Vizekorporal Manuel von Däniken im Interview

Schweizergardist: Größte Alltagsgefahr sind überenthusiastische Pilger

Veröffentlicht am 31.07.2022 um 12:15 Uhr – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ Tag und Nacht beschützen sie den Papst und sind auch bei seinen Reisen stets an seine Seite: die Soldaten der Schweizergarde. Doch wozu braucht der Papst eigentlich ein militärisch ausgebildetes Korps? Das und mehr erklärt Gardist und Vizekorporal Manuel von Däniken im katholisch.de-Interview.

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Manuel von Däniken ist einer von 135 Schweizergardisten. Im Interview mit katholisch.de spricht der Vize-Korporal über die Ausrüstung der Soldaten und die Geschichte der Uniformen. Außerdem beantwortet er die Frage, ob er sich über Gardistinnen freuen würde. 

Frage: Herr von Däniken, wie sind Sie selbst dazu gekommen, Schweizergardist zu werden?

von Däniken: Mein Onkel war in den 1970er Jahren ein Gardist. Seit ich ein kleiner Junge war, hat er mir immer wieder davon erzählt. Für mich persönlich wurde es dann aktuell, als ich in die Schweizer Armee eintreten musste und ich mir danach die Frage gestellt habe, ob ich anschließend in die Garde gehen oder etwas anderes tun möchte. Die Garde hat mich immer sehr fasziniert und bei einem Romaufenthalt konnte ich kurz reinschnuppern. Das war der Moment, als ich mir gedacht habe: Das ist eine gute Sache, das mache ich.

Frage: Was ist denn heute grundsätzlich die Aufgabe der Schweizergarde?

von Däniken: Der Grundauftrag der Schweizergarde der hat sich in den 500 Jahren unserer Existenz nicht geändert: die Sicherheit des Papstes und seiner Residenz. Wir begleiten den Heiligen Vater auf seinen apostolischen Reisen, leisten Ehren- und Ordnungsdienste während der Heiligen Messen, der Audienzen oder anderer Anlässe und bewachen selbstverständlich auch das Kardinalskollegium während der Zeit der Sedisvakanz. Unsere neueste Aufgabe ist vor rund 100 Jahren dazugekommen, als der Vatikanstaat gegründet wurde, nämlich die Kontrolle der offiziellen Staatseingänge.

Manuel von Däniken ist Vize-Korporal der Schweizergarde
Bild: ©Privat

Die Schweizergarde sei ein modern ausgebildetes und ausgestattetes militärisches Korps, sagt Vize-Korporal Manuel von Däniken. "Diese Seite kennt von man uns kaum, weil man uns so nicht sieht. Das ist aber gewollt."

Frage: Wenn man einen Schweizergardisten vor sich hat, sieht man oft Menschen mit einer Hellebarde, vielleicht auch einer Rüstung. Inwiefern können Sie den Papst so überhaupt verteidigen? Das sieht ja ein bisschen aus der Zeit gefallen aus …

von Däniken: Das stimmt. Hellebarde, Säbel oder Schwert und Rüstung haben heute natürlich lediglich einen repräsentativen Charakter, die nutzen zum Personenschutz nicht mehr viel. Wir sind aber ein modern ausgebildetes und ausgestattetes militärisches Korps sowohl was die Ausrüstung als auch die Bewaffnung angeht. Diese Seite kennt von man uns kaum, weil man uns so nicht sieht. Das ist aber gewollt. Der Papst hat eine sehr spezielle Aufgabe: Er muss in erster Linie für Frieden einstehen und die Schweizergarde ist wie eine Visitenkarte des Papstes. Sie ist eines der ersten Aushängeschilder, die ein Tourist, ein Pilger oder auch ein Diplomat im Vatikan sieht. Wir können da nicht martialisch auftreten, sondern wir müssen die ganze Sache sehr dezent halten.

Frage: Bleiben wir bei den Uniformen: Welche gibt es und warum sehen sie so aus, wie sie aussehen?

von Däniken: Wir haben grundsätzlich drei Uniformen: Die bekannteste ist die dreifarbige Gala-Uniform. Sie ist im Renaissance-Stil gehalten, aber keine Entwicklung von Michelangelo, auch wenn das in vielen Rom-Reiseführern so dargestellt wird. Sie wurde rekonstruiert vom damaligen Kommandanten, Jules Repond (1910-1921) und das erste Mal 1915 getragen. In den Jahrhunderten davor hatte sich die Uniform sehr oft gemäß der Mode geändert, bis man schließlich bei einer Uniform ankam, die dem Kommandanten gar nicht gefallen und er gesagt hat: zurück zu den Wurzeln. Anhand von Gemälden in den Vatikanischen Museen und dem Petersdom hat man dann versucht, die ursprüngliche Form wiederherzustellen. Zu den Farben Blau, Gelb und Rot: Blau und Gelb sind die Farben der Familie della Rovere, der Familie des Gründerpapstes Julius II. (1503-1513) Gelb, Rot und Blau sind außerdem die Farben der Familie Medici und Clemens VII. (1523-1534) – der Papst, den die Schweizergarde während des Sacco di Roma gerettet hat – war ein Medici-Papst. Daher kommen die Farben für die Gala-Uniform, die wir praktisch jeden Tag im Dienst tragen und in der man uns kennt. Bei der Vereidigung oder an den großen Feiertagen Ostern und Weihnachten tragen die Gardisten zudem eine Rüstung. Das nennt sich dann "gran-gala", also große Gala-Uniform.

