Eine einzigartige Mönchsrepublik mit Zutrittsverbot für Frauen

Athos – der heilige Berg

Veröffentlicht am 11.12.2022 um 12:00 Uhr – Lesedauer: 
Athos – der heilige Berg
Bild: © Harald Löw

Karyes ‐ Im Norden Griechenlands liegt malerisch in der Ägäis die orthodoxe Mönchsrepublik Athos. Über 2.000 Mönche leben hier und suchen Einkehr und die Nähe zu Gott. Nur per Schiff ist die Einreise möglich, Frauen sind auf der Insel jedoch nicht erwünscht. Der Grund dafür liegt in einer Legende.

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Neun Uhr am Vormittag. Die Fähre liegt am Kai des Urlaubsortes Ouranopolis auf der Halbinsel Chalchidiki in der nördlichen Ägäis in Griechenland. Ende Oktober ist es ruhig hier. Die Restaurants und Kneipen sind verwaist. Katzen dösen am großen Turm an der Mole in der Sonne. Die blau-weiße Fahne Griechenlands weht neben der gelben Flagge des Athos mit dem doppelköpfigen byzantinischen Adler im Wind. Unübersehbar das riesige Schild in verschiedenen Sprachen, mit Hinweisen auf den Berg Athos. Nur für Männer – dazu später mehr – und nur per Schiff ist die Einreise auf den Agion Oros, den heiligen Berg Athos, erlaubt. Ohne das Athos-Visum, den sogenannten Diamonitirion, ist keine Einreise auf den Heiligen Berg möglich. Wie eine Kralle recken sich die drei Arme der Halbinsel Chalchidiki – Kassandra, Sithonia und Athos – in die nördliche Ägäis hinaus. Als Athos wird die östliche, etwa 70 Kilometer lange Halbinsel bezeichnet. Wie ein Gigant thront der 2.033 Meter hohe Athosgipfel auf der Südspitze der Halbinsel.

Die Fähre legt am Hafen vom serbischen Kloster Chilandar an, fährt weiter zum rumänischen Kloster Zografou. Es folgen die griechischen Klöster Dachiariou und Xenofontos und schließlich das russische Kloster Panteleimonos, das Rossikon. Einige Fahrgäste verlassen das Schiff, andere kommen an Bord. Ein schwarzer SUV mit dem Athoskennzeichen "AO" (Agion Oros) fährt vorsichtig über die kippelige Ladeklappe.

Der Fährhafen Dafni ist die zentrale Anlaufstelle des Athos. Von hier aus fahren die Schiffe weiter zur Südspitze der Halbinsel. Ein Kleinbus bringt uns hinüber über den Gebirgskamm nach Karyes, der Hauptstadt des Athos. Die einzige Hauptstadt der Welt ohne Frauen. "Eine Stadt, in der nicht geboren, nur gestorben wird", wie es ein Schriftsteller einmal formuliert hat. Das Regierungsgebäude mit seiner mächtigen Freitreppe dominiert das Bild von Karyes mit seinen rund 1.500 Einwohnern. Hier tagt das Athosparlament, die heilige Gemeinschaft. Sie setzt sich aus Vertretern der 20 Großklöster zusammen. Der griechische Staat garantiert dem Athos einen autonomen Status mit einer Selbstverwaltung. 

Lukoumiwürfel zum Kaffee

Wir schultern die Rucksäcke und wandern bergan. Unser Ziel, das Kellion Merouda, eine kleine Ansammlung von Gebäuden, Wirtschaftsgebäuden, einem Wohntrakt und einem mit einer Bleikuppel überwölbten Katholikon (Kirche). Unter uns das Grün des Waldes, die Siedlung St. Andreas mit ihrer riesigen Kirche und der Athonitis-Schule. Und im Süden der Gigant, der Athosgipfel. Vater Makarios, der geistliche Leiter, heißt uns herzlich willkommen mit Kaffee, Gebäck, einem Glas Wasser und Lukoumiwürfeln (eingedicktes und mit Puderzucker bestreutes Fruchtgelee).

Frauen wird der Zutritt zum Athos bis heute verwehrt. Der Grund dafür liegt der Legende nach an einem Besuch der Gottesmutter Maria. Sie war in Begleitung des Apostels Johannes nach Zypern gesegelt, um dort Lazarus zu besuchen. Das Schiff kam vom Kurs ab und ging am Berg Athos an Land. Als die Gottesmutter das Land betrat, zerbrachen die heidnischen Skulpturen. Maria segnete die Halbinsel und erklärte die Region zu ihrem Lustgarten, den keine andere Frau betreten dürfe. Auf diese Legende führt das im 14. Jahrhundert erlassene Frauenverbot, das Abaton, zurück. Obwohl diese Regelung immer wieder in der Kritik steht, gilt sie bis heute unverändert und wird strikt überwacht.

