Vor 25 Jahren: Als Flammen das Turiner Grabtuch bedrohten
Unter Jubel der Massen schritt der Feuerwehrmann Mario Trematore aus der brennenden Turiner Kathedrale. In seinen Händen trug er den Schrein, in dem sich eines der wohl meistuntersuchten archäologischen Objekte der Welt befand: das Turiner Grabtuch. In letzter Minute war es dem damals 44-Jährigen gelungen, das Panzerglas, hinter dem sich der Schrein befand, zu zertrümmern. Immer und immer wieder habe er auf das Glas eingeschlagen – im Wettlauf gegen die Flammen. "Gott half mir bei dieser Rettung", sagte Trematore nach dem Brand vor 25 Jahren, am 12. April 1997.
Um das Turiner Grabtuch, die "Sacra Sindone", streiten sich Forscher seit Jahrhunderten. Das 4,36 Meter lange und 1,10 Meter breite Leinentuch zeigt ein Ganzkörper-Bildnis der Vorder- und Rückseite eines Menschen. Der Körper zeigt Spuren einer Geißelung und Kreuzigung. Für viele Gläubige ist es das Leinentuch, in das Jesus von Nazareth nach seiner Kreuzigung gewickelt und bestattet wurde. Zahlreiche Christus-Darstellungen schöpfen von den Aufnahmen und Negativen des Tuches.
Doch für die Wissenschaft ist die Frage der Echtheit sowie das Zustandekommen des Abdruckes bis heute Anlass für hitzige Debatten. Mal erklären Forscher, das Tuch sei eine Fälschung, dann widerlegen andere Wissenschaftler dies wieder. Auch zum Ursprung des Leinentuchs gibt es immer wieder und bis heute neue Erkenntnisse.
Das besterforschte Stück Stoff
Die wissenschaftliche Erforschung des Grabtuchs begann mit einem Foto. In der Dunkelkammer sah der italienische Hobbyfotograf Secondo Pia 1898 das Negativbild, das erstmals deutlich die Gesichtszüge eines bärtigen Mannes zeigte. Der Körper wies Spuren zahlreicher Verwundungen auf, die zu Geißelung, Dornenkrone und Lanzenstich passten, wie sie die Evangelien beschrieben. Physiker, Chemiker und Biologen untersuchten das Leinen in der Folgezeit so häufig, dass es mittlerweile als das besterforschte Stück Stoff gilt.
Von der katholischen Kirche wird das Tuch als Ikone eingestuft. Damit steht es über einem Kunstobjekt. Vielmehr kann es als Verbindung zwischen dem Betrachter und dem Dargestellten dienen. Die von zahlreichen gewünschte Reliquie ist es damit aber bis heute nicht. Auch zur Echtheit bezieht die katholische Kirche nicht Stellung.
Erstmals erwähnt wird das Tuch im 14. Jahrhundert. Kreuzfahrer sollen es 1353 von Konstantinopel zunächst nach Chambery in Frankreich gebracht haben. Im 16. Jahrhundert überstand es bereits einen ersten Brand mit leichten Brandflecken. Eine Ordensfrau vernähte diese. Bei Konservierungsarbeiten 2002 wurden die Brandflecken entfernt.
Von Chambery aus gelangte das Tuch über Umwege in den Besitz des Hauses Savoyen. Hin und wieder wurde es ausgestellt. Anders als sein Vorgänger Papst Clemens VII. war Papst Sixtus IV. auch deutlich überzeugter von der Echtheit des Tuches. Als die Savoyen Turin zu ihrer neuen Residenzstadt erkoren, nahmen sie das Grabtuch mit. Seither befindet es sich im Dom von Turin. Einzig während des Zweiten Weltkrieges wurde das Stück offenbar in Süditalien versteckt. Erst im späten 20. Jahrhundert vererbte der ehemalige italienische König Umberto II. von Savoyen das Tuch der katholischen Kirche. Unter der Bedingung, dass es in Turin bliebe.
Kapelle erst 2018 wiedereröffnet
Seit dem 17. Jahrhundert war die eigens für diesen Zweck von Guarino Guarini (1624-1683) erbaute Grabtuchkapelle Aufbewahrungsort des Leinentuches. Der formvollendete Barockbau wurde wegen Bauschäden 1990 geschlossen. Kurz vor Ende der Restaurierung brach dort am 11. April 1997 das besagte Feuer aus, welches das Tuch bedrohte und durch das beherzte Eingreifen von Trematore verschont blieb. Nach dem Brand wurde die Kapelle rund 20 Jahre restauriert und erst 2018 wiedereröffnet.
Das Grabtuch befindet sich aber seit dem Brand in einem mit Edelgas befüllten und versiegelten Schutzbehälter. Das Edelgas soll das Objekt vor Umwelteinflüssen schützen. Nur sehr selten wird es öffentlich oder nichtöffentlich ausgestellt. Die Vitrine im Turiner Dom zeigt meist eine Reproduktion.
Zu Beginn der Corona-Pandemie wurde das Turiner Grabtuch zu einer außerordentlichen Andacht gezeigt. Der mittlerweile emeritierte Erzbischof der norditalienischen Stadt, Cesare Nosiglia, erklärte, er komme damit zahlreichen Bitten von Gläubigen nach, die "im Vertrauen auf Gottes Güte und Barmherzigkeit" um ein Ende der Pandemie beten wollten. Papst Franziskus schrieb damals, die Katholiken sollten diese Tage "in innerer Verbundenheit mit dem Leiden Christi leben, um die Gnade und Freude seiner Auferstehung zu erfahren". Eine weitere öffentliche Ausstellung ist für das Heilige Jahr 2025 geplant.