Ein Brandbeschleuniger der Reformation

Vor 500 Jahren: Luthers Bibelübersetzung sorgt für eine Sensation

Veröffentlicht am 21.09.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Sprachgewalt Martin Luthers hat den deutschen Wortschatz geprägt. Vor 500 Jahren veröffentlichte er auf der Leipziger Buchmesse seine Übersetzung des Neuen Testaments in deutscher Sprache. Das Werk verbreitete sich rasend schnell.

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Martin Luther hatte es eilig. Pünktlich zur Leipziger Buchmesse am 21. September 1522 lieferte der auf der Wartburg versteckte Mönch den ersten Teil seiner Bibelübersetzung ab: das Neue Testament in deutscher Sprache.

Schnell waren die 3.000 Exemplare des sogenannten Septembertestaments vergriffen. Eine Sensation. Der Druck war von hohem künstlerischen Anspruch, gesetzt in der deutschen Schrift der "Bastarda", die sich bewusst vom Schriftbild der lateinischen Bibelausgabe absetzen sollte. Bereits im Dezember desselben Jahres wurde eine verbesserte Auflage gedruckt, und schon bald kam es zu Nachdrucken in Basel, Augsburg, Grimma und Leipzig. Der Buchdruck sorgte für eine rasend schnelle Verbreitung, ein Brandbeschleuniger der Reformation.

Nur elf Wochen

In nur elf Wochen hatte der Reformator zuvor mit Hilfe des Humanisten Philipp Melanchthon im Versteck auf der Wartburg bei Eisenach die vier Evangelien, die Apostelgeschichte, die 21 Briefe an christliche Gemeinden und Mitarbeiter sowie die Offenbarung des Johannes aus der griechischen Urfassung ins Deutsche übersetzt. In den folgenden Jahren veröffentlichte der Reformator dann auch Übersetzungen der Bücher des Alten Testaments; 1534 brachte er dann die gesamte Bibel in deutscher Sprache heraus.

Luthers Übersetzung war dabei weder die erste Übertragung der Bibel ins Deutsche noch die erste gedruckte Bibel auf Deutsch. Was herausragte und sie zum Erfolgsmodell machte, waren seine Orientierung an der gesprochenen Volkssprache und seine starken Bilder. Seine volksnahe Übersetzung und Sprachgewalt trugen wesentlich zur Bildung einer einheitlichen deutschen Sprache bei.

Formulierungen wie "jemanden auf Händen tragen", "im Schweiße Deines Angesichts" oder "wie seinen Augapfel hüten" stammen aus seinem Sprachschatz. Auch Wörter wie Lückenbüßer, friedfertig, wetterwendisch, Machtwort, Feuereifer, Langmut, Lästermaul oder Morgenland hat er bekannt gemacht. "Er ist es, der die deutsche Sprache, einen schlafenden Riesen, aufgewecket und losgebunden hat", schrieb etwa Gottfried Herder. Luther habe "durch seine gewaltige Bibelübersetzung die deutsche Sprache erst recht geschaffen", bestätigte Literaturnobelpreisträger Thomas Mann 1945.

Das Denkmal für Martin Luther in der Lutherstadt Eisleben.
Bild: ©nhermann/Fotolia.com

Das Denkmal für Martin Luther in der Lutherstadt Eisleben. Seine Orientierung an der gesprochenen Volkssprache und seine starken Bilder machten die Bibelübersetzung des Reformators zum Erfolgsmodell.

Textsinn ging Luther vor Wörtlichkeit. Durch freieres Übersetzen und den Sprachrhythmus war seine Version besonders eingängig und gut zum Vorlesen geeignet. Man müsse die Mutter im Haus, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt fragen und ihnen "aufs Maul schauen", charakterisierte er 1530 seine Art des "Dolmetschens". Dass er damit das überlieferte Wort Gottes interpretierte und teilweise Neuinterpretationen lieferte, sorgte durchaus für Kritik.

Die Geschichte der Bibelübersetzung ins Deutsche begann schon im 8. Jahrhundert: Mönche wollten die biblische Botschaft in der Sprache oder den Dialekten der Germanen weitergeben. Ob die Volkssprache überhaupt für Religiöses genutzt werden durfte, war umstritten. Die Frankfurter Synode im Jahr 794 entschied, dass man Gott nicht nur in den geheiligten Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein anbeten dürfe.

Luther fing nicht bei Null an

Zunächst entstanden Wörterbücher. In ihnen, den frühesten Schriftwerken der deutschen Sprache überhaupt, wurden lateinische Begriffe zwischen den Zeilen mit einer althochdeutschen Übersetzung erläutert. Bis ins Hochmittelalter wurden dann zunächst zentrale Gebete und einzelne Bücher der Bibel übersetzt.

Als erste vollständige Übersetzung der Bibel ins Deutsche gilt die "Bibel des Mittelalters" aus dem frühen 14. Jahrhundert. Der Verfasser ist unbekannt, wie der Germanist Karl-Heinz Göttert schreibt. Nur noch vier Handschriften haben sich erhalten. Nach Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg um 1440 gab es laut Göttert noch 18 weitere gedruckte deutsche Bibelausgaben. Luther fing also nicht bei Null an.

Luther hat aber nicht nur eine einheitliche Sprache jenseits der Dialekte begründet, sondern auch einen Schub an Alphabetisierung gebracht – schließlich sollte jeder Christ selber das Wort Gottes lesen und verstehen, auch Frauen, Handwerker und Bauern. Die katholische Tradition wehrte sich lange dagegen: Die Bibel sei den einfachen Gläubigen nur durch Vermittlung und Erklärung der Priester zugänglich, hieß es.

Von Christoph Arens (KNA)