Forderungen nach strikterer Trennung von Staat und Kirche

"Wohlwollende Neutralität" angegriffen

Veröffentlicht am 07.04.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Politik

Berlin ‐ Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl formieren sich in allen Parteien außer der Union Stimmen, die eine striktere Trennung von Staat und Kirche fordern. Zur Debatte stehen der staatliche Einzug der Kirchensteuer, das kirchliche Arbeitsrecht, aber auch die historisch begründeten Staatsleistungen an die Kirchen. Bislang sind solche Stimmen - mit Ausnahme der Linken - innerhalb ihrer Parteien in der Minderheit.

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Am Wochenende kündigte die Gruppe der Laizisten in der SPD an, im Bundestagswahlprogramm die Forderung nach Abschaffung kirchlicher Privilegien verankern zu wollen. Gleiches will der Arbeitskreis Säkulare Grüne im Wahlprogramm der Grüne. Auch die Jungen Liberalen sprachen sich am Wochenende für eine Abschaffung des staatlichen Kirchensteuereinzugs aus. Der Vorsitzende Lasse Becker sagte, man komme "ja auch nicht auf die Idee, für die Freiwillige Feuerwehr, das Rote Kreuz oder für politische Parteien die Beiträge vom Staat einziehen zu lassen".

Vertrauens- und Mitgliederverlust als Grund für das Hinterfragen

Udo di Fabio, früherer Bundesverfassungsrichter, definiert das Verhältnis von Staat und Kirchen in Deutschland als "wohlwollende Neutralität": "Der Staat weiß, dass seine kulturellen Grundlagen gestärkt werden durch aktive Glaubensgemeinschaften", so der Katholik. Dass diese Architektur wieder stärker hinterfragt wird, hängt mit vielen Faktoren zusammen. Da ist der Vertrauensverlust, den die Kirchen nach dem Missbrauchsskandal - vor allem in der katholischen Kirche - seit 2010 erlitten haben. Zugleich haben die beiden großen Kirchen bei den Mitgliederzahlen rasant an Boden verloren: In drei bis vier Generationen habe es eine "tiefgreifende Entkirchlichung" gegeben, schrieb kürzlich der Münsteraner Historiker Thomas Großbölting. Katholiken und Protestanten stellen heute nur noch einen Anteil von jeweils unter 30 Prozent.

Dazu kommt, dass, so SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, die spürbare Rückkehr von Religion in den öffentlichen Raum - vor allem durch den Islam - Menschen provoziere, die aus Überzeugung ohne Bekenntnis leben. Und ihr Parteifreund Wolfgang Thierse ergänzt: "Es mehren sich die Stimmen derer, die aus dem weltanschaulich neutralen Staat einen parteiischen Staat der Religionslosen machen wollen." Religionslosigkeit könne gefährlich sein, argumentiert er auch unter Verweis auf seine DDR-Erfahrung und die schlimmsten religionslosen Verbrecher des 20. Jahrhunderts: Stalin, Hitler, Mao Zedong.

„Es mehren sich die Stimmen derer, die aus dem weltanschaulich neutralen Staat einen parteiischen Staat der Religionslosen machen wollen.“

—  Zitat: Wolfgang Thierse (SPD)

Mehrheiten für ein völlig verändertes Verhältnis von Staat und Kirche sind weder bei SPD und Grünen noch bei der FDP in Sicht. Eine Rolle Rückwärts zur antiklerikalen Haltung der SPD schlossen sowohl Parteichef Sigmar Gabriel als auch Generalsekretärin Nahles aus. Und FDP-Generalsekretär Patrick Döring erklärte am Wochenende, er sehe keine Notwendigkeit, das Nein zum staatlichen Kirchensteuereinzug ins FDP-Wahlprogramm aufzunehmen.

Keine Mehrheit, aber Veränderungen nicht ausgeschlossen

Das schließt Veränderungen nicht aus. Etwa bei den auf die Zeit Napoleons zurückgehenden Staatsleistungen, die sich pro Jahr auf über 400 Millionen Euro für beide Kirchen belaufen. Die Kirchen haben signalisiert, dass sie zu Verhandlungen bereit sind. Auch das kircheneigene Arbeitsrecht steht unter Druck: Linke und Grüne haben im Bundestag ein Streikrecht und mehr Mitbestimmung für Kirchenmitarbeiter gefordert. Im November hat das Bundesarbeitsgericht entschieden , dass Streiks in kirchlichen Betrieben nicht grundsätzlich ausgeschlossen seien, aber dann untersagt sind, wenn die Kirchen die Gewerkschaften in ihre Verhandlungen einbinden.

Zunehmend hinterfragt werden auch die Loyalitätspflichten, die insbesondere die katholische Kirche von ihren Mitarbeitern fordert. 2010 und 2011 hatten der Europäische Menschenrechtsgerichtshof und das Bundesarbeitsgericht in konkreten Einzelfällen den Kündigungen eines Essener Organisten sowie eines Chefarztes eines katholischen Krankenhauses in Düsseldorf wegen Wiederheirat nach Scheidung widersprochen, allerdings im Grundsatz das kirchliche Arbeitsrecht bestätigt. Auch bei den katholischen Bischöfen gibt es eine Debatte darüber, wie man mit geschiedenen und wiederverheirateten Mitarbeitern umgeht.

Von Christoph Arens (KNA)