Fernziel Olympia: Der Vatikan auf dem Weg zur Sportnation
Wer das Stichwort "Vatikan" hört, denkt vermutlich an vieles – aber wohl eher nicht an Sport. Doch das ist ein Fehler, denn Sport wird im Kirchenstaat durchaus groß geschrieben. Seit 2019 gibt es mit "Athletica Vaticana" sogar einen eigenen Sportverein, der mehrere Sportarten anbietet und dessen Sportlerinnen und Sportler auch schon an internationalen Turnieren teilgenommen haben. Besonders engagiert für den Sport im Vatikan ist Monsignore Melchor Sanchez de Toca. Im Interview mit katholisch.de spricht der Untersekretär des Päpstlichen Rates für die Kultur und Präsident von "Athletica Vaticana" über die Bedeutung des Sports im Kirchenstaat, sportbegeisterte Päpste und radfahrende Priester. Außerdem äußert der Spanier sich zu der Frage, ob vatikanische Sportlerinnen und Sportler irgendwann an Olympischen Spielen teilnehmen werden.
Frage: Monsignore Sanchez de Toca, als Untersekretär des Päpstlichen Rates für die Kultur kümmern Sie sich um den Sport im Vatikan. Welche Bedeutung hat Sport für den Kirchenstaat?
Sanchez de Toca: Sport ist wichtig für die persönliche und soziale Entwicklung, das ist allgemein anerkannt. Auch Päpste haben immer wieder die Bedeutung des Sports für das körperliche und geistige Wachstum unterstrichen und die Rolle des Sports im pastoralen Leben der Kirche hervorgehoben – insbesondere, aber nicht nur, für Kinder und Jugendliche. Folglich gibt es auch in der kleinen Welt des Vatikan eine lange Sporttradition, die mit den internationalen Turnwettkämpfen unter Pius X. in den Jahren 1905 bis 1908 begonnen hat. An diesen Wettkämpfen, die innerhalb der Vatikanmauern, im Hof des Belvedere und in den Vatikanischen Gärten ausgetragen wurden, nahmen damals sogar behinderte Sportler teil.
Frage: Franziskus gilt als besonders sportbegeisterter Papst. Spüren Sie unter seinem Pontifikat Rückenwind für den Sport?
Sanchez de Toca: Papst Franziskus folgt einfach dem Weg vieler seiner Vorgänger. Pius X. erwähnte ich ja bereits, aber auch andere Päpste des 20. Jahrhunderts haben den Sport gefördert. Pius XI. etwa war als junger Mann aktiver Bergsteiger und hat sogar eine der Routen zum Gipfel des Montblanc eröffnet. Pius XII. empfing und förderte während seines Pontifikats zahlreiche katholische Sportvereine, Johannes XXIII. begrüßte die Athleten der Olympischen Spielen 1960 in Rom auf dem Petersplatz und Johannes Paul II. war selbst Sportler und ermutigte immer wieder dazu, Sport zu treiben. Franziskus folgt also einem wohlbekannten Weg.
Frage: Mit "Athletica Vaticana" hat der Vatikan 2019 erstmals einen eigenen Sportverein gegründet. Wie kann man sich diesen Verein vorstellen? Wie viele Mitglieder hat er zurzeit? Und welche Sportarten werden betrieben?
Sanchez de Toca: "Athletica Vaticana" ist ein Sportverein für Bürger, Bewohner und Angestellte des Vatikan sowie deren Verwandte ersten Grades. Grundgedanke des Vereins ist es, den Menschen im Vatikan die Möglichkeit zu bieten, unter den Farben des Vatikan Sport zu treiben. Gleichzeitig hat "Athletica Vaticana" aber auch eine "spirituelle Mission": Der Verein soll ein Botschafter des Papstes und des Evangeliums in der Welt des Sports sein. Begonnen hat der Verein mit Leichtathletik, inzwischen werden aber auch andere Sportarten wie Radsport, Padel-Tennis und Taekwondo betrieben. Und in naher Zukunft werden sicher noch weitere hinzukommen.