Schweizergardisten in dunkelblauer Uniform öffnen einen der Atikan-Zugänge
Bild: ©KNA/Oliver Sittel

Während der Nachtdienste und in der Ausbildung tragen die Schweizergardisten eine dunkelblaue Uniform, die auch "Piccola Tenuta" genannt wird. Diese Uniform ist eher weniger bekannt.

Frage: Welche weiteren Uniformen gibt es?

von Däniken: Während des Nachtdienstes und in der Ausbildung tragen wir eine schlichte dunkelblaue Uniform, auch "Piccola Tenuta", die auch von Jules Repond nach einem Renaissancemuster entworfen wurde. Die kennt man weniger. Daneben gibt es eine moderne Einsatzuniform, die auch dunkelblau ist und an eine moderne Militäruniform erinnert. Die wird bei den Ernstfällen, Einsätzen und Ausbildungen getragen.

Frage: Welche Ernstfälle oder Einsätze sind das?

von Däniken: Das sind Gottseidank meistens Alarme, die sich später als harmlos herausstellen. Aber natürlich müssen wir im ersten Moment so darauf reagieren, als wäre es ein großer Ernstfall. Das kann zum Beispiel dann vorkommen, wenn eine verdächtige Person an den Eingängen gesehen wurde. Dann schauen wir, wie sich das entwickelt und je nachdem wird dann der große Alarm ausgerufen, dann setzen sich alle Gardisten in Bereitschaft und bereiten sich dementsprechend vor. Wir hatten aber in den vergangenen Jahren nur ganz wenige solcher Fälle und keiner hat sich dann als schwerwiegend herausgestellt.

Frage: Wofür ist ein militärisch ausgebildetes Korps oder eine militärische Einheit im Vatikan denn überhaupt notwendig?

von Däniken: Der Vatikan ist ein souveräner Staat. Gleichzeitig muss ich betonen, dass die Schweizergarde nicht die Armee oder das Militärkorps des Vatikanstaates ist. Sondern wir sind die Leibgarde des Papstes. Das heißt, wir haben keinen Auftrag zur Territorialverteidigung, sondern unser Auftrag ist auf die Person des Bischofs von Rom konzentriert und in seiner Rolle braucht er einfach eine Leibgarde. Das mag jetzt sehr lustig klingen, aber die größte alltägliche Gefahr sind überenthusiastische Pilger, die auf ihn losstürmen oder nicht loslassen wollen. Daneben besteht eine reale Gefahr von böswilligen Zugriffen oder gar Angriffen auf den Papst aufgrund seines Amtes, das religiöse, politische und kulturelle Bedeutung hat.

Die letzten Soldaten des Papstes

Ihre farbenfrohen Uniformen machen sie weltbekannt. Doch obwohl ihre Kleidung wie aus einer vergangenen Zeit wirkt, bleibt der Auftrag der Schweizergarde aktuell: der Schutz des Stellvertreters Christi.

Frage: Aktuell wird eine neue Kaserne für die Schweizergarde geplant. Inwiefern ist eine neue Kaserne aus Ihrer Sicht als Gardist denn notwendig?

von Däniken: Die neue Kaserne ist für uns sehr wichtig. Im Jahr 2018 hat Papst Franziskus unseren Bestand von 110 auf 135 Mann erhöht und das hat dazu geführt, dass wir massive Platzprobleme haben. Wegen dieser Platzprobleme leben viele Unteroffiziere bereits außerhalb des Vatikans und nicht in der Kaserne. Das bringt einen Riss in das Gemeinschaftsgefüge der Garde, denn wir haben eigentlich ein reges Gemeinschaftsleben. Wir treffen einander oft, plaudern nach Feierabend oder trinken vielleicht mal ein Bier zusammen. Für alle, die außerhalb des Vatikan wohnen, ist es aber viel schwieriger, an diesem Gemeinschaftsleben oder auch an den Heiligen Messen bei uns teilzunehmen. Dann ist es effektiv auch so, dass wir Gardisten aktuell in einer Situation leben, die dem heutigen Standard nicht mehr entspricht, weil wir beispielsweise in Gemeinschaftszimmern leben. Jetzt könnte man sagen, dass das beim Militär dazugehört. Allerdings haben wir anders als beim Militär keine Auszeiten und können am Wochenende oder nach einer gewissen Zeit nicht nach Hause fahren. Wir hocken sieben Tage die Woche aufeinander. Und da fehlt es dann in Zweier- oder Dreierzimmern an Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten. Deshalb braucht es eine neue Kaserne.

Frage: Aufgrund dieses Neubaus wird auch immer wieder darüber spekuliert, ob es nach dem Bau auch Gardistinnen geben könnte. Wie wahrscheinlich ist das?

von Däniken: Ob Frauen aufgenommen werden, ist eine Entscheidung, die sich der Kompetenz der Garde entzieht. Diese Entscheidung liegt letztendlich beim Papst selbst, weil sie auch Auswirkungen auf andere Institutionen im Vatikan hätte, vor allem im Sicherheitsbereich. Zusätzlich ist diese Frage mit logistischen und administrativen Hürden verbunden. Denkbar ist es auf jeden Fall, momentan steht das aber nicht zur Diskussion, weil die Bedingungen dafür noch überhaupt nicht geschaffen sind.

Frage: Würden Sie sich denn persönlich über Gardistinnen freuen?

von Däniken: Ich muss ganz ehrlich sagen: Wir kommen ab und zu in Situationen, in denen wir froh wären, wenn wir Frauen in der Garde hätten. Ein ganz konkretes Beispiel sind Personenkontrollen, die ein Mann bei einer Frau nicht vornehmen darf.

Von Christoph Brüwer