Russisch-orthodoxe Kirche protestiert gegen Steinmeier-Rede
Die russisch-orthodoxe Kirche hat Kritik von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an ihrer Haltung zum Angriffskrieg gegen die Ukraine zurückgewiesen. Sie warf Steinmeier am Mittwochabend zudem einen "unverhohlenen Druck" auf die Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) vor, weil er das Recht der russischen Kirche zur Teilnahme an dem ÖRK-Treffen infrage gestellt habe.
Der Bundespräsident hatte in einer Rede vor der Vollversammlung des Weltkirchenrats in Karlsruhe verurteilt, dass der orthodoxe Moskauer Patriarch Kyrill I. Russlands Krieg gegen die Ukraine rechtfertige. Die Führer der russisch-orthodoxen Kirche lenkten ihre Gläubigen und ihre ganze Kirche, "auf einen schlimmen, ja geradezu glaubensfeindlichen und blasphemischen Irrweg", so das Staatsoberhaupt am Mittwoch. Die Kirchenführung habe "sich mit den Verbrechen des Krieges gegen die Ukraine gemein gemacht".
"Unbegründete Anschuldigungen"
Das orthodoxe Moskauer Patriarchat reagierte darauf mit einer deutlichen Antwort seines Außenamtschefs, Metropolit Antonij, der die Delegation der russischen Kirche bei dem ÖRK-Treffen in Karlsruhe leitet. Das deutsche Staatsoberhaupt habe "unbegründete Anschuldigungen" erhoben, "die alle humanitären Bemühungen des Moskauer Patriarchats im Zusammenhang mit der Konfrontation in der Ukraine völlig außer Acht ließen".
Steinmeiers Worte seien "ein Beispiel für den unverhohlenen Druck eines hochrangigen Regierungsvertreters auf die älteste innerchristliche Organisation, für die Einmischung in die internen Angelegenheiten des Ökumenischen Rats der Kirchen und für den Versuch, den friedensstiftenden und politisch neutralen Charakter dessen Arbeit infrage zu stellen", protestierte Antonij auf der Internetseite des Moskauer Patriarchats.
An der Vollversammlung des Weltkirchenrats in Karlsruhe nehmen Vertreter von rund 350 Kirchen teil. Das Ziel: gemeinsame Positionen und konkretes Handeln für die kommenden Jahre absprechen. Dem ÖRK gehören vor allem evangelische, anglikanische und orthodoxe Kirchen an. Die katholische Kirche hat Gaststatus.
Der russische Metropolit drückte die Hoffnung aus, "dass der Ökumenische Rat der Kirchen auch weiterhin eine unabhängige Plattform für den Dialog bleiben wird, die in ihrer Tätigkeit nicht einer parteiischen politischen Ordnung seitens bestimmter Staaten folgt, sondern dem Ziel, Frieden und Harmonie zu fördern".
"Wahrheit über diesen brutalen Krieg"
Steinmeier hatte gesagt, die Anwesenheit der russisch-orthodoxen Delegation sei "in diesen Zeiten keine Selbstverständlichkeit". Er erwarte von der Versammlung, dass den Vertretern der russisch-orthodoxen Kirche "die Wahrheit über diesen brutalen Krieg und Kritik an der Rolle ihrer Kirchenführung nicht erspart bleiben wird". Dialog sei kein Selbstzweck, sondern müsse Unrecht zur Sprache bringen und Opfer ebenso benennen wie Täter und deren Erfüllungsgehilfen. "Ein Dialog dagegen, der sich auf fromme Wünsche beschränkt und im Ungefähren bleibt, wird schlimmstenfalls zur Bühne für Rechtfertigung und Propaganda."
Ausdrücklich würdigte der Bundespräsident, dass sich hunderte russisch-orthodoxe Priester trotz Bedrohung durch das Regime von Kreml-Chef Wladimir Putin gegen den Krieg gestellt hätten. "Möge eure Stimme auch in dieser Versammlung ein Echo finden", sagte er
Klima im Zentrum der Vollversammlung
Unterdessen stand der Klimawandel im Zentrum des zweiten Tags der Vollversammlung. Der 1. September wird in zahlreichen Kirchen auch als "Tag der Schöpfung" begangen. Das Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel, sagte in einer Videobotschaft zu den 4.000 Delegierten aus 120 Ländern, der Klimawandel sei die größte Bedrohung für die Erde. "Der wachsende, aber ignorierte Blutzoll der steigenden globalen Temperaturen wird die Zahl der Toten aller Infektionskrankheiten zusammen übertreffen, wenn der Klimawandel nicht gebremst wird", so der Patriarch, der sich seit Jahrzehnten für den Umweltschutz engagiert.
Auch Papst Franziskus wandte sich in einer Botschaft an die Vollversammlung, die von Kurienkardinal Kurt Koch auf Spanisch verlesen wurde. Darin rief der Papst die Christen weltweit zum Kampf gegen Ungerechtigkeit und soziale Spaltungen und zu mehr Engagement für Frieden auf. "Kriege, Diskriminierung, verschiedene Formen von Ungerechtigkeit und Spaltung dauern fort, auch unter Menschen christlichen Glaubens selbst. Die globalisierte Welt, in der wir leben, verlangt von uns ein gemeinsames Zeugnis des Evangeliums als Antwort auf die dringlichen Anforderungen unserer Zeit", so Franziskus in seinem Grußwort.
Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK), die zu den Gastgebern des Welt-Treffens gehört, feierte am Nachmittag ihren jährlichen zentralen Gottesdienst zum "Tag der Schöpfung" auf dem Karlsruher Marktplatz. Er stand unter dem Motto "Die Liebe Gottes versöhnt und eint die leidende Schöpfung". Die Predigt hielt Bischof Athenagoras von Nazianzos von der Griechisch-Orthodoxen Erzdiözese von Amerika. (mpl/KNA)
1.9., 20:30 Uhr: Ergänzt um die letzten drei Absätze.