Zwischen Protest und Hoffnung: Wie kirchliche Player die WM begleiten
So wie Elsbeth Beha geht es zurzeit vielen Fans: Sie blickt "mit gemischten Gefühlen" auf die anstehende Fußball-Weltmeisterschaft der Männer im Wüsten-Emirat Katar. "Einerseits wissen wir nun schon seit Jahren, wo und unter welchen Voraussetzungen die WM stattfinden wird, aber ein wirkliches Umdenken hat es wohl nicht gebracht", sagt die Vorsitzende des katholischen Sportverbands DJK. Seit der umstrittenen Vergabe 2010 steht nicht nur die Fußballwelt vor der Frage, wie mal mit diesem Turnier umgehen soll: ein Weltfußballverband, der sich offenbar mehr für Geld als für Sport interessiert; ein autokratischer, aber finanzstarker Staat, der Menschenrechte verletzt und nun sein Image aufpolieren will. Dazu die Berichte von der katastrophalen Lage der Arbeitsmigranten, von 6.500 Toten auf den Stadionbaustellen und der Gängelung von Journalisten. Und immer wieder homophobe Statements von katarischen Verantwortlichen.
Unter den Fans, Spielern und vielen Fußballverantwortlichen besteht Einigkeit: Die WM hätte nie an Katar vergeben werden dürfen. Je näher das Eröffnungsspiel rückt, umso massiver wird aufs Neue die Kritik, umso lauter werden die Aufrufe, die TV-Übertragungen des Turniers zu boykottieren. Auch kirchliche Verbände und Hilfswerke schauen sehr genau nach Katar. Sie halten den Golfstaat ebenfalls für den falschen Austragungsort, hoffen aber, dass durch internationalen öffentlichen Druck die Aufmerksamkeit im Hinblick auf die Menschenrechtssituation steigt – und das zu nachhaltigen Veränderungen führt. Katar und einige Fußballfunktionäre, an vorderster Front Fifa-Präsident Gianni Infantino, weisen zwar immer wieder darauf hin, dass sich viele Dinge bereits zum Besseren gewendet hätten, gerade was die Situation der Arbeitsmigranten angeht. Doch es gibt Zweifel, ob diese Veränderungen nicht nur auf dem Papier stattgefunden haben.
Arbeitsmigrantinnen im Fokus
Das katholische Hilfswerk missio Aachen hat eigens für die WM eine Kampagne gestartet, um auf die Ausbeutung von Migrantinnen und Migranten aufmerksam machen und hat zu deren Start dem Gastgeber symbolisch die Rote Karte gezeigt. Besonders in den Fokus nimmt die Hilfsorganisation das Schicksal der in Katar tätigen meist weiblichen Haushaltshilfen. Diese müssen für einen Hungerlohn bis zu 20 Stunden am Tag arbeiten und haben kaum Möglichkeiten, sich gegen Ausbeutung zu wehren. Immer wieder laufen sie zudem Gefahr sexuell belästigt oder sogar vergewaltigt zu werden. Zeigen sie ihre Peiniger an, riskieren sie selbst eine Anklage wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs. Im Falle einer Verurteilung drohen ihnen Peitschenhiebe und eine Gefängnisstrafe.
In einer Online-Petition fordert missio Bundesaußenministerin Annalena Baerbock daher auf, sich beim Emir von Katar für die Belange von Frauen in dem Golfstaat einzusetzen. Die Stimmen aller Unterzeichnerinnen und Unterzeichner will das Hilfswerk im November kommenden Jahres der Grünen-Politikerinnen übergeben. Denn das Hilfswerk will das Thema auch über die vier Wochen dauernde WM hinaus verfolgen.
Missio hatte die Kampagne auch zum Anlass genommen, eine Studie in Auftrag zu gegeben, die die Menschenrechtslage in Katar analysiert. Autor ist der Politikwissenschaftler und Arabien-Experte Sebastian Sons. Er betont darin, dass Katar aufgrund seiner geopolitischen Lage darauf angewiesen ist, gute Beziehungen mit vor allem westlichen Staaten zu pflegen. Das von Katar versuchte "Sportswashing", also mit Aktivitäten im Bereich des Sports sein weltweites Image zu verbessern, sei gescheitert. Daher stehe Katar weiter unter Druck, etwas ändern zu müssen, um in der internationalen Staatengemeinschaft ernst- und wahrgenommen zu werden. Deshalb gelte es mit Nachdruck, die Aufmerksamkeit auf kritische Themen zu lenken. Gerade der Westen solle, so Sons, eine Strategie von Druck und Diplomatie verfolgen. Deshalb sagt missio-Präsident Dirk Bingener: "Unsere Hoffnung auf eine gerechtere und bessere Zukunft in den Golfstaaten, insbesondere für Frauen, ist groß. Aber was nach der WM in Katar passiert, ist offen und hängt vielleicht auch ein wenig an uns jetzt während der WM."
