Zentralrat: Verbleib von Rabbiner in Ämtern undenkbar

23 Verdachtsfälle: Gutachten sieht bei Homolka "Fehlverhaltenskultur"

Veröffentlicht am 07.12.2022 um 13:34 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Machtmissbrauch am Potsdamer Abraham-Geiger-Kolleg? Ein neues Gutachten des Zentralrats der Juden belastet Gründer Walter Homolka. Der wehrt sich juristisch gegen alle Vorwürfe. Der Zentralrat fordert eine Abberufung Homolkas aus seinen Ämtern.

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Gegen den Gründer des Abraham-Geiger-Kollegs, Rabbiner Walter Homolka, liegen nach ersten Ergebnissen eines juristischen Gutachtens 23 Verdachtsfälle von Fehlverhalten vor. Hierbei handele es sich bei neun Vorwürfen um "mindestens den Anfangsverdacht einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit", etwa in Bezug auf mögliche Vorteilsannahme, Nötigung und Beleidigung. Das geht aus dem vorläufigen Gesamtergebnis eines Gutachtens hervor, das der Zentralrat der Juden bei der Kanzlei Gercke Wollschläger in Auftrag gegeben hatte und das am Mittwoch vorgelegt wurde. Anlass waren Vorwürfe des Machtmissbrauchs an der Ausbildungsstätte für liberale Rabbiner und Kantoren in Potsdam.

Die Kanzlei sieht elfmal möglichen Machtmissbrauch und dreimal mutmaßliche "Diskriminierung unterhalb der Schwelle des Strafrechts". Grundlage der Einlassungen der Kanzlei waren nach eigenen Angaben unter anderen 79 Interviews mit 73 Personen, Unterlagen, Korrespondenzen und Medienberichte. Die Kanzlei spricht von einem persönlichen Fehlverhalten Homolkas als "Führungsperson bzw. Person mit großem Einfluss". So sei eine "Fehlverhaltenskultur" entstanden. Kritik sei verhindert worden, "unrechtmäßge Entscheidungen" und Abhängigkeiten seien möglich geworden. Auch habe es eine Ämterhäufung gegeben. Die Juristen machen zusätzlich strukturelle Ursachen aus: Zwar habe es in den Einrichtungen, in denen Homolka teilweise Ämter bekleidet hatte, Regelungen gegeben, die "Fehlverhalten unterschiedlichster Natur" verhindern sollten. Diese seien aber "weitestgehend ineffektiv" gewesen.

Erste Untersuchung Ende Oktober

Ende Oktober bereits hatte die Uni Potsdam eine erste Untersuchung vorgelegt, die Vorhaltungen gegen Homolka in Teilen bestätigte. Diese bezogen sich auf "Vorwürfe des Machtmissbrauchs". Nicht bestätigt wurden dagegen "Vorwürfe der Duldung sexuell belästigenden Verhaltens seitens seines Lebenspartners". Aus der Untersuchung ergaben sich "keine straf- oder zivilrechtlichen Konsequenzen und insofern auch keine beamtenrechtlichen".

Im Fall von Homolkas Ehemann sehen die Juristen 25 Verdachtsfälle von Fehlverhalten. Dabei soll es sich zweimal um den Anfangsverdacht einer Straftat handeln, um die mögliche Verbreitung pornografischer Inhalte. Insgesamt achtmal habe ein etwaiger Machtmissbrauch und 15-mal eine mögliche Diskriminierung unterhalb der Schwelle des Strafrechts vorgelegen. Die Staatsanwaltschaft Berlin hatte im Mai erklärt, mit einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Verbreitung von pornografischen Schriften betraut gewesen zu sein. In diesem Verfahren habe sie aber wegen geringer Schuld von der weiteren Strafverfolgung abgesehen.

Bild: ©picture alliance/dpa/Gregor Fischer (Archivbild)

Josef Schuster ist der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Um Fehlverhalten in den untersuchten Einrichtungen zu vermeiden, empfiehlt die Kanzlei nicht nur die Einrichtung von Kontrollsystemen und Standards, die in Unternehmen angemessenes Verhalten regeln. Vor allem müssten Strukturen geändert werden, hieß es: "Solange Einrichtungen in privater Hand bzw. sogar in Hand eines Einzelnen oder jedenfalls im wesentlichen Einflussbereich derjenigen Person liegen, die nach Überzeugung der Untersuchungsführer Fehlverhalten selbst ausübt und vorlebt, ist das Abstellen der Ursachen für die festgestellten Defizite kaum denkbar."

Homolka hatte bereits am Dienstag angekündigt, sich von der Spitze des Abraham-Geiger-Kollegs zurückzuziehen. Eine Stiftung soll Trägerin der Ausbildung werden. Bei den Vorstandswahlen der Union progressiver Juden (UpJ) am Sonntag will Homolka darüber hinaus nach eigenen Angaben auf eine Kandidatur verzichten. Bisher war er Vorstandsvorsitzender. Homolka hatte zudem vor Monaten angekündigt, zunächst seine Ämter in der jüdischen Gemeinschaft ruhen zu lassen. Das Geiger-Kolleg ist ein An-Institut der Uni Potsdam. Gercke Wollschläger hatten sich darüber hinaus mit der Leo-Baeck-Foundation, dem Zacharias-Frankel-College, dem Ernst-Ludwig-Ehrlich Studienwerk, der Union progressiver Juden und der Allgemeinen Rabbinerkonferenz befasst. Der Untersuchungsauftrag war zudem auf die School of Jewish Theology ausgeweitet worden.

Homolka will sich wehren

Homolka hatte zuletzt angekündigt, er werde juristisch gegen die Vorwürfe vorgehen. Der prominente Rabbiner wehrte sich auch gegen den Termin der Veröffentlichung des jetzt vorgelegten vorläufigen Gesamtergebnisses des Zentralrats-Gutachtens. Seine Anwälte sehen eine "vorschnelle" Veröffentlichung sowie "teils schwerwiegende und zugleich haltlose Vorwürfe" gegen Homolka: Das Untersuchungsergebnis müsse daher eine "umfassende Stellungnahme" des Rabbiners vom vergangenen Sonntag berücksichtigen. Die mitgeteilten Vorwürfe dürften außerdem "keinesfalls in einem Untersuchungsbericht Berücksichtigung finden", weil es an "jeglichen Beweistatsachen" fehle.

Der Zentralrat dagegen sieht eine "Verzögerungstaktik" Homolkas. Dieser habe sich "über Monate einer ernsthaften Mitwirkung an der unabhängigen Untersuchung der Kanzlei Gercke Wollschläger verweigert". Homolkas Anwälte dagegen sehen die Verzögerung aufseiten des Zentralrats und zudem den Versuch einer Diskreditierung Homolkas vor den Wahlen der UpJ. Die jetzt vorgelegte "Executive Summary" listet die am Sonntagabend eingereichte Stellungnahme von Homolka auf. Gercke Wollschläger betont, dass ihr vorläufiges Gesamtergebnis "unter Vorbehalt einer abschließenden Bewertung der Stellungnahme" zu sehen sei. Das komplette Gutachten soll Anfang 2023 veröffentlicht werden.

er Zentralrat der Juden in Deutschland eine Abberufung Homolkas aus seinen bisherigen Ämtern. Zu den Erkenntnissen der Gutachter betonte Zentralrats-Präsident Josef Schuster, ein Verbleib des Rabbiners in seinen Ämtern sei "mit diesem Ergebnis nicht mehr denkbar". (tmg/KNA)