Das Nordamerika-Kolleg: Ein Stück USA mitten in der Ewigen Stadt
Vor über 160 Jahren gründete Papst Pius IX. das Kolleg, damals mit ganzen zwölf Seminaristen aus den Vereinigten Staaten. Heute leben im North American College (NAC) rund 100 Priesteramtskandidaten, die hauptsächlich aus den USA kommen. "Im Moment haben wir auch ein paar Australier hier", merkt Reverend David Schunk an. Der hochgewachsene Priester aus San Francisco ist der Vizedirektor des Seminars, Leiter ist Monsignore Thomas Powers aus Bridgeport in Connecticut. Schunk sitzt in seinem Büro, das sich neben dem Haupteingang befindet.
An der Wand hängt ein Kreuz. Die Tür ist offen, im Nebenzimmer sitzen Sekretäre vor Computer-Bildschirmen. Auf den rund sechs Hektar Land, die exterritoriales Gebiet des Vatikan sind, befinden sich in Gebäuden mit hohen Decken und langen Fluren Klassenräume, eine englischsprachige theologische Bibliothek, ein großer Essenssaal, Schlafräume, Büros, und die Kapelle des Seminars. "Sie ist der Gottesmutter Maria geweiht, genauer gesagt ihrer Unbefleckten Empfängnis", sagt der Priester Schunk, "genau wie die gesamten Vereinigten Staaten".
Eines der größten ausländischen Priesterseminare in Rom
Im Innenhof des Hauptgebäudes steht ein viereckiger Springbrunnen mit hellblauem Wasser. Alles ist, typisch amerikanisch für öffentliche Gebäude, aus braun-gelblichem Backstein gebaut. Hier auf dem Campus gibt es auch einen Shop mit US-Produkten wie Erdnussbutter, Poptarts oder anderen Süßigkeiten. Von der Dachterrasse aus blickt man über die gesamte Stadt Rom, der Ausblick ist spektakulär. Unten drunter liegt ein Baseballfeld, makellos gepflegt, in der Mitte prangen in roter Schrift die Buchstaben NAC. Gleich nebenan geht der Blick zum Vatikan und zum Petersdom.
Das North American College ist eines der größten ausländischen Priesterseminare in Rom. Gegründet wurde es, um amerikanische Priesteramtskandidaten die weltweite Dimension der katholischen Kirche erfahren zu lassen. Damals erlebte die katholische Kirche in den USA einen Boom, insbesondere durch die massive Zuwanderung, vor allem aus Irland, Italien und Polen.
"Die Seminaristen bekommen in der Nähe zum Papst ein einzigartiges Verständnis von Kirche, das sie mit zurück in die USA und in ihre Gemeinden nehmen. So werden sie Brückenbauer zwischen Rom und Amerika", erklärt Father Schunk. "Auch wenn sie in den Vereinigten Staaten schon Menschen und Katholiken aus den unterschiedlichsten Ländern getroffen haben - mit so vielen Christen verschiedener Nationalitäten wie hier kommt man dort trotzdem nicht in Kontakt."
"In Rom wird mir regelrecht bewusst, dass die Frohe Botschaft der Christen auf der ganzen Welt verbreitet ist", sagt Marco Cerritelli. Der 29-jährige Seminarist kommt aus dem Bundesstaat Maryland und lebt seit gut einem Jahr im NAC. "Denn an der Gregoriana, wo ich studiere, treffe ich Seminaristen, Ordensleute und katholische Laien von überallher." Rom als Ort, an dem viele Märtyrer gestorben sind, schätze er sehr. "Hier kann ich direkt bei ihnen beten. Sie haben ihr Leben für den Aufbau der Kirche gegeben und passen noch heute auf sie auf."
Nicht wenige Priester, die am NAC studiert haben, machen später in der Kirche Karriere – aber das Studium in Rom ist dafür keineswegs ein Freifahrtschein. Finanziert wird das Seminar von der amerikanischen Bischofskonferenz. "Dieses Jahr sind neue Richtlinien zur Priesterausbildung für die Vereinigten Staaten herausgekommen. Derzeit gleichen wir unsere Vorgaben an sie an, damit wir im neuen Studienjahr gut starten können", erklärt Schunk. Er beginnt, in der Druckausgabe der Richtlinien zu blättern. "Die Veränderungen sind allerdings überschaubar". Mit dieser Neuheit und dem im Juli von der vatikanischen Klerus-Behörde neu ernannten Direktor Thomas Powers beginnt das Herbstsemester.
