Markant und widersprüchlich: Vor 70 Jahren starb Kardinal Faulhaber
An ihm scheiden sich die Geister: Die einen sehen ihn als überzeugten Gegner des NS-Regimes – die anderen betrachten ihn als heimlichen Unterstützer. Für manche war er ein autoritärer Kirchenfürst, der die Demokratie zeitlebens mit Skepsis betrachtete – andere sehen bei ihm mit der Zeit zumindest eine Annäherung an das Konzept der Volksherrschaft. An diesem Sonntag ist es 70 Jahre her, dass Kardinal Michael von Faulhaber, der langjährige Erzbischof von München und Freising, starb. In der Forschung kristallisiert sich, gerade wegen der sich immer weiter verbessernden Quellenlage, ein zunehmend differenziertes Bild von einem der wohl markantesten, einflussreichsten und auch umstrittensten Bischöfe des 20. Jahrhunderts heraus.
Einen Beitrag dazu leistet auch ein Forschungsprojekt, das seit 2014 läuft. Ein Team, bestehend aus Mitarbeitern des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin und des Seminars für Kirchengeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, transkribiert Faulhabers Besuchstagebücher, die er von 1911 bis 1952, also in seiner Zeit als Bischof von Speyer und später von München und Freising, geführt hat, und gibt sie etappenweise online heraus. Sie tauchten um 2010 auf und umfassen 32 Bände im Notizbuchformat sowie etwa 400 Gesprächsprotokolle und Aktennotizen. Eine Mammutaufgabe also. Inzwischen haben die Editoren über die Hälfte geschafft: Online sind die Jahre vom 1911 bis 1919 sowie von 1933 bis 1949.
Überzeugter Monarchist
Faulhaber, Spross einer unterfränkischen Bäckersfamilie, wurde am 5. März 1869 geboren. Seine Sozialisierung im Königreich Bayern machte ihn zum überzeugten Monarchisten. Nach dem Abitur und dem Wehrdienst in der bayerischen Armee hätte er, den das Militär faszinierte, eine Offizierslaufbahn einschlagen können. Doch stattdessen trat er 1889 ins Würzburger Priesterseminar ein und wurde drei Jahr später zum Priester geweiht. 1903 trat der begabte Theologe in Straßburg eine Professur für Alttestamentliche Exegese und Biblische Theologie an. Von dort holten ihn die Wittelsbacher zurück, indem sie ihn 1911 zum Bischof des damals zu Bayern gehörenden Speyer nominierten. Das Königshaus erhob ihn 1913 in den Adelstand. 1917 wurde er schließlich Erzbischof von München und Freising, 1921 bekam er den Kardinalshut.
Der Blick in die bislang edierten Tagebücher zeigt Faulhaber als sehr disziplinierte Persönlichkeit – im Privatleben wie bei der Arbeit: Noch bis in die Nacht hinein diktiert er, selbst wenn er am nächsten Tag frühmorgens die Messe halten muss. Seine Vorliebe für Disziplin und Ordnung schlägt sich auch politisch nieder. "Die politische Ordnung muss für ihn immer eine gewisse Harmonie haben", sagt der Historiker Moritz Fischer aus dem Editoren-Team. So bricht für Faulhaber eine Welt zusammen, als die Revolution von 1918 und 1919 das Deutsche Kaiserreich und das Königreich Bayern zu Fall bringt. Von der sich konstituierenden Weimarer Republik distanziert er sich deutlich. Denn diese, so ein bekanntes Zitat Faulhabers, sei aus "Meineid und Hochverrat" heraus entstanden. Auch der Kardinal ist ein Verfechter der Dolchstoßlegende, wonach die demokratischen Kräfte Schuld an der militärischen Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg hätten.