Bild: ©Harald Löw

Gottesdienst im Kellion Merouda: Vater Makarios und ein jüngerer Mönch tragen Gebete und Gesänge im Wechsel vor.

Im Kellion Merouda wird mit der Glocke zum Abendgebet geläutet. Es ist nahezu dunkel in der kleinen Kirche. Kerzenlichter sorgen für eine mystische Stimmung. An den Wänden Ikonen. Für uns leider nicht verständlich, die Gesänge und Gebete in griechischer Sprache, abwechselnd von Vater Makarios und einem jüngeren Mönch vorgetragen. Nur ihre Gesichter sind schemenhaft im spärlichen Licht der Leselampe zu erkennen. Zum Frühgottesdienst um sechs Uhr sind Mönche aus umliegenden Häusern gekommen. Die liturgischen Handlungen vollziehen die Priestermönche, für uns nicht sichtbar, hinter der Bilderwand, der Ikonostase. Es sind insbesondere die Gesänge, die mich stark berühren. Ich bedaure, dass ich den Texten nicht folgen kann, doch ich lasse diese melodischen Klänge einfach auf mich wirken und in mein Herz fließen.

Wir wollen uns etwas nützlich machen und Vater Makarios weist uns eine kleine Arbeit zu: Wir sortieren aus der Olivenernte die schlechten Oliven aus. Anschließend geht es in den Gemüsegarten zum Bohnenernten.

Abschied vom Kellion Merouda und Vater Makarios. "Kommt wieder und Gott befohlen", gibt er uns auf den Weg mit. Das Wetter hat umgeschlagen. Es regnet. Von Karyes bringt uns ein Minibus südwärts, zum griechischen Kloster Karakalou. Bäche schießen durch die Schluchten herunter und überfluten die Straße, die der Bus passieren muss. Vom Kloster Karakalou geht es einen Pfad aufwärts durch den Wald. Wasser trieft von den Bäumen. Die Bäche sind graubraun angeschwollen.

Diesmal werden wir von Vater David, dem geistlichen Vater des Kellion Timios Stavros, empfangen. Vater David ist ein Technikfan. Er zeigt uns stolz seine computergesteuerte Heizungsanlage und hat im gesamten Kellion Heizkörper installiert, die jetzt, Ende Oktober, die Räume gemütlich warm machen. David ist ein Allroundgenie, mauert, fliest, klempnert, schreinert, schweißt und macht die Elektrik. Darüber hinaus ist er Künstler, malt Ikonen und betätigt sich als Bildhauer. Mit dem Erlös seiner künstlerischen Arbeiten bestreitet er seinen Lebensunterhalt. Als einziger Priestermönch bewohnt er das Anwesen, das bis in die Zeit um das Jahr 1.000 zurückgeht. Und David spricht fließend Englisch, ein griechisch gefärbtes schnelles Englisch, bei dem wir stellenweise Schwierigkeiten haben zu folgen. Zum Mittagessen überrascht uns der Mönch mit einem köstlichen Gericht: mit Reis gefüllte Paprika, dazu gibt es Bratkartoffeln.

Traumhafter Blick über die Ostküste

Das Schönste ist sein privater Wohnbereich. Man wähnt sich in der mit Stilmöbeln eingerichteten edlen Wohnung eines Kunstsammlers. Vom Erker im Wohnzimmer tut sich ein traumhafter Blick über die Ostküste des Athos auf. Wie Perlen an einer Schnur, die Klöster Karakalou, Stavronikita und Pantokratoros. Und darunter die Ägäis, das Meer, das jetzt, aufgewühlt vom Sturm, weiße Schaumkronen trägt. David nimmt uns mit zu "den verstorbenen Vätern". In einem kleinen Gebäude im Garten des Kellions steht das Ossarium, das Beinhaus. Auf Regalen einige Dutzend Totenschädel. Darunter, am Boden, wie Brennholz gestapelt, Oberschenkelknochen. Athosmönche werden nicht in Särgen bestattet, sondern, eingenäht in ihr Ordensgewand, in den Boden gelegt. Sie tragen also schon zu Lebzeiten ihr Totenhemd. Nach etwa drei Jahren werden die Gebeine wieder ausgegraben. Nach uraltem Ritual werden die Totenschädel mit Wein gewaschen und finden im Ossarium ihren Platz. Nach Auffassung mancher Mönche könne man an der Farbe des Totenschädels erkennen, ob der Verstorbene ein guter oder weniger guter Mensch gewesen sei.

