Mainzer Queer-Seelsorger: Wollen eine grundsätzliche Veränderung
In vielen Gesprächen in den vergangenen Jahren sei ihm deutlich geworden, wie sich Menschen mit einer "nicht heterosexuellen Orientierung durch die Kirche, ihre Lehre und das konkrete Verhalten ausgegrenzt und verletzt fühlen", sagte der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf im März – und ernannte den Priester Mathias Berger und die Pastoralreferentin Christine Schardt zum 1. April als "Beauftragte für queersensible Pastoral". Die öffentliche Beauftragungsfeier fand am 9. Oktober statt. Im katholisch.de-Interview spricht Berger nun über seinen Auftrag und seine Ziele.
Frage: Herr Berger, gemeinsam mit Ihrer Kollegin Christine Schardt arbeiten Sie seit dem 1. April als Beauftragter für queersensible Pastoral im Bistum Mainz. Wie viele Gespräche mit queeren katholischen Menschen haben Sie bisher führen können?
Berger: Das kommt auf die Perspektive an: Auf der einen Seite ganz viele, auf der anderen Seite – im Sinne von seelsorglichen Einzelgesprächen – noch wenige. In unserer Kommunikation mit queeren Netzwerken und Fachverbänden passiert momentan sehr viel, weil wir nicht ohne die intensive Rückkopplung an diese organisierten Gruppierungen im queeren Bereich starten wollten. Uns ist sehr bewusst, dass wir erstmal eine Öffentlichkeit schaffen müssen, damit die Kirche unter queeren Menschen überhaupt wieder als Ansprechpartnerin wahrgenommen wird. Das hat die Kirche den Menschen vor allem im Bereich sexueller Orientierung und geschlechtlicher Vielfalt abgewöhnt. Wir wollen im Bistum Mainz jetzt ein deutliches Zeichen setzen, dass sich das ändert.
Frage: Bei der vierten Synodalversammlung im September wurde der Grundtext zu einer veränderten Sexualethik abgelehnt, was zu großen Verwerfungen geführt hat. Wie oft war das in den Gesprächen mit queeren Menschen im Nachgang ein Thema?
Berger: Auf Ebene der queeren Organisationen war das sehr oft ein Thema. Zwei Frauen aus dem Netzwerk katholischer Lesben haben uns schon wenige Minuten nach der Entscheidung geschrieben, dass das für sie wieder ein Schlag in die Magengrube war, weil es nicht nur um Seelsorge geht, sondern um eine grundsätzlich neue Sicht auf Sexualität, auf nicht-heterosexuelle Beziehungen und auf Menschen, die sich nicht der weithin vorausgesetzten Bipolarität der Geschlechter zuordnen. Das ist ein Drama, auch wenn die Synodalen noch ein paar Handlungstexte beschließen konnten, die im Grunde auf dieser positiven Würdigung aufbauen.
Frage: Für viele queere Menschen ist es sicherlich nicht das erste Mal, dass sie solche Enttäuschungen und Verletzungen erlitten haben. Was motiviert die Menschen trotzdem noch, zu Ihnen zu kommen?
Berger: Für viele von ihnen ist die katholische Kirche weiterhin eine Heimat im Glauben, auch durch ihre Spiritualität und ihre Riten. Ruth Gleißner, eine der Sprecher*innen des Netzwerks katholischer Lesben, sagt zum Beispiel: Ich hänge an dieser Kirche und ich möchte es noch erleben, dass uns als Lesben in dieser Kirche mit gleichen Rechten und mit gleicher Achtung begegnet wird – so wie sich das in einer christlichen Kirche gehört. Aber es gibt sicherlich einen Punkt, an dem viele diese Bindung nicht mehr aufrechterhalten können.
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Frage: Haben die Entscheidungen des Synodalen Wegs einen Einfluss darauf, wie Sie Ihre Arbeit als Beauftragter für queersensible Pastoral angehen?
Berger: Das ist sehr wohl wichtig für unsere Arbeit. Im Handlungstext zum Umgang mit Diversität steht viel von dem, was unsere Idee ist, nämlich eine Bildungsoffensive in allen Bereichen des Bistums zu starten. Wir beobachten die Beratungen und Entscheidungen also schon sehr genau, weil es wertvolle Impulse und Inspirationen für unsere eigene Arbeit gibt. Und es gibt uns auch Rückendeckung, dass wir mit dem, was wir hier im Bistum Mainz durchbuchstabieren, gut rückgebunden sind an den Weg, den die Kirche in Deutschland gemeinsam geht.