Den Nationalsozialismus lehnte er grundsätzlich zwar ab. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten schien er aber – anders als beim für ihn chaotischen Übergang von Kaiserreich zur Weimarer Republik – keine größeren Schwierigkeiten gehabt zu haben. Einerseits sah er es als geregelten Machtübergang an, andererseits schreibt er sinngemäß in einem Tagebuch-Eintrag: Wenn es um Sittlichkeit geht, würde jetzt wieder mehr Ordnung herrschen. "Wie viele trennt er Adolf Hitler von der NS-Bewegung", sagt Moritz Fischer. In Hitler habe er einen großen Staatsmann gesehen – in der Bewegung, die Faulhaber zum Teil selbst gefährlich wird, etwa als 1938 beinahe das Erzbischöfliche Palais gestürmt wird, sieht er eine kirchenfeindliche Masse, die das Übel bringt.
Faulhaber hofft, über die Person Hitlers zu einer Verständigung mit dem NS-Regime zu kommen. 1936 wird der Kardinal auf dem Obersalzberg empfangen. Es kommt zu einem langen und zum Teil hitzigen Gespräch – mit ernüchterndem Ausgang für den Erzbischof. Im Anschluss erarbeitete er federführend die Enzyklika "Mit brennender Sorge", mit der Papst Pius XI. 1937 den Nationalsozialismus scharf verurteilte. "Meine Meinung ist aber, dass er lieber auf die Enzyklika verzichtet hätte", sagt Fischer. Am Ende sei es ein Auftrag des Papstes gewesen, dem er nachgekommen ist. "Was er da schreibt, entstammt natürlich seinem Gedankengut, aber er hätte gerne eine andere Strategie verfolgt." Eigentlich habe Faulhaber daran festgehalten, zu einem modus vivendi mit den Machthabern zu kommen, betont der Historiker. Er schreckte wohl vor einem zu lauten Protest zurück, um die Lage der Kirche nicht noch weiter zu verschlechtern.
Wieviel weiß er von den Morden an Juden?
Deportationen von Juden beobachtet Faulhaber in München sehr genau. Er schreibt, dass dies "Stadtgespräch" sei. Vermutlich weiß er auch, so die Editoren, dass ein Großteil der Juden ermordet wird. Ein ehemaliger Diplomat kommt zu ihm – mit der Bitte, der Kardinal solle "gegen die furchtbaren Judenmorde öffentlich auftreten". Doch er schweigt. Hier schwinge eine Ur-Angst aus den Zeiten des Kaiserreiches mit, sagt Moritz Fischer: "Dann würde man dem Regime in den Rücken fallen und sich damit dem Vorwurf des Dolchstoßes aussetzen." Auf die Frage verzweifelter Angehöriger deportierter Juden, ob denn gar nichts zu machen sei, antwortet Faulhaber: "Leider nicht."
Das missglückte Hitler-Attentat der Wehrmachts-Offiziere rund um Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 verurteilte Faulhaber scharf, da er einen Tyrannenmord mit Verweis auf das 5. Gebot strikt ablehnt. Er spricht von einem "ruchlosen Verbrechen". Dennoch wird er verdächtigt, Verbindungen zu den Verschwörern gehabt zu haben. Der Kardinal weist den Vorwurf als ehrenrührig zurück. Allerdings muss er einräumen, dass ihn ein Widerständler, Carl Friedrich Goerdeler, wenigstens einmal besucht hat. Nachfragen zum Inhalt der Unterredung beantwortet Faulhaber nur ausweichend.
Linktipp: Die Kirche in der "Stunde Null": Zwischen Aufbruch und Besinnung
Als am 8. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg in Europa endete, lag Deutschland materiell und moralisch in Trümmern. Die katholischen Bischöfe wurden Ansprechpartner der Besatzer und Fürsprecher der Bevölkerung. Doch sie räumten bald ein, dass auch Glieder der Kirche während des Kriegs versagt hatten.