„Die Mitglieder von 'Athletica Vaticana' sind natürlich keine Profisportler. Einige trainieren aber sehr hart, vor allem die Jüngeren.“
Frage: Wie professionell werden die verschiedenen Sportarten betrieben? Wie hart trainieren die Sportler?
Sanchez de Toca: Die Mitglieder von "Athletica Vaticana" sind natürlich keine Profisportler. Einige trainieren aber sehr hart, vor allem die Jüngeren. Fast alle Mitglieder trainieren mehrmals pro Woche und nehmen auch regelmäßig an kleineren Wettbewerben wie Volksläufen, Radrennen oder neuerdings Padel-Meisterschaften teil. Das Training findet allerdings ausschließlich in der Freizeit statt – also neben dem Arbeits- und Familienleben und auch neben dem Leben in einer religiösen Gemeinschaft oder einer Pfarrei.
Frage: "Athletica Vaticana" kooperiert seit seiner Gründung mit dem Nationalen Olympischen Komitee Italiens. Welchem Zweck dient diese Kooperation?
Sanchez de Toca: Sie ermöglicht es vatikanischen Sportlern, an italienischen Meisterschaften und auch an internationalen Wettkämpfen teilzunehmen. Denn nur wenn ein Land Mitglied in einem internationalen Sportverband ist, dürfen seine Sportler in der entsprechenden Sportart an Wettbewerben teilnehmen. Allerdings arbeiten wir seit einiger Zeit daran, mit "Athletica Vaticana" selbst Mitglied in internationalen Verbänden zu werden – und haben diesbezüglich bereits einige Erfolge erzielt.
Frage: Sie meinen die Aufnahme von "Athletica Vaticana" in den internationalen Radsportverband UCI im vergangenen Jahr?
Sanchez de Toca: Nicht nur – auch wenn die Aufnahme in die UCI für den Sport im Vatikan ohne Zweifel ein Meilenstein war. Seitdem wurde "Athletica Vaticana" aber zusätzlich in den internationalen Taekwondo-Verband "World Taekwondo" und – gerade erst am 29. April – in den Padel-Weltverband FIP aufgenommen. Damit sind nun drei unserer Sportarten international anerkannt, und wir arbeiten daran, dass weitere Sportarten folgen werden.
Frage: Wenn ich richtig informiert bin, muss ein Land Mitglied in mindestens fünf internationalen Sportverbänden sein, um ein eigenes Olympisches Komitee gründen zu können. Dies wiederum wäre Voraussetzung für eine Mitgliedschaft im Internationalen Olympischen Komitee IOC und eine Teilnahme an Olympischen Spielen. Ist das ein Ziel für den vatikanischen Sport?
Sanchez de Toca: Wenn überhaupt, dann ist das noch ein sehr fernes Ziel, das tiefere Diskussionen innerhalb des Vatikan und eingehende Gespräche mit dem IOC über eine ganze Reihe von Fragen erfordern würde. Unser primäres Bestreben ist darauf ausgerichtet, den Sport im Vatikan zu stärken, weitere Sportarten zu etablieren und die Präsenz unserer Sportlerinnen und Sportlern bei internationalen Wettkämpfen zu erhöhen.
Frage: Sie haben die Aufnahme von "Athletica Vaticana" in den Radsportverband UCI eben als "Meilenstein" bezeichnet. Welche praktischen Konsequenzen hatte die Aufnahme in den Verband? Wird im Vatikan seither mehr Rad gefahren?
Sanchez de Toca: Die Geschichte des Fahrrads ist seit jeher eng mit dem Leben der Kirche verbunden. Vor allem in Italien wurden einst in vielen Pfarreien Fahrradclubs gegründet. In der Populärkultur wurde dieser Tradition mit den fahrradfahrenden Priestern Don Camillo und Pater Brown ein berühmtes Denkmal gesetzt. Heute gehört der Radsport weltweit zu den populärsten Sportarten und erlebt ein unglaubliches Wachstum. Und auch im Vatikan lieben es viele Angestellte – Priester wie Laien – auf den Straßen zu radeln. Das vatikanische Radsportteam ist eine kleine Gruppe von leidenschaftlichen Radfahrern, die regelmäßig an Rennen teilnehmen.
