Die vier wichtigsten Schöpfungsmodelle

Aus dem Nichts geschaffen – oder doch nicht?

Veröffentlicht am 05.06.2022 um 12:15 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Um die Erschaffung der Welt zu beschreiben, haben sich verschiedene theologische Modelle entwickelt. Diese gehen nicht nur der Frage nach, ob Schöpfung aus Nichts geschaffen wurde. Sie widmen sich auch dem Thema der bleibenden Schöpfungstätigkeit Gottes und seiner Zugewandtheit zur Schöpfung.

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Creatio ex nihilo

Die Entwicklung der Vorstellung, Gott habe die Welt aus dem Nichts erschaffen, ist biblisch erst relativ spät fassbar. Sie entsteht erst zu einer Zeit, in der Israel mit hellenistischem Gedankengut konfrontiert wird. In 2 Makk 7,28 heißt es: "Ich bitte dich, mein Kind, schau dir den Himmel und die Erde an; sieh alles, was es da gibt, und erkenne: Gott hat das aus dem Nichts erschaffen und so entstehen auch die Menschen."

Die Lehre von der creatio ex nihilo wurde besonders deshalb wichtig, weil die hellenistische Philosophie von einem grundsätzlich anderen Konzept ausging: Hier kursierte die Vorstellung, die Welt sei von Ewigkeit her, der Kosmos habe selbst einen göttlichen Charakter und sei nicht erst von Gott ins Dasein gerufen. Die Annahme von einer Erschaffung der Welt aus dem Nichts entzieht derartigem Gedankengut den Boden. An die Stelle eines vergöttlichen Kosmos tritt der eine und einzige Gott Israels, der in vollkommener Souveränität alles, was ist, ins Dasein ruft.

Damit setzt sich die jüdisch-christliche Schöpfungsvorstellung auch von anderen, außerbiblischen Gedanken ab, insbesondere von solchen, die davon ausgehen, die Welt sei das Produkt eines Götterkampfes. Schon der erste Clemensbrief lenkt den Blick auf "den Vater und Schöpfer der ganzen Welt", der den ganzen Kosmos ins Dasein gerufen hat: "Dies alles besteht nach des großen Schöpfers und Herrn der Welt Befehl in Friede und Eintracht." Hier geht es sehr ausdrücklich um eine Absetzung von Konzepten, welche die Entstehung der Welt einer vernünftigen Weltseele zuschreiben oder von einer Emanation der Welt ausgehen. Nicht ein Demiurg hat sich die Schöpfung gebaut, sondern der Gott Israels ist der Schöpfer aller Dinge, wie Irenäus von Lyon formuliert: Es ist das Beste "das erste und wichtigste Kapitel mit Gott dem Schöpfer zu beginnen, der Himmel und Erde gemacht hat und alles, was in ihnen ist (…). Wir wollen zeigen, dass weder über ihm etwas ist, noch nach ihm, dass er nicht von jemand angetrieben, sondern nach seinem Ratschluss und freien Willen alles gemacht hat, da er allein Gott ist, allein Herr, allein Schöpfer, allein Vater, allein in sich alles enthaltend und für alles die Ursache des Daseins." Und weiter heißt es bei Irenäus: "Wir schreiben die Schöpfung der Weltenmaterie der Kraft und dem Willen des allerhöchsten Gottes zu. Das ist glaublich, annehmbar, verständig. Mit Recht heißt es in Bezug hierauf: 'Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist möglich bei Gott.' (Lk 18,27) Menschen vermögen nicht, aus nichts etwas zu machen, sondern sie bedürfen der Materie als Unterlage. Gott aber ist darin den Menschen zuerst überlegen, dass er die Materie seiner Schöpfung, die vorher nicht war, selbst erfand."

Damit ist die Lehre von der creatio ex nihilo vollends ausformuliert: Gott braucht keine Materie, aus der er die Schöpfung formen könnte. Er kann aus Nichts die Welt, mit allem, was ist, ins Dasein rufen. Er tut dies aus vollkommener Freiheit, absichtslos und souverän. Gegenüber hellenistisch-philosophischen Vorstellungen, die ein solches leugnen, setzt sich die jüdisch-christliche Schöpfungstheologie ausdrücklich ab.

Creatio ex amore

Eine Frage, die sich immer wieder aufdrängt, hängt mit der Motivation zusammen, die Gott bewegte, die Welt zu erschaffen: Warum hat Gott die Schöpfung ins Dasein gerufen? Geht man davon aus, dass Gott völlige Freiheit besitzt und nicht gezwungen war, die Welt zu erschaffen, dann muss man zugestehen, dass Gott die Schöpfung auch nicht hätte erschaffen können. Mit anderen Worten: Es muss genauso als reale Möglichkeit annehmbar sein, dass Gott die Schöpfung nicht ins Dasein gerufen hätte.