Studium am Angelicum, der Gregoriana oder Santa Croce
Der Studienalltag fängt morgens um 6.15 Uhr mit dem Morgengebet der Kirche an, den Laudes, gefolgt von der Heiligen Messe. Den Vormittag verbringen die Seminaristen in ihren Universitäten. Sie studieren meistens an Päpstlichen Universitäten wie dem "Angelicum" unter Aufsicht der Dominikaner, der Opus-Dei-Universität Santa Croce oder an der jesuitengeführten Gregoriana – je nachdem, welchen Studienschwerpunkt sie haben. Das wiederum erfolgt in Absprache mit dem Bischof ihrer Heimatdiözese in den Staaten.
"Zum Mittagessen kommen sie zurück ins Haus. Nachmittags ist dann Zeit für spirituelle Begleitung und zum Selbststudium, und für Sport oder Anderes. Um viertel vor sechs treffen wir uns in der Kapelle zur eucharistischen Anbetung und anschließend zum Abendgebet. Nach dem Abendessen ist fast immer Freizeit", sagt Schunk. Der Seminarist Marco spielt gerne Fußball. "Das größte Geschenk im Seminar ist aber, das wir alle zusammen Christus suchen und ihm nachfolgen möchten, als Gemeinschaft. Das trägt", sagt der dunkelblonde Amerikaner mit Brille. "Und ich bin dankbar für unser regelmäßiges Gebetsleben."
Ungefähr einmal in der Woche sind die angehenden Priester an verschiedenen Orten der Stadt, wo sie mitarbeiten können. "Einige sind bei den Missionarinnen der Nächstenliebe, dem von Mutter Teresa gegründeten Orden. Im Moment kommen manche Studenten auch zu einer Essensausgabe für Flüchtlinge. Andere bieten Führungen im Petersdom und in der Kirche St. Paul an. Dort begegnen sie Touristen verschiedenster Länder und Kulturen und können diese der Katholischen Kirche näherbringen", so der Vizedirektor. "Diese Werke der Nächstenliebe sind prägend. Die Studenten lernen so, ihr Leben wie Christus für die Anderen hinzugeben."
Die Seminaristen stehen außerdem in Kontakt mit den englisch- und spanischsprachigen Gemeinden in und um Rom. Östlich der Spanischen Treppe, am anderen Ende der Stadt, liegt San Patrizio. Diese dem irischen Nationalheiligen Saint Patrick geweihte Kirche dient den in Rom lebenden amerikanischen Katholiken als Nationalkirche.
Auch menschliche Weiterbildung spielt Rolle
Father Matthew Berrios ist dort seit zwei Jahren Priester. "Die Studenten vom North American College kommen regelmäßig zu uns und geben den Kindern Bibelunterricht, manchmal auch den Erwachsenen. Das hilft uns. Sie können sich für so etwas Zeit nehmen und haben viel Elan", sagt der Paulinerpater, "die machen das schön". Nicht nur der Gemeinde selber, sondern auch den Seminaristen komme die Zusammenarbeit zu Gute: "Hier sammeln sie Praxiserfahrungen und kommen mit den Gläubigen in Kontakt," so Father Matthew. "Als Diakone dürfen sie dann auch schon mal predigen". Das NAC möchte seine Studenten zu guten Priestern ausbilden. "Das ist das wichtigste", betont Schunk.
Mitunter spiele die menschliche Weiterbildung hier eine Rolle. Die Seminaristen erhalten von eigenen Lehrern Unterricht über Themen wie zum Beispiel Selbstkenntnis und Selbstannahme und Reife in den zwischenmenschlichen Beziehungen. "Aber die menschliche Weiterentwicklung findet nicht nur im Unterricht statt", so Schunk, "sondern vor allem durch das Zusammenleben im Alltag. Die Studenten wachsen und reifen, indem sie füreinander sorgen. Das machen sie ziemlich gut, denn sie unterstützen sich großzügig. Mit Blick auf ihre Berufung zum Priester sollen sie lernen, eine Brücke zwischen Gott und den Menschen zu sein. Diese Frage müssen sie sich stellen: Bin ich eine Brücke, und bringe die Menschen durch meine Art zu leben näher zu Gott, oder bin ich da eher ein Hindernis?"
Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele, die am NAC studiert haben, später gute Chancen haben, Bischof in den USA werden. Sie können wichtige Brückenbauer zwischen Rom und den USA werden, denn nicht in allen Fragen denken der Vatikan und die US-amerikanische Bischofskonferenz immer gleich. Doch darüber spricht man im römischen Seminar der Nordamerikaner nicht mit Journalisten. Jede Interviewantwort eines Seminaristen muss zuvor vom Heimatbistum in den USA genehmigt werden.