Frage: Interessant finde ich, dass "Athletica Vaticana" auch Mitglied im internationalen Taekwondo-Verband ist. Sehen Sie darin kein ethisches Problem? Immerhin ist Taekwondo ein Kampfsport, oder?
Sanchez de Toca: Den Begriff "Kampfsport" finde ich für Taekwondo nicht passend, auch wenn die Ursprünge der Sportart natürlich in den Kampfkünsten liegen. Taekwondo ist jedoch ein edler Sport, der nichts mit Gewalt zu tun hat, sondern mich mitunter eher an Ballett oder Gymnastik erinnert. Taekwondo ist eine Schule der Tugend und der Selbstdisziplin, und ich denke, dass die Sportart gerade Jugendliche viel lehren kann. Hinzu kommt für mich eine weltkirchliche Dimension: Die katholische Kirche ist nicht nur auf die westliche Welt beschränkt, sondern universell. Deshalb sollten wir auch im Sport immer offen für andere regionale Einflüsse und Traditionen sein. Aus diesem Grund gibt es zum Beispiel auch ein vatikanisches Cricket-Team.
„Das primäre Ziel von 'Athletica Vaticana' ist nicht der Kampf um Medaillen. Wir wollen vielmehr die frohmachende und friedenstiftende Botschaft des Evangeliums in die Welt des Sports tragen.“
Frage: Der internationale Sport wird immer wieder von Skandalen wie Doping, Korruption oder Wettmanipulationen erschüttert. Wie erstrebenswert ist angesichts dessen ein größeres Engagement des Vatikan im internationalen Sport? Und welche Rolle könnte der Vatikan Ihrer Ansicht nach im internationalen Sport spielen?
Sanchez de Toca: Das primäre Ziel von "Athletica Vaticana" ist nicht der Kampf um Medaillen. Wir lieben den Sport – und auch wenn Wettkämpfe natürlich dazu gehören, sind vordere Platzierungen für uns nicht entscheidend. Wir wollen vielmehr die frohmachende und friedenstiftende Botschaft des Evangeliums in die Welt des Sports tragen. Papst Franziskus hat es bei einem Treffen mit Ruderern kürzlich so formuliert: "Der Geist des Sports und die Pflege der menschlichen Freundschaft sind eine Vorbereitung darauf, nicht in die Tragödie des Kriegs zu verfallen."
Frage: Sehen Sie für vatikanische Sportlerinnen und Sportler also eine besondere moralische Verpflichtung – etwa bei der Einhaltung von Fair-Play-Regeln und einer strikten Anti-Doping-Haltung?
Sanchez de Toca: Absolut. Alles andere wäre ein Verrat am Evangelium.
Frage: 2022 ist ein großes Sportjahr: Im Februar haben bereits die Olympischen Winterspiele in Peking stattgefunden und im Dezember folgt die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Beide Austragungsorte standen und stehen wegen der schwierigen Lage der Menschenrechte in der Kritik. Was sagen Sie: Sollten Menschenrechte bei der Vergabe von sportlichen Großereignissen eine größere Rolle spielen?
Sanchez de Toca: Der Heilige Stuhl hat immer daran erinnert, dass die Menschenrechte in allen Bereichen – auch im Sport – geschützt und verteidigt werden müssen. Das 2018 vom Dikasterium für die Laien, die Familien und das Leben veröffentlichte Dokument "Giving the best of yourself" weist deutlich auf die Notwendigkeit hin, die Menschenrechte im Sport zu schützen. Die internationalen Sportverbände arbeiten nach meiner Auffassung hart daran, die Menschenrechte stärker in den Blick zu nehmen und zu schützen. Wir unterstützen das nachdrücklich, gleichwohl bleibt in dieser Hinsicht noch viel zu tun. Um es mal so zu formulieren: Die Standards für den Schutz der Menschenrechte sollten mindestens ebenso anspruchsvoll sein wie es die Qualifikationen für die Teilnahme an internationalen Wettkämpfen sind.