Erwartungen und Skepsis vor dem Besuch des Pontifex

Päpstliche Bußreise: Das erwartet Franziskus in Kanada

Veröffentlicht am 23.07.2022 um 12:40 Uhr – Lesedauer: 

Washington/Ottawa ‐ Papst Franziskus steht vor seiner "Bußreise" nach Kanada. Er will sich entschuldigen, für Misshandlung und Gewalt an Indigenen in katholischen Internatsschulen, den "Residential Schools". Die große Geste ist aus Sicht der Betroffenen nur ein Anfang.

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Häuptling Gerald Antoine wirkt zuversichtlich. Das Bedauern des Papstes im März vor fast 200 Vertretern kanadischer Indigener in Rom erlebte er als wichtigen Schritt in Richtung Versöhnung. Franziskus' Worte "Es tut mir sehr leid" erinnerten ihn an eine Pirsch im Schnee, bei der man "frische Elchspuren sieht", erklärte der Delegationsleiter der "Assembly of First Nations". Nun soll folgen, was Chief Antoine für die Indigenen im Vatikan gefordert hatte – eine offizielle Entschuldigung von Franziskus auf kanadischem Boden für das, was Zehntausende indigene Kinder im 19. und 20. Jahrhundert auch in katholischen Internaten erleiden mussten, wo sie zu "zivilisierten Christen" erzogen werden sollten.

Der Besuch ist einzigartig. Auch wegen der Zurückhaltung von Päpsten, sich zu Fehlern der Kirche in der Vergangenheit zu bekennen. Franziskus weicht davon bei seiner 37. Auslandsreise ab. Die Visite in Übersee steht ganz im Zeichen eines kirchlichen Schuldbekenntnisses.

Der Grund für das "Mea Culpa" hatte für Aufsehen über Kanada hinaus gesorgt. Es geht um die Zwangsassimilierung indigener Kinder in mehr als 130 Internaten. Viele solcher "Residential Schools" standen unter Leitung der katholischen Kirche. Die Regierung entriss die Kinder ihren Eltern und steckte sie in die Erziehungsanstalten. Dort durften sie ihre Sprache nicht sprechen und sahen sich physischer und psychischer Misshandlung ausgesetzt, bis hin zum sexuellen Missbrauch. Die letzte Schule schloss erst in den späten 1990er Jahren ihre Pforten.

Erwartungen der Indigenen

Der "National Indian Residential School Circle of Survivors" half in Vorbereitung des Papstbesuches, eine Entschuldigung auszuarbeiten, die den Erwartungen der Indigenen entspricht. Kurz vor Beginn der Visite unterbreiteten sie einen schriftlichen Entwurf. Der Papst möge die "schweren Schäden" für die Opfer anerkennen und um Vergebung bitten. Auch Entschädigungszahlungen werden gefordert. Er glaube, dass die indigenen Völker es satthaben, immer nur zu hören, dass jemanden etwas "leid tut", so der Indigenen-Forscher der Universität Ottawa, Veldon Coburn.

Franziskus erkennt das dunkle Kapitel der Kirche in Kanada an. Rechtsexperten wie Rob Talach bewerten die Konsequenzen einer starken Geste des Papstes aber mit Skepsis. Es komme dabei wenig Konkretes für die in die Jahre gekommene letzte Generation der Opfer an katholisch geführten Internatsschulen heraus, so seine Kritik. Der in London ansässige Anwalt hat Hunderte Klagen gegen die Kirche eingereicht. Passiert sei praktisch fast nichts. Die Entschuldigung von Franziskus auf kanadischem Boden werde, so Talach, "rechtlich gesehen nicht den geringsten Unterschied machen".

Bild: ©picture alliance/associated press/Jonathan Hayward

Hunderte von Kinderleichen wurden rund um "Residential Schools" gefunden.

Erst in dieser Woche startete die kanadische Bischofskonferenz (CCCB) ein Hilfsprogramm für Indigene. Der in diesem Jahr eingerichtete Fonds soll den Aussöhnungsprozess mit den kanadischen Ureinwohnern unterstützen. Zur Verfügung stehen über 30 Millionen Dollar für die nächsten fünf Jahre. Der Fonds wird auch durch Spendengelder aus 73 kanadischen Diözesen gefüllt. Bislang sind rund 4,6 Millionen Dollar für Versöhnungsprojekte eingegangen.

Entschuldigung als Strategie

"Wir wissen, dass es politisch sehr zweckmäßig sein kann, zu sagen, dass es einem leid tut", so Indigenen-Forscher Coburn. Dies könne auch als Strategie missbraucht werden, "die indigenen Völker zu entwaffnen". Etwa durch die Aussöhnungsgesetze, die in einigen kanadischen Provinzen versuchen, außergerichtliche Einigungen möglich zu machen.

Es geht aber nicht nur um materielle Entschädigung. Für Kimberly Murray beginnt die Auseinandersetzung mit dem Leid der Indigenen nach der Papstvisite erst richtig. Die Beauftragte der kanadischen Regierung für das Auffinden der vermissten indigenen Kinder ist auf ein Phänomen gestoßen. Bloßes Mitleid mit dem Schicksal der Ureinwohner sei nicht nur zu wenig, sondern auch falsch, so die Angehörige der Kanesatake Mohawk Nation. In dieser Ecke wollten die Opfer nicht stehen.

Tatsächlich hätten sie das Gefühl, auf diese Art anders "zum Schweigen gebracht zu werden", so Murray. Sie wollten das Gegenteil. Deshalb müssten die letzten Überlebenden der Residential Schools jetzt an der Reihe sein, ihre Stimme zu erheben. "Sie haben sich bisher nicht verstanden gefühlt."

Von Thomas Spang (KNA)