Katholische Katastrophe: Vor 75 Jahren wurde Jozef Tiso hingerichtet
Den weißen Priesterkragen soll Jozef Tiso noch unter dem Galgen getragen haben. Auch als Staatspräsident der Slowakei, auch bei seinen Treffen mit Adolf Hitler trat der kleine rundliche Mann stets im Habit des katholischen Klerikers auf. Nach einem Verfahren, das viele als Schauprozess bezeichneten, verurteilten ihn kommunistische Richter wegen der Kollaboration mit Nazideutschland zum Tod. Vor 75 Jahren, am 18. April 1947, wurde Tiso als Kriegsverbrecher hingerichtet. In der Slowakei polarisiert Tiso bis heute. Viele Slowaken, auch Kirchenleute, sehen in ihm einen Nationalhelden und treuen Katholiken, keinen Erfüllungsgehilfen des Holocaust, der er zweifellos war.
In der Kirche hätte es der Metzgerssohn, 1887 im damals zum ungarischen Teil der k. u. k. Monarchie gehörenden Vel'ka Bytca geboren, weit bringen können. Das Theologiestudium in Wien schloss er mit Bestnoten ab, wurde 1910 zum Priester geweiht, ein Jahr später promoviert. Nach Militärdienst als Kaplan an der Front erlebte Tiso den Zusammenbruch des Vielvölkerreiches 1918 als Professor für Moraltheologie am Priesterseminar. Genau wie der fast gleichaltrige Hitler beschloss er in dieser chaotischen Phase, Politiker zu werden. Und zeigte ähnliches Talent.
In der Slowakischen Volkspartei rückte Tiso bis Ende der 20er Jahre in die Führungsspitze vor. Er forderte eine autonome Slowakei innerhalb des neuen tschechoslowakischen Staates und eine Gesellschaft gemäß der Katholischen Soziallehre. Zugleich vertrat er schon als Pfarrer einen wirtschaftlich motivierten Antisemitismus. Die Juden sollten aus ihrer führenden Stellung in Handel und Bankwesen verdrängt werden, die ihnen als kleine Minderheit in der Slowakei nicht zustehe.
Tiso stimme Deportation von Juden zu
Auch deshalb hielt Hitler ihn für einen geeigneten Verbündeten, als er ab 1938 die Auflösung der Tschechoslowakei betrieb. Auf die slowakische Autonomie folgte 1939 die Unabhängigkeit. Tiso wurde autoritärer Präsident von Hitlers Gnaden - und trieb die Ausgrenzung der Juden per Gesetz voran. "Angeblich nehmen wir den Juden die Geschäfte weg, die Gewerbe, und angeblich ist das nicht christlich", erklärte er 1940 in einer Rede. "Ich sage: Es ist christlich, weil wir nur das nehmen, was sie unserem Volk schon immer genommen haben."
1942 stimmte Tiso der Deportation der slowakischen Juden zu. Von März bis August brachten die Züge fast 60.000 von ihnen in die Vernichtungslager. Die meisten wurden ermordet. Bis heute ist strittig, ob Tiso wusste, was den Menschen bevorstand.
Ein mörderischer Rassist war er nicht. Ihm ging es "nur" darum, die Juden aus dem Wirtschaftsleben zu vertreiben. Hardliner in seiner Partei versuchte er kaltzustellen, und deutsche Stellen beschwerten sich, dass Tiso "eine wirkungsvolle und zielgerichtete Lösung der Judenfrage ablehnt". Gleichwohl trug er als diktatorischer Staatschef letztlich die Verantwortung.
Nach Protesten der slowakischen Bischöfe und des päpstlichen Nuntius stoppte Tiso im Herbst 1942 die Deportationen. Kritiker sind überzeugt, Papst Pius XII. hätte gerade im Fall seines Prälaten Stellung beziehen und Tiso öffentlich verurteilen müssen. Der Kirchenhistoriker Kardinal Walter Brandmüller hielt dem entgegen, dass ein Rücktritt Tisos nur noch radikalere Figuren an die Macht gebracht hätte. Moralisch bleibt seine Herrschaft eine katholische Katastrophe.
Ohne Anzeichen von Reue
Unter Tiso folgte die Slowakei dem Großdeutschen Reich bedingungslos in den Untergang. Noch im Herbst 1944 dankte er Hitler, der ihn seinen "kleinen Priester" nannte, für die Niederschlagung des slowakischen Nationalaufstands und feierte einen Dankgottesdienst. Dabei hatte die SS im Verlauf der Kämpfe noch einmal Tausende Juden und andere Zivilisten getötet.
Wenige Monate später blieb Tiso nur noch die Flucht in ein Kloster im bayerischen Altötting. Der Münchner Kardinal Michael von Faulhaber setzte sich bei den Amerikanern vergeblich für ihn ein. Tiso wurde an die Tschechen ausgeliefert. Auch im Prozess, den die Kommunisten nicht ohne eigene Machtinteressen inszenierten, zeigte er keine Reue. Seine letzte Botschaft: "Ich fühle mich als Märtyrer des slowakischen Volkes und des antibolschewistischen Standpunkts."