität zu bewahren, das ist der innere Zustand der Seele. Gott hilft dabei. Das beweist sich in den schwierigen Momenten. Ich danke ihm für das Geschenk des Glaubens und seiner Anwesenheit. Denn ich kann bezeugen: Er ist die Stärke.

Frage: Wie steht es um die Ökumene, oder spielt diese im Krieg keine große Rolle?

Honczaruk: Schon vor dem Krieg waren wir in guten Beziehungen mit der Orthodoxen Kirche [des Kiewer Patriarchats, Anm.] und haben uns gegenseitig besucht. Der Krieg hat uns noch mehr dazu gebracht, dass wir zusammen den Menschen helfen. Mit dem Moskauer Patriarchat geht das nicht, sie haben ein großes Problem.

Frage: Denken Sie an Flucht?

Honczaruk: Nein, ich werde keinesfalls wegfahren. Ich bleibe. Ich hätte längst gehen können, aber ich werde hier gebraucht, mein Dienst wird gebraucht und so bleibe ich bis zuletzt.

Von Markus Nowak (KNA)