Je näher das Kriegsende rückt, umso weniger reflektiert Faulhaber in seinen Einträgen. Er beschreibt die Alltagsgeschichte des Kriegs ziemlich drastisch, gerade die Bombenangriffe: Er notiert ganz genau, was getroffen und wer ausgebombt wurde. Nach Kriegsende konfrontiert ihn ein US-amerikanischer Colonel mit den Ausmaßen des Massenmordes an den Juden. In einem Beiblatt zu seinem Tagebuch-Eintrag schreibt Faulhaber, er hätte gerne noch zu ihm gesagt, dass die alliierten Bombenangriffe nichts anderes gewesen seien – damals eine Mainstream-Meinung unter den Deutschen. In einer eigenen Reflexion über einem Film der Alliierten über das KZ-Dachau, der der deutschen Bevölkerung gezeigt wurde, schreibt er: "Hätten wir in einem Film die unmenschlichen Bilder nach dem einen Flugüberfall amerikanischer Flieger vor Augen […]! Die Weltgeschichte wird außer dem Verbrechen in Dachau noch von anderen Schreckensbildern und Verbrechen erzählen."
In der unmittelbaren Nachkriegszeit, die schließlich in die Gründung der Bundesrepublik mündete, sah er seine Aufgabe zuallererst darin, beim (christlichen) Wiederaufbau der Gesellschaft mitzuarbeiten. Solange die Vorrechte der katholischen Kirche gesichert waren, wollte er mit der neuen Demokratie nichts zu tun haben, lautet eine alte These. "Ich habe aber den Eindruck, dass sich Faulhaber dieser Demokratie annähert", sagt Moritz Fischer. "Der Kardinal merkt, dass man in einer Demokratie doch einfacher eigene Interessen anmelden und durchsetzen kann." Gerade in der neu gegründeten CSU hat er einige Mitstreiter, bei denen seine Stimme großes Gehör findet. Zudem gibt es Hinweise, dass Faulhaber auch Einfluss auf den Parlamentarischen Rat hatte, der das Grundgesetz erarbeitete.
Gegen Kollektivschuld
Eine rigide Entnazifizierungspolitik lehnt er hingegen ab. Gegenüber den amerikanischen Besatzungsbehörden erklärt er, dass diese ein Eingriff in die nationale Souveränität sei, bei der der individuellen Schuld des Einzelnen zu wenig Raum gewidmet würde. Für Faulhaber, wie für die meisten Deutschen, gab es nach Kriegsende nur – wie er 1946 in einem offenen Brief schrieb – eine "geringe[] Anzahl von wirklichen Verbrechern". Die meisten Menschen, darunter "Beamte, Ärzte, Gelehrte" und "Offiziere von hervorragenden Eigenschaften und völlig einwandfreier Haltung" seien hingegen ohne Schuld verhaftet worden.
Faulhaber gilt seit jeher als zwiespältige Persönlichkeit. In seinen Tagebüchern trete dieser Zwiespalt noch deutlicher hervor, betont Moritz Fischer. Wenn es um sein Proprium als Bischof geht, zeigt er klare Kante. "Wenn etwa das NS-Regime die diözesanen Strukturen angreift, wenn es um katholische Vorrechte geht, Schulpolitik, Klöster, verfolgte Priester, steht er immer auf den Barrikaden." In anderen Dingen, die er als Oberhirte nicht als sein Aufgabengebiet gesehen habe, sei das allerdings anders. Wichtig für die Gesamtschau werden die Einträge in den Jahren der Weimarer Republik sein: Wenn auch diese ediert sind, hofft das Projekt-Team, wird sich zeigen, wie groß der Unterschied von Faulhabers Agieren im Vergleich zur NS-Zeit war. Eine Forschungsthese besagt nämlich, er habe sich zunehmend mit der Weimarer Republik arrangiert.
Zum einem geben die Einträge einen wichtigen Einblick in die Alltagsgeschichte der damaligen Zeit. Zum anderen könne die Figur Faulhaber für viele als "Sonde" dienen, um die verschiedenen Bereiche des Lebens im Nationalsozialismus, des Widerstands und Nicht-Widerstands gegen ihn zu zeigen. Wichtig ist laut Moritz Fischer, Faulhaber als Person der Zeitgeschichte mit ihren ganz eigenen Erfahrungen zu betrachten – und mit ihren Widersprüchen.