Gott musste die Welt nicht schaffen und sie ist auch nicht da, um einen Mangel aufzufüllen, den Gott verspürt hätte. Gott hat die Welt vielmehr aus reiner, unbedingter Liebe erschaffen, weil "Gottes Ehre ist der lebendige Mensch, das Leben der Menschen aber ist die Anschauung Gottes". Die Lehre von der creatio ex amore besagt also: "Gott schafft die Welt vollkommen frei, aus purer, überschwänglicher Güte, um ihr an der Fülle seines Lebens, an der unerschöpflichen Liebe zwischen Vater und Sohn im Heiligen Geist Anteil zu geben", wie Medard Kehl formuliert.

Bild: ©picture alliance / Martin Schroeder

Schöpfung aus unbedingter Liebe?

Weil Gott die Liebe ist (vgl. 1 Joh 4,16), deswegen ist sein Handeln absichtslos. Gott schafft die Welt nicht unter einer Bedingung oder weil er sie notwendig bräuchte. Die Schöpfung ist in Gottes Wesen selbst verankert, sie ist Ausdruck seiner unendlichen Liebe, die sich in der Erschaffung der Welt ausdrückt. Diese Liebe ist Gottes unbedingtes Ja zum Leben: zum Leben der Schöpfung insgesamt, zum Leben der Menschen und Tiere, zum Leben eines jeden Einzelnen. Alles, was in dieser Schöpfung lebt und west, ist in den Augen Gottes kostbar und wertvoll. Und es gibt nichts, was aus dieser Schöpferliebe herausfallen könnte. Gott bejaht die Schöpfung in ihrer Schönheit und Vielgestaltigkeit. Aber so, wie Gott liebt, so leidet er auch dann, wenn die geschöpfliche Kreatur seine Liebe missachtet, wenn die Schöpfung jene Liebe, die sie von Gott erhält, nicht widerspiegelt, sondern verderbt.

Creatio continua

Gott verlässt die Schöpfung nach dem Akt der Erschaffung der Welt nicht, er bleibt ihr beständig zugewandt. Mehr noch: Das Schöpfungswerk endet nicht nach sieben Tagen, wie es Gen 1 beschreibt, sondern die Schöpfung dauert bis zum Ende aller Tage fort.

Dass Gott die Welt in seiner Hand hält, bedeutet: Das ursprüngliche Ja, das Gott am Uranfang zu seiner Schöpfung spricht, dauert fort. Gott bleibt seiner Schöpfung in Liebe zugewandt und zwar dergestalt, dass man von einer creatio continua, also einer fortwährenden Schöpfung, sprechen kann. Diese weitere Schöpfertätigkeit Gottes beeinträchtigt aber den Selbststand der Schöpfung und die Freiheit der Geschöpfe nicht. Sie kommt vielmehr dort zum Ausdruck, wo sich die Gutheit der Schöpfung entfaltet, wo Gott immer wieder "Gras wachsen lässt für das Vieh und Pflanzen für den Ackerbau des Menschen, damit er Brot gewinne von der Erde." (Ps 104,14)

Providentia Dei

Die Schöpfung hat nicht nur einen Anfang, sondern auch ein Ziel. Am Uranfang ins Dasein gerufen läuft die Schöpfung auf ihre Vollendung zu. Diese ist dann erreicht, wenn "Gott alles in allem" sein wird (1 Kor 15,28), wenn er auf ewig bleibend in der Mitte seiner Geschöpfe wohnt.

Es wäre also falsch, anzunehmen, die Schöpfung laufe planlos ihrer Zukunft entgegen. Das Ziel der Schöpfung ist vielmehr klar formuliert: Es ist die "neue Schöpfung", jene neue Welt, welche der Seher von Patmos beschreibt. Wenn aber Gottes Vorsehung, seine providentia, schon den Lauf der Schöpfung bestimmt hat, dann drängt sich die Frage nach der Freiheit der Schöpfung auf. Anders formuliert: Wenn es eine göttliche Vorsehung gibt, bei der alles, was geschieht, einem höheren Plan folgt, dann bleibt offen, inwieweit geschöpfliche Freiheit auch wirkliche Freiheit ist. Doch Gottes Vorsehung verwirklicht sich nicht am Menschen vorbei, sondern braucht die Zustimmung des Menschen, sein Mittun und seine Antwort auf den göttlichen Ruf. Hier besitzt bleibende Gültigkeit, was Augustin so formuliert hat: "Der dich ohne dich erschaffen hat, rechtfertigt dich nicht ohne dich."

Von Fabian Brand