Grenzüberschreitungen und Angstlöcher: Katholiken und die Neue Rechte
Wenn es um das Verhältnis von Katholiken zu rechtspopulistischen oder gar rechtsextremen Strömungen in der Gesellschaft geht, fällt häufig das Stichwort von der "Immunität". Katholiken, so heißt es immer wieder, seien aufgrund ihres christlichen Glaubens und ihrer damit einhergehenden Werteüberzeugungen – Stichwort Nächstenliebe – immun gegen die demokratiefeindlichen und menschenverachtenden Haltungen rechter Rattenfänger. Als Beweis für diese These wird gerne auf die kritische und teils widerständige Haltung der Katholiken während der Zeit des Nationalsozialismus oder unterdurchschnittliche Wahlergebnisse der AfD in noch stärker katholisch geprägten Regionen hingewiesen.
So eindeutig, wie es diese Beispiele nahelegen, ist die ablehnende Haltung von Katholiken zur rechten Szene jedoch nicht. Im Gegenteil: Am rechten – sich meist konservativ nennenden – Rand des katholischen Milieus gibt es bei vielen Themen inhaltliche Überschneidungen und Affinitäten mit rechtspopulistischem Gedankengut. Darauf machten in dieser Woche Expertinnen und Experten bei der Tagung "Die katholische Kirche und die radikale Rechte" des katholischen Kompetenzzentrums Demokratie und Menschenwürde aufmerksam.
„Ein Teil konservativer Christen unternimmt immer wieder Grenzüberschreitungen nach rechts.“
Die katholische Kirche sei "relativ zugänglich" für das Gedankengut der Neuen Rechten, betonte etwa der Bundesvorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), Gregor Podschun. Dies fange im Kleinen an, etwa bei der von Vertretern beider Milieus gemeinsam geteilten Skepsis gegenüber etablierten Medien – Stichwort "Lügenpresse". Noch deutlicher zeigten sich laut Podschun die Verbindungen beim "Marsch für das Leben", bei dem christliche "Lebensschützer" zuletzt Mitte September in Berlin gemeinsam mit rechten Aktivisten und Politikern wie der stellvertretenden Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion, Beatrix von Storch, marschiert seien.
Ähnlich äußerte sich auch die Publizistin Liane Bednarz. Ein Teil konservativer Christen unternehme immer wieder "Grenzüberschreitungen nach rechts", eindeutig rechtes Gedankengut sei in diesem Milieu durchaus salonfähig. Doch was ist das genau für ein Milieu? Laut Bednarz, die 2018 das Buch "Die Angstprediger" über die Unterwanderung von Gesellschaft und Kirchen durch rechte Christen veröffentlicht hat, lässt sich die Affinität zu rechten Positionen im katholischen Bereich vor allem bei einigen – nicht allen – Vertretern zweier Gruppen feststellen: "glühenden Anhängern" des emeritierten Papstes Benedikt XVI, die sich selbst als "papsttreu" bezeichneten und trotzdem wiederholt dessen – in ihren Augen zu laschen – Nachfolger Franziskus verächtlich gemacht hätten, sowie Traditionalisten, die das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) und die dort beschlossenen Reformen ablehnten.
"Wer sehr konservativ und fromm ist, ist in der Gesellschaft marginalisiert"
Als weitere Beispiele nannte die Publizistin bei der Tagung in Nürnberg unter anderem das katholische Hilfswerk "Kirche in Not", das 2015 eine Podiumsdiskussion unter dem Titel "Gegen den Strom von Meinungsdiktatur und Political Correctness" veranstaltet und damit Signalworte der Rechtspopulisten übernommen hatte, und den Dominikanerpater Wolfgang Ockenfels. Dieser habe 2017 bei einem AfD-Kongress dazu aufgerufen, AfD-kritische Bischöfe künftig mit "Herr Hohlkopf" anzureden. "Das hat mich geschockt", so Bednarz, die in ihren Ausführungen auch eine mögliche Erklärung für das Abdriften vormals konservativer Christen in das rechte politische Lager lieferte: "Wer sehr konservativ und fromm ist, ist in der Gesellschaft marginalisiert. Und das können viele nicht ertragen." Spätestens als sich die CDU unter Angela Merkel in die Mitte der Gesellschaft bewegt habe, seien viele Konservative politisch heimatlos geworden und hätten als Konsequenz nach politischen Alternativen gesucht, und diese oftmals in der AfD gefunden.
