Die Wahrheit über eine Dynastie
Rüstungen, Münzen, Kleider – mit 200 Exponaten werden mehr als 350 Jahre Familiengeschichte illustriert: von Giovanni di Bicci bis zur Pfälzer Kurfürstin. Der Textilhandel schuf die Basis, das Bankwesen machte sie reich, und durch zum Teil skrupellose Ränkespiele kam auch politische Macht dazu: Die Dynastie der Medici brachte zahlreiche Fürsten, Könige und sogar zwei Päpste hervor. Kurator Wilfried Rosendahl hat die Bedeutung der Medici für Kunst und Politik jedoch nicht ins Zentrum der Ausstellung gestellt. Hauptdarsteller sind die Medici selbst – ihre Biographien und ihre persönlichen Schicksale – eine Familien-Saga, spannend wie „Die Tudors“ und „Die Borgia“.
Dieses Vorgehen ist aus mehreren Gründen nachvollziehbar: Erstens ist die politische Bedeutung der Medici so oft erwähnt und ihre Geschichte so oft erzählt worden, dass es im Grunde keiner weiteren Sonderausstellung bedarf. Zweitens sind die zentralen Kunstwerke der Renaissance in ganz Europa verstreut und ihr Transport sowie die Versicherungssummen unbezahlbar. Wobei ohnehin fraglich ist, ob die berühmten Museen in Florenz auch nur eine Sekunde auf ihren „David“ oder „Die Geburt der Venus“ verzichten würden.
Und drittens knüpft die Ausstellung unmittelbar an ein Forschungsprojekt an: Seit 2010 haben Wissenschaftler der Universität Florenz und des German-Mummy-Projects (GMP) mehrere Leichen aus der Familiengruft der Medici exhumiert – zuletzt Anna Maria Luisa von der Pfalz im Oktober 2012. Anschließend haben die Genetiker, Toxikologen und Radiologen des GMP die Leichen untersucht und versucht, jene Knochen, die bislang keiner Person zugeordnet werden konnten, genetisch zu identifizieren. Die Ausstellung zeigt die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts.
Krankheiten und Giftmorde
Mittels Schädelabdrücken, Gewebeproben und Computertomografien konnten die Wissenschaftler einen exakteren Blick auf die Personen hinter der Fassade des großen Namens und der glanzvollen Porträts erhaschen. Krankheiten, Giftmorde und Gendefekte lassen sich auf diese Weise auch noch nach Jahrhunderten nachweisen.
So entlarvten die Forscher auch das sogenannte „Medici-Syndrom“, eine Erbkrankheit, die in sämtlichen Generationen anzutreffen ist, als eine Mischung aus Arthritis, Wirbelsäulenversteifung und Schuppenflechte. Auf diese Weise werden die Wissenschaftler, die sonst allenfalls als Nebendarsteller agieren, zu heimlichen Stars. Kurator Rosendahl gelang es, all dem, was sonst im Hintergrund passiert, eine Bühne zu geben. So wird dröge Forschung mit Leben gefüllt und anschaulich erzählt.
Aufstieg und Fall der Familie Medici werden auf die Weise trotzdem deutlich. Durch die vielen Exponate rückt auch die Kulisse ins Rampenlicht: Schwangerschaft und Geburt, Kindererziehung, das Wirtschaftssystem, Mode, Philosophie sowie Macht und Einfluss der katholischen Kirche werden ganz nebenbei erzählt und geschickt in die Handlung eingeflochten.
Die Wandtexte geben einen schnellen Überblick über den jeweiligen Familienzweig, die historische Einordnung und die wichtigsten gesellschaftlichen Entwicklungen. Und wer sich noch tiefer in diese Nebenschauplätze einlesen möchte, kann einen Blick ins „Drehbuch“ werfen: Der Ausstellungskatalog ist mit mehr als 400 Seiten sehr umfangreich und bietet darüber hinaus viele Tipps zur vertiefenden Lektüre.
Von Michael Richmann