Bild: ©Harald Löw

Ein Athosmönch mit seiner Katze.

Wir wandern weiter, hinunter zur wilden und zerklüfteten Südküste. Das größte Athoskloster, die "Lawra", hat wegen Corona seine Pforten für Besucher geschlossen. Für mich ist die Südküste die schönste Gegend des Heiligen Berges. Hier gibt es keine Straßen und Pisten mehr, nur noch Fußpfade. Steinig und beschwerlich sind die Pfade durch den Bergwald. Alles vom Armierungseisen bis zum Zementsack muss auf dem Rücken von Maultieren transportiert werden. Immer wieder begegnen wir kleinen Maultierkarawanen. Wir grüßen die Mönche mit "Evlogite" (Segne mich) und der Gegrüßte antwortet mit "O Kyrios" (Gott sei mit dir). Anstrengend ist die Wanderung durch den Bergwald, Steine, Geröll, Wurzeln. Ein stundenlanges und kräftezehrendes Gestolper, bis wir die Siedlung (Skite) Kavsokalivia erreichen. Vater Patapios ist für das kleine "Guesthouse" zuständig. Er bewirtet uns nicht nur, sondern zeigt uns auch die Kirche und die Bibliothek. Geschützt in Vitrinen stehen jahrhundertealte Schriften.

Wer auf dem Athos wandert, insbesondere der Südküste, muss mit steilen An- und Abstiegen rechnen. An manchen Tagen kommen leicht etliche hundert Höhenmeter zusammen. Der Weg hinunter zur Skite Agia Anna ist ein solch steiler Abschnitt. Von hier aus haben wir einen fantastischen Ausblick auf die Westküste mit ihren Klöstern, wie das pittoreske Kloster Simonos Petras.

Um drei Uhr zum Morgengottesdienst

Wir sind zu Gast im Kellion Agios Timiou Prodromo. Das Kellion ist ein Postkartenmotiv. Rotblühende Bougainvillea rankt empor. Tiefrote Weintrauben hängen vom Gerüst, in Stoffsäckchen gehüllt als Schutz vor den Vögeln. Im Garten Gemüse und an den Bäumen, jetzt in praller Reife Zitrusfrüchte, Kakis und Kiwis.

Der Tag beginnt hier bereits um drei Uhr mit dem Frühgottesdienst. Durchhaltevermögen ist notwendig bei diesem über drei Stunden dauernden orthodoxen Gottesdienst, der über weite Strecken hin stehend verbracht wird. In der Skite Agia Anna wird die Heilige Anna, die Mutter Marias, verehrt. Die Ikone Agia Anna gilt als wundertätig und wird insbesondere bei Kinderwunsch angerufen. Von der hoch über dem Meer gelegenen Skite Agia Anna führt unsere Reise hinunter ans Meer, nach Nea Skiti, zum Kellion vom 73-jährigen Vater Arsenios, der sich rührend um uns Pilger kümmert. Es ist wieder ein besonderer Ort, ein kleines, stilles Stück vom Paradies. Wir sitzen auf dem Balkon, unter uns der Glanz der untergehenden Sonne auf dem Meer. Ein schmaler Streifen Licht liegt auf dem Bergrücken von Sithonia im Westen.

Bild: ©Harald Löw

Das Malen von Ikonen hat auf dem Athos eine jahrhundertelange Tradition.

Unsere letzte Station auf dem Heiligen Berg ist die Skite Xenofontos. Wir wandern vom Kloster Xenofontos hoch zur gleichnamigen Skite. Kehre um Kehre schraubt sich die Sandpiste in die Höhe, der Rucksack drückt im Kreuz. Wir sind angemeldet, sollten aber nicht vor 15.00 Uhr, vor dem Ende der im Süden üblichen Siesta, kommen, hat man uns per E-Mail mitgeteilt. Still und beschaulich liegt das Kellion inmitten von Wäldern, Gebüsch. Vereinzelt gerodete Areale mit Olivenbäumen. Die Olive, der biblische Ölbaum, ist der Brotbaum der Athoniten. In der Skite lebt Ikonenmaler Novize Giorgios. Das Schreiben, das Malen von Ikonen, hat auf dem Athos eine jahrhundertelange Tradition. Als "Fenster zum Himmel" werden die Ikonen oft bezeichnet, als sichtbares Bindeglied zwischen Himmel und Erde.

