Umnutzung statt Abriss: Wie leerstehende Kirchen genutzt werden können
Die Kirchen in Deutschland verlieren Mitglieder. Jahr für Jahr gehören weniger Menschen einer der beiden großen Konfessionen an – seit diesem Jahr erstmals weniger als die Hälfte der Bevölkerung. Weniger Mitglieder, das heißt auch weniger Gottesdienstbesucher und folglich weniger Gottesdienste. Daraus erwächst letztlich das praktische Problem: Was tun mit den Kirchengebäuden, denen immer häufiger Leerstand droht? "Das größte Problem ist eine Nichtnutzung", betont Jan Ermel von der Denkmalakademie der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.
Auch wenn die Religiosität in Deutschland zwar insgesamt auf dem Rückzug sei, gebe es vielfach noch eine emotionale Verbindung zu den Kirchengebäuden, betonte Ermel. So seien die Sakralbauten vielerorts die ältesten, teilweise auch die einzigen Baudenkmäler. Von einem Abriss, so der Kunsthistoriker, sei in der Regel abzuraten – und das nicht nur aus emotionalen oder denkmalschützerischen Gründen. Schon um die Energie für das Abräumen des Materials und einen eventuellen Neubau einzusparen, sei die Umnutzung des bestehenden Raumes, sofern dessen baulicher Zustand noch gesichert ist, vorzuziehen. "Wir können es uns eigentlich nicht mehr leisten, die Bauten zum Abriss freizugeben", resümiert Ermel beim Webinar "Klettern in der Kirche? Rettung von Sakralbauten durch Umnutzung".
Seit 2000 wurden über 500 katholische Kirchen offiziell entweiht
Schon in der Geschichte fänden sich viele Beispiele, wie mit nicht mehr als solchen genutzten Sakralbauten sinnvoll umgegangen werden könne, führt der Denkmalschützer aus. Klosterkirchen, die etwa im Zuge der Säkularisierung aufgehoben wurden, seien anschließend als Räumlichkeiten für Schulen und Universitäten genutzt worden. Ähnlich sei mit einigen Kirchengebäuden in Ostdeutschland verfahren worden, die ihren Status als Sakralbauten in der DDR verloren hatten und inzwischen als Kulturzentren genutzt werden.
Ähnliche Fragen stellen sich nun wieder: Ermel verweist auf Angaben der Kirchen, wonach seit 2000 über 500 katholische Kirchen offiziell entweiht wurden – davon allein 105 im Bistum Essen – und seit 1990 fast 380 evangelische Kirchen abgerissen, verkauft oder umgenutzt wurden. Zwar versuchten die Kirchen oft, noch Einfluss auf die Weiternutzung zu nehmen. So solle etwa verhindert werden, dass aus einer Kirche ein Nachtlokal werde, sagte Ermel. Dies sei in der Realität bei Besitzerwechseln allerdings nicht ohne weiteres möglich.
Als Idealfall sieht der Kunsthistoriker die Weiternutzung einer leerstehenden Kirche für eine andere christliche Konfession vor Ort. Dies sei nicht auf katholisch und evangelisch zu beschränken, sondern schließe auch kleinere Gemeinschaften, wie orthodoxe, alt-katholische oder neuapostolische Kirche mit ein. Etwas differenzierter seien hingegen Umwidmungen von Kirchen zu Moscheen oder Synagogen zu betrachten, die auch in Deutschland bereits stattgefunden hätten, so Ermel. Dies treffe oft auf Ablehnung. Aus Sicht des Denkmalschützers sollte diese Umfunktionierung des Gebäudes hingegen unproblematisch sein, "wenn es nur um eine Hülle geht".
Als weitere positive Beispiele führt der Kunsthistoriker die Nutzung von Kirchen als Multifunktions- und Kulturräume auf. Durch derartige Nutzformen werde Raum zur Verfügung gestellt, der nicht eigens dafür neuerrichtet werden muss, sagt Ermel. Er räumte aber auch ein, dass diese Modelle "nicht überall tragfähig" seien.
Kirchen der 1960er und 1970er Jahre besonders schwierige Fälle
Der Denkmalschützer plädiert dafür, auch das innere Raumgefüge der Kirchen bei der Umnutzung erkennbar zu erhalten, da auch die innere Gestaltung für das Baudenkmal bedeutend sein könne. Gerade bei der Weiternutzung als Wohnraum führe dies allerdings oft zu Problemen, wenn dafür große Umbaumaßnahmen im Langhaus vorgenommen würden. "Der Gebäudekörper kann dann nicht mehr als Kirche erfasst werden." Eine mögliche Lösung sei es deshalb, den Umbau zu Wohnraum auf Dachgeschoss und Turm der Kirche zu beschränken.
Als besonders schwierige Fälle stuft der Denkmalschützer die in den 1960er und 1970er Jahren entstandenen Kirchen ein. Sofern nicht namhafte Architekten hinter der Planung gestanden hatten, stünden diese Bauten bei Leerstand "schnell auf der Abrissliste".