Nicht "Teil der Show" sein
Und es hänge auch davon ab, ob Politikerinnen und Politiker und Teilnehmerverbände darauf achten, während der WM nicht "Teil einer Show" zu sein, sondern sich für einen offenen und ehrlichen Dialog mit Katar einsetzen, fügt Bingener hinzu. Fifa-Präsident Infantino versuchte zuletzt, die WM-Teilnehmer auf Linie zu bringen und mahnte sie in einem Brief, sich während des Turniers auf den Sport zu konzentrieren, anstatt den Fußball "in einen ideologischen und politischen Kampf" hineinzuziehen. Der DFB und weitere neun Verbände reagierten prompt und betonten, sich weiter für zwei entscheidende Themen einzusetzen: die Einrichtung von Fonds für die Angehörigen von Arbeitern, die auf WM-Baustellen gestorben sind oder verletzt wurden, sowie eines Gastarbeiter-Zentrums.
Auch andere Fußballfunktionäre forderten im Blick auf die WM in Katar, den Fußball nicht mit Politik zu überfrachten. Doch der Fußball hat einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft, den er gerade in Katar nutzen müsse, um den Finger in die Wunde zu legen, betont DJK-Vorsitzende Elsbeth Beha. Besonders von den Spielern erhofft sie sich, dass sie nicht mit ihrer Meinung hinter dem Berg halten und offen und bei allen sich bietenden Gelegenheiten die Themen ansprechen, die sie für fragwürdig halten. Schon in der Vergangenheit gab es wichtige Zeichen mit Aussagen vor der Presse und auf T-Shirts oder entsprechenden Armbinden. Die Spieler seien auf so vielen sozialen Plattformen unterwegs und hätten damit eine ungeheure Reichweite, um die Menschenrechtsverletzungen anzusprechen, betont Beha. "Wenn schon die Presse Maulkörbe angelegt bekommt, dann sollten wenigstens die Spieler ihre Stimme erheben."
Hintergrund sind Berichte, wonach Drehgenehmigungen für Fernsehteams von Katar nur dann erteilt werden, wenn eine Liste mit Auflagen unterschrieben wird, die massive Zensurmaßnahmen beinhalten. Dies gelte auch für Fotografen. Unter anderem dürften Einheimische nicht in ihren Privaträumen gefilmt werden. Auch in Unterkünften, in denen Gastarbeiter untergebracht sind, dürfe nicht gedreht werden.
"Die Versuche, die Pressefreiheit zu beschränken und die Berichterstattung zu gängeln, fügt sich leider in das Zerrbild dieser WM", sagt dazu Joachim Frank, Vorsitzender der Gesellschaft katholischer Publizisten. "Wenn die Fifa noch einen Rest von Selbstachtung hat, muss sie auf eine freie Berichterstattung hinwirken, die diesen Namen verdient." Wo immer es Einschränkungen gebe, sollten die Journalisten vor Ort das offen benennen – ähnlich wie bei Berichten aus Kriegsgebieten: "Was wir Ihnen hier zeigen/berichten, ist unvollständig und einseitig, weil das Regime in Katar uns keine freie Berichterstattung gestattet."
Jeder Fan ist gefragt
Wie soll man sich nun als einfacher Fan verhalten? "Jeder Fußballbegeisterte sollte in seinem Umfeld die Thematik ansprechen – und hier nicht nur die Frage der Finanzen, sondern vor allem den Umgang mit den Menschenrechten und der freien Meinungsäußerung", sagt Elsbeth Beha. Es gelte auch hier, das Thema weiter anzusprechen und Druck zu entfalten. Missio-Präsident Dirk Bingener betont, dass Fairplay nicht nach 90 Minuten und am Spielfeldrand aufhöre: Jeder Fan "sollte sich über das unfaire Spiel jenseits des Spielfeldrands informieren und sich dagegen einsetzen", fordert er.
Und wie soll man mit TV-Boykott-Forderungen umgehen? "Die Frage, ob man die Spiele anschaut oder die WM boykottiert, muss jede und jeder für sich entscheiden", sagt Bingener. Er wünscht den Fans, die die WM verfolgen, Freude an den Spielen. Für die DJK-Vorsitzende Beha wäre es zwar ein großes Zeichen, wenn bei den Fans der Fernseher ausbliebe – doch das sei realitätsfern. Persönlich ist sie beim Thema Boykott noch hin- und hergerissen: "Für mich persönlich habe ich noch keine endgültige Entscheidung getroffen."