Allerdings wurde bei der Tagung auch deutlich: Die Verbindungen zwischen dem rechten Rand des katholischen Kosmos und rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien sind keine Einbahnstraße – im Gegenteil. Immer wieder berufe sich das rechte Milieu ganz gezielt auf das Christentum, um sich damit einen seriösen Anstrich zu geben, betonte Bednarz. Ein Beispiel dafür seien der bekannte rechte Verleger Götz Kubitschek und seine Frau Ellen Kositza. So habe Kubitschek in einem Beitrag beim Fernsehsender 3sat einst vom deutschen Volk als einem "Entwurf Gottes" gesprochen. Kositza wiederum habe sich in einem Fernsehinterview ganz bewusst vor christlichen Ikonen und einem Rosenkranz in Szene gesetzt.
Ähnlich äußerte sich auch die Theologin Sonja Strube – und verwies auf die historischen Grundlagen der Verbindung zwischen der rechten Szene und der katholischen Kirche. Gerade die Neue Rechte greife inhaltlich und ideologisch stark auf den katholischen Antimodernismus aus der Zeit zwischen 1850 und 1950 zurück, so die in Osnabrück tätige Theologin. Die Anschlussfähigkeit des katholischen Antimodernismus an rechte "Ideologiefragmente" zeige sich zum Beispiel bei der Abwertung anderer Religionen, einem ausgeprägten Freund-Feind-Denken, der Forderung nach Konformismus und Unterordnung sowie einer Ablehnung von Demokratie und Menschenrechten.
"Die Neue Rechte verstellt sich, um religiös statt rechts zu erscheinen"
Die Neue Rechte betreibe den Rückgriff auf den katholischen Antimodernismus aus verschiedenen Gründen, erläuterte Strube. Unter anderem erhoffe man sich eine globale Vernetzung mit anderen rechtschristlichen Gruppen sowie den Anschluss an rechtschristliche Milieus und damit auch eine Verzahnung der eigenen antidemokratischen Aussagen mit ähnlichen Aussagen einer altehrwürdigen Institution wie der Kirche. Eindringlich warnte Strube in diesem Zusammenhang davor, den "Manipulationsstrategien" der Rechten auf den Leim zu gehen: "Die Neue Rechte betreibt Mimikry; sie verstellt sich, um religiös statt rechts zu erscheinen."
„Als Kirche sollten wir stärker auf Umkehr als auf Unschuld setzen und aus Fehlern lernen, statt zu hoffen, wir seien unfehlbar.“
Teil dieser rechten Strategie sei es zum Beispiel, eigenen Publikationen einen wissenschaftlichen und theologischen Anstrich zu geben, auch wenn es sich etwa nur um einen Internetblog handele. Beispielhaft nannte die Theologin hier unter anderem das "Sankt Bonifatius Institut" des Österreichers Alexander Tschugguel, der sich unter anderem bereits von Steve Bannon habe interviewen lassen und Texte von Autoren poste, die auch bei Götz Kubitschek publiziert hätten.
Schick für "Dialog, Dialog und nochmals Dialog" mit Rechtskatholiken
Doch wie soll Kirche, wie sollen die Katholiken mit rechten Glaubensgeschwistern umgehen? Die Ideen dazu wirkten bei der Tagung in Nürnberg einigermaßen hilflos. Bambergs Erzbischof Ludwig Schick plädierte für "Dialog, Dialog und nochmals Dialog". Die Kirche müsse versuchen, Menschen, die rechten Parolen folgten, im Gespräch "zu erreichen, zu packen und zu bekehren". Hinter radikalen Einstellungen stünden häufig Ängste. Daher gelte es, mit Menschen, die weit nach rechts abgedriftet seien, "aus den Angstlöchern zu holen.
Sonja Strube appellierte zudem an die Kirche selbst, eigene Fehlurteile aus der Zeit des Antimodernismus zu korrigieren. "Als Kirche sollten wir stärker auf Umkehr als auf Unschuld setzen und aus Fehlern lernen, statt zu hoffen, wir seien unfehlbar", sagte die Theologin. Deutlich wurde zudem: Um rechten Parolen und Strategien wirkungsvoll etwas entgegenzusetzen, braucht es mehr Informationen über die Szene. Die Expertinnen und Experten plädierten vor allem für mehr Forschung – etwa zur Frage, wie sich das rechtskatholische Milieu und insbesondere die bei ihm beliebten Medien finanzierten – und mahnten die dafür notwendige Finanzierung durch die Politik und die Kirche an.