"Undenkbare Taten": Weitere Missbrauchsvorwürfe gegen Ex-Bischof
In Frankreich gibt es fünf neue Berichte über mögliche Missbrauchsfälle des emeritierten und vom Vatikan sanktionierten Bischofs Michel Santier. Weitere Personen hätten sich wegen "undenkbarer Taten" gemeldet, die Santier begangen habe, als sie junge Erwachsene waren, wie der Erzbischof von Rouen, Dominique Lebrun, laut französischen Medienberichten vom Freitag mitteilte. Die Staatsanwaltschaft sei informiert.
Mehrere weitere Bischöfe äußerten sich empört und entsetzt. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Eric de Moulins-Beaufort von Reims, kündigte für die Vollversammlung im November weitere Beratungen über Transparenz und Klarheit der Verfahren an.
Die Vorwürfe beziehen sich auf die 1990er-Jahre, als Santier als Priester des Bistums Coutances in der Region Manche in der Normandie die sogenannte "Schule des Glaubens" für junge Erwachsene leitete. Diese wurde 1989 von zwölf westfranzösischen Bischöfen gegründet und nahm in den ersten zwei Jahrzehnten ihres Bestehens etwa 300 junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren auf.
Erste Vorwürfe bereits Ende 2019 eingeräumt
Als Schulleiter hatte Santier seine geistlichen Autorität missbraucht und das Beichtsakrament für "Voyeurismus" instrumentalisiert. So hatte er zwei junge Männer dazu gebracht, sich vor ihm auszuziehen, wie das Bistum Coutances und Avranches vor einer Woche mitteilte. Nach diesen Enthüllungen hätten sich nun weitere Opfer gemeldet, hieß es.
Santier selbst hatte die ersten Vorwürfe bereits Ende 2019 eingeräumt. Doch er schwieg öffentlich, auch über seine gesundheitsbedingte Auszeit im Sommer 2020 und seinen Amtsverzicht im Januar 2021 hinaus, wohl um weitere mögliche Opfer nicht zu weiteren Anzeigen zu ermuntern. Santier wurde im Januar 2021 vorzeitig als Bischof von Creteil emeritiert und nach einer kircheninternen Untersuchung vom Vatikan mit Strafmaßnahmen belegt. Er lebt seither zurückgezogen als Seelsorger für eine Schwesterngemeinschaft und für pensionierte Priester.
Der Erzbischof von Rouen sagte der Zeitung "La Croix" (online), er habe am Donnerstag als Leiter der betroffenen Kirchenprovinz mit Santier gesprochen und ihn über die neuen Entwicklungen informiert. Er habe den 75-Jährigen aufgefordert, nun "so weit wie möglich" an der Wahrheitsfindung mitzuarbeiten.
Den Opfern drückte Lebrun sein Mitgefühl und seine Wut angesichts "unvorstellbarer Tatsachen" aus. Ihre Wünsche nach Diskretion sollten respektiert werden. Zu Vorwürfen mangelnder Transparenz des Verfahrens gegen Santier sagte der Erzbischof: "Kommunikation ist eines der Hauptfächer, die die Bischofskonferenz seit mehreren Jahren studiert." Die Arbeit daran sei eine langfristige. Lebrun erklärte, er selbst sei persönlich "entschlossen zu kommunizieren"; dabei werde er die Wünsche der Opfer berücksichtigen.
Bischöfe empört und entsetzt
Mehrere französische Bischöfe äußerten sich in einer anonymen Befragung von "La Croix" (online Freitag) empört und entsetzt über die Vorwürfe. Einer sagte, er fühle sich belogen und betrogen. Solche Fälle schadeten nicht nur massiv der Glaubwürdigkeit der Kirche, sondern auch der Botschaft des Evangeliums.
Ratlos zeigten sich befragte Bischöfe über das Schweigen Santiers. Man habe von seiner angeschlagenen Gesundheit gewusst, die als Begründung für seine vorzeitige Demission gegeben wurde. Doch auch im persönlichen Gespräch habe Santier nichts von den weiteren Hintergründen durchblicken lassen. "Dass er so lügen konnte, ist nicht das Gesicht, das ich von ihm kannte", wird einer zitiert.
Ein weiterer ließ laut der Zeitung durchblicken, dass im Zuge der Veröffentlichung des großen Missbrauchsberichts der Ciase-Kommission im Herbst 2021 die Namen dreier emeritierter Bischöfe zirkuliert seien, die sich "Sorgen" machen müssten; einer davon sei Santier gewesen. Ein anderer Befragter sprach von nur einem Namen; und zwar nicht der Santiers. (KNA)
21.10., 13:40 Uhr: Ergänzt um weitere Details.