Den Pulsschlag des Athos spüren

Der 60-jährige Novize Giorgios ist seit etwa einem halben Jahr als Mönchsanwärter auf dem Athos. Er stammt von der Insel Kreta. Dort habe er sich zum Kunstmaler ausbilden lassen und nun seine Berufung als Mönch auf dem Heiligen Berg gefunden, berichtet er. Beim anschließenden Frühstück nach der Frühandacht fällt ihm die Aufgabe zu, aus heiligen Schriften zu lesen. Die Mahlzeiten in den Klöstern werden schweigend eingenommen, schweigend und schnell. Kein gemütliches und genussvolles Essen, eher Nahrungsaufnahme, damit der Körper funktionieren kann. So ist das auf dem Athos. Der Genuss, die Gelüste, das Weltliche werden ausgeblendet.

Giorgios nimmt mich mit in sein Malerstudio. "Ich sollte wohl etwas aufräumen", weist er mit einer Handbewegung über sein Atelier hin. Die Fenster sind mit Vorhängen zugezogen, damit kein Sonnenlicht auf die Staffelei fällt. Giorgios arbeitet an einer Ikone von Johannes dem Täufer, im Format entsprechend einem DIN-A4. "Dazu brauche ich etwa eine Woche", erklärt er. Und der Preis? Dazu könne er nichts sagen, das entscheide der geistliche Leiter des Kellion. Vor sich hat der Maler einen Kasten mit etwa 30 verschiedenen Pigment-Pulverfarben. Giorgios arbeitet ruhig und konzentriert. Immer wieder tunkt er den Pinsel ins Wasser, wechselt die Farben und schaut prüfend und vergleichend auf die Vorlage. Giorgios malt auf verleimte Multiplexplatten. "Die sind stabil und reißen und verziehen sich nicht", erklärt er. Gemalt wird nach althergebrachtem Rezept, mit Pigmentfarben und einem Gemisch aus Eigelb und Essig. Das für die Ikonen notwendige Blattgold bezieht er aus Deutschland, von einer Firma in Schwabach, der Goldschlägerstadt bei Nürnberg. Für ihn sei das Malen von Ikonen keine Arbeit im üblichen Sinn, eher Meditation, wie ein Gebet, hebt er hervor.

Mit der Skite Xenofontos schließen wir unsere Pilgerwanderung auf dem Athos ab. Geblieben sind Erinnerungen an wundervolle Tage, an beeindruckende Landschaften und vor allen Dingen an Begegnungen mit liebenswerten Menschen. Es waren Momente, in denen ich den Pulsschlag des Heiligen Berges spüren durfte, und diese Eindrücke haben sich tief in mich hineingebrannt, mit dem Wunsch und der Sehnsucht, wieder einmal zurückzukommen, hierher, zum Agion Oros, zum Heiligen Berg Athos.

Von Harald Löw

Info: Der heilige Berg

Auf der von der Außenwelt abgeschirmten Halbinsel im Norden Griechenlands befindet sich der Berg Athos, der heilige Berg. Er gilt als das spirituelle Zentrum der Orthodoxie. Seit dem neunten Jahrhundert haben sich Mönche auf dem Athos niedergelassen. Zu Hochzeiten im 19. Jahrhundert lebten hier rund 40.000 Mönche, heute sind es noch etwa 2.300. Sie leben in den 20 Hauptklöstern der Halbinsel. Darüber hinaus gibt es noch etwa zehn kleine Siedlungen (Skiten) und Einzelgehöfte, (Kellien), die einem Hauptkloster unterstellt sind. Einzelne Einsiedlermönche haben sich in die Felsen im Süden zurückgezogen, wo sie in Askese leben und sich der Meditation und dem Gebet widmen.

Der deutsche Verein "Gemeinschaft der Freunde des Agion Oros Athos" fördert und unterstützt die Mönchsgemeinschaften auf dem Berg Athos. Mehr Infos auf der Internetseite.

Hinweis: Magazin "der pilger – Magazin für die Reise durchs Leben"

Der Text stammt aus der Zeitschrift "Der Pilger – Magazin für die Reise durchs Leben". Die Lücken schließen und eintauchen in die eigene Familiengeschichte, mehr über die Ahnen und über sich selbst erfahren – das ist ein weiteres Thema in der aktuellen Ausgabe des Magazins, das bundesweit am Kiosk erhältlich ist. Mit vielen Tipps und Anregungen, um sich selbst auf die Suche nach den eigenen Wurzeln zu machen. Weitere Beiträge in der Winterausgabe: "Essen für Leib und Seele" – mit leckeren  Rezepten zum Nachkochen, "Mein Blockhaus in Kanada" – einen Winter fernab der Zivilisation verbringen und "Nimm dir Zeit" – mit schönen Ritualen auf die Weihnachtszeit einstimmen. Zudem verrät  Schwester Birgit aus dem Franziskanerinnen-Kloster Reute, welche vielfältigen Heilkräfte Sternanis besitzt.