Frage: Von der lehramtlichen Position der Kirche bekommen Sie dagegen eher keine Rückendeckung was das Thema Queerness angeht. Wo nehmen Sie die Motivation für Ihre Arbeit her?
Berger: Für mich persönlich ist es wichtig, dass Bischof Peter Kohlgraf sich sehr klar positioniert hat und unsere Beauftragung auch ganz öffentlich und feierlich stattfand. Wir können darauf aufbauen, dass das ein sichtbares Zeichen war, das signalisiert: Bischof Kohlgraf möchte für sein Bistum nicht nur Seelsorge für queere Menschen anbieten – also das Selbstverständliche –, sondern auch zu einer grundsätzlichen Veränderung kommen. Der Bischof hat uns direkt nach dieser verheerenden Geschichte bei der letzten Synodalversammlung angerufen und gesagt, dass dieser Text trotzdem ein Leittext für unsere Arbeit im Bistum ist, auch wenn er nicht die nötige Zweidrittelmehrheit der Bischöfe bekommen hat. Ohne diese Eindeutigkeit des Bischofs wäre unsere Arbeit sicherlich eine schwierige Sache. Gleichzeitig erleben wir da, wo wir auftreten – zum Beispiel bei den CSD-Gottesdiensten oder bei der queeren Bildungswoche – so viel Wunderbares, das eine totale Bereicherung für mein persönliches Leben, für mich als glaubender Menschen und als Priester ist, weil ich spüre, dass da eine starke Gemeinschaft wächst. Gut, dass wir dort als Kirche endlich mit dabei sind und nicht nebendran stehen mit unserem Unbehagen und unserer Verunsicherung.
Frage: In der Pressemitteilung zu Ihrer Beauftragung wurde Petra Weitzel von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität zitiert, die gesagt hat: "Für mich ist das heute wie der der Fall der Berliner Mauer." Teilen Sie diese Begeisterung?
Berger: Die queere Community ist keine einheitliche Gruppe. Gerade die transidenten und intergeschlechtlichen Menschen, für die zum Beispiel Petra Weitzel steht, haben zum Teil schreckliche Erfahrungen mit Kirche gemacht, während beispielsweise Schwule und Lesben in manchen Bereichen schon einen Schritt weiter sind auf dem Weg zu Sichtbarkeit und Akzeptanz. Wenn ein Bischof wie Peter Kohlgraf jetzt öffentlich sagt: "Niemand ist ein Schadensfall der Schöpfung, alle sind geliebt, Gott hat sie alle so gewollt", dann ist das eine positive und wertschätzende Wahrnehmung eines prominenten Kirchenvertreters von Diversität und queeren Menschen, auf die transidente und intergeschlechtliche Menschen Jahrzehnte gewartet haben. Das hat dann auch Konsequenzen, beispielsweise für das Arbeitsrecht: Es gibt schreckliche Biografien von Menschen, die aufgrund ihrer Identität nicht mehr für die Kirche arbeiten durften oder ihr Leben lang quasi in die Selbstverleugnung gegangen sind, um einen Platz zu haben. Deshalb kann ich das Wort von Petra Weitzel nur unterschreiben – nicht nur in Hinblick auf unsere Beauftragung, sondern auch auf das, was Bischof Kohlgraf gesagt hat.
Frage: Was haben Sie sich für Ihr Amt als Beauftragter für queersensible Pastoral vorgenommen? Was wollen Sie erreichen?
Berger: Zunächst einmal wollen wir für das ganze Bistum ein Netzwerk von Menschen bilden, die queersensibel begleiten – auch in Riten und gottesdienstlichen Formaten. Dann wollen wir zusammen mit den Fachverbänden und Organisationen für die pastoralen Bereiche des Bistums Bildungsformate entwickeln, weil Wissen, Akzeptanz und Seelsorge ineinandergreifen. Und was mich besonders motiviert: Ich möchte es erleben und mitgestalten, dass wir in absehbarer Zeit öffentliche Segensfeiern für alle Partnerschaften anbieten können, die es jetzt schon im Verborgenen gibt. Die Vorbereitung auf solche Feiern sollte genauso auf der Bistumshomepage stehen, wie die Ehevorbereitungsseminare. Außerdem möchten wir signalisieren, dass die Kirche für Menschen zum Beispiel bei einem Coming-Out, einer Transition oder anderen herausfordernden Momenten da ist, ihnen beisteht und sie unterstützt – mitfühlend und ohne zu verletzen.