Mutter der Kirche Kanadas: Vor 350 Jahren starb Marie de l'Incarnation
Ende März sprach eine Gruppe indigener Vertreter aus Kanada eine Woche lang mit Papst Franziskus über die schrecklichen Erfahrungen, die sie mit der katholischen Kirche gemacht haben. Vor allem in den Residential Schools sollte ihnen ihre indigene Herkunft ausgetrieben und an die Kultur der europäischen Einwanderer angepasst werden. Die indigenen Kinder erlebten dort immer wieder Misshandlungen, Missbrauch – und fanden auch den Tod. Diese Schuld der katholischen Kirche wirft auch einen Schatten auf das Werk der französischen Ursuline Marie de l'Incarnation. Sie starb vor 350 Jahren, am 30. April 1672.
Einerseits war sie eine von jenen Ursulinen, die weiter gingen als jede andere Frau zu ihrer Zeit, so die Historikerin Olwen Hufton in ihrem Buch "Frauenleben". Denn sie nahmen die mehrmonatige Reise über den Atlantik auf sich, um ein neues Leben für Gott in einem ihnen völlig unbekannten Land zu beginnen. Marie de l'Incarnation, so ihr Ordensname, hat als erste Nonne und Klostergründerin in der französischen Neuen Welt (später Kanada) mutig und unerschrocken Pionierarbeit geleistet. Andererseits hat sie, die Papst Johannes Paul II. 1980 als Mutter der katholischen Kirche Kanadas bei ihrer Seligsprechung pries, Mission als Assimilation betrieben – wie es damals üblich war. Heute aber wird sie, in dem Wissen um die Folgen, eher negativ bewertet.
Im Sommer 1639 reiste sie im Schiff nach Kanada
Marie Guyart wurde 1599 im französischen Tours geboren. Sie hatte schon als Kind das Bedürfnis, ins Kloster zu gehen, doch das wollte ihre Familie nicht. Stattdessen heiratete sie und bekam einen Sohn. Als ihr Mann nach zwei Jahren Ehe starb, sah sie für sich die Chance, endlich das Leben zu führen, das sie wollte. Dafür nahm sie auch die Trennung von ihrem kleinen Sohn auf sich. Im Sommer 1639 reiste sie im Schiff gemeinsam mit zwei weiteren Ursulinen nach Kanada. Die Aufgabe der Nonnen: Mädchen für die Ehe oder das Kloster zu erziehen. Sie sollten damit die europäische Gesellschaft in den Kolonien reproduzieren.
In Quebec lebten damals ein paar Hundert Menschen. Die Ursulinen bauten dort ein Kloster mit einer Schule, wo sie eine sehr unterschiedliche Gruppe von jungen Mädchen unterrichteten: die französisch geprägten Töchter der Siedler und dann die Mädchen aus den verschiedenen indigenen Gemeinschaften. Marie de l'Incarnation lernte dafür die Sprachen der Algonquin, Montagnais und der Irokesen, in denen sie Wörterbücher, Gebete und Katechismen verfasste. Die Ursulinen brachten den Mädchen Lesen und Schreiben in ihrer indigenen und der französischen Sprache bei.
Der Schwerpunkt der Ausbildung lag allerdings darauf, die Mädchen zu assimilieren. Sie schnitten ihnen die Haare nach französischem Vorbild, kleideten sie entsprechend und brachten ihnen Sticken und Malen nach französischer Art bei. Ihr Ziel war es, dass die Mädchen auf Dauer zum christlichen Glauben übertraten und damit in ihre Gemeinschaften hineinwirkten, ihre traditionellen religiösen Gebräuche aufzugeben oder – noch besser – ins Kloster einzutreten.
Soweit bekannt, ist Letzteres nicht geschehen. Die Ursulinen, voran Marie de l'Incarnation, ahnten, woran das liegen könnte: an der Klausur. Sie lebten abgetrennt von der Außenwelt, mit der sie nur durch ein Gitter kommunizieren konnten. Später kamen dann Missionarinnen für die Neue Welt aus den Orden, die nicht diese strenge Form des Ordenslebens praktizierten.
8.000 Briefe über das Leben in der Mission
Schwester Marie war eine eifrige Briefschreiberin. Man schätzt, dass sie ungefähr 8.000 Briefe verfasst hat, in denen sie ihre Adressaten in Frankreich über das Leben in der Mission informierte; darüber, was die Ursulinen in der Neuen Welt leisteten oder welche Gefahren sie zu überstehen hatten. Diese Briefe sind eine unverzichtbare Quelle für das Leben im kolonialen Kanada. Sie, die schon als Kind Visionen hatte, verfasste zudem mehrere spirituelle Abhandlungen und zwei Autobiografien.
Marie de l'Incarnation sah ihre französische Heimat nie wieder, sie starb mit 72 Jahren in Quebec. Papst Johannes Paul II. sprach sie 1980 selig, Papst Franziskus nahm sie am 3. April 2014 per Dekret ohne vorherigen Nachweis eines Wunders in den Heiligenkalender auf.