Vatikan-Mitarbeiter: Dialog mit Muslimen braucht langen Atem
Wie kann der Interreligiöse Dialog mit dem Islam funktionieren – und wo liegen die Grenzen? Der gebürtige Indonesier Markus Solo hat in Österreich studiert und arbeitet im vatikanischen Dikasterium für den Interreligiösen Dialog und beschäftigt sich dort schwerpunktmäßig mit dem Islam. Im katholisch.de-Interview spricht er über Erfolge und Fallstricke.
Frage: Herr Solo, mit Blick auf den Interreligiösen Dialog mit dem Islam sagen Sie, das sei ein schöner, aber auch sehr herausfordernder Dialog, weil die Christen mit dem Islam mehr Probleme als mit den anderen Religionen hätten. Was bedeutet das?
Solo: Wir Christen und die Muslime sind uns eigentlich aufgrund der Geschichte und unserer heiligen Schriften ganz nahe. Auf der menschlichen Ebene haben wir natürlich auch sehr viele Gemeinsamkeiten und Berührungspunkte, was uns zur Freude am friedlichen Zusammenleben führt. Das ist schön. Aber in Wirklichkeit sind wir uns gleichzeitig nahe und fern, das ist sehr herausfordernd. Wir haben mit einer Freundschaft begonnen, mit einer Beziehung im Dialog. Das muss auch gepflegt werden. Sobald jemand nachlässt, läuft nichts mehr. Oder wenn zum Beispiel sensible Angelegenheiten auftauchen, dann ist eine der beiden Seiten schnell beleidigt, was den Dialog beeinträchtigt.
Frage: Welche sensiblen Themen sind das?
Solo: Eines der Beispiele war die Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2006. Er hat ein Zitat zur Rolle der Gewalt im Islam aus dem 15. Jahrhundert darin vorgelesen. Die muslimische Welt war darüber sehr verärgert und es gab großen, meistblutigen Streit. Ein weiteres Thema mit Konfliktpotenzial sind etwa Menschenrechte. Wir haben das bei der Fußball-WM in Katar gesehen, dass die meisten islamischen Länder noch nicht bereit oder noch nicht offen genug für solche Themen sind, wie zum Beispiel mit Blick auf LGBTIQ-Menschen. Für uns aus dem Westen sind das alles Selbstverständlichkeiten – und darauf ist der Westen stolz. Wir tendieren dazu, unser Verständnis von unserem islamischen Gegenüber vorzuhalten und den Eindruck zu erwecken, dass sie in der Vergangenheit hängengeblieben sind. Das empfinden sie als abwertend – auch ihrer religiösen Lehre gegenüber. Gewisse Dinge können und wollen sie nicht, weil es in ihrer Religion verboten ist.
Es gibt bei der Lehre neben den Gemeinsamkeiten schlicht Unterschiede. Alkoholkonsum, Schweinefleisch und der Umgang mit den politischen Führern zum Beispiel. Ich nehme das Beispiel meiner Heimat Indonesien. Dort wurde 2017 angesichts der politischen Wahl des Gouverneurs von Jakarta versucht, eine dezidiert religiöse Identität zu propagieren. Muslime zitierten aus der koranischen Sure al-Maida (5,51), wo es heißt, dass Muslime keine Nichtmuslime als Schutzherren akzeptieren können. Das wurde massiv verbreitet und propagiert. Am Ende wurde der christliche, chinesisch-stämmige Gouverneur-Kandidat aufgrund seiner Kritik daran mit dem Blasphemiegesetz konfrontiert und ins Gefängnis geworfen. Hier hat die Demokratie dann keinen Platz mehr. Solche Polarisierungen werden in Zeiten der Krise immer wieder hervorgeholt.
Frage: Dialog lebt davon, dass beide Seiten dazu bereit sind. Nun machen auf muslimischer Seite gerade jene Radikalen Probleme, die zum Dialog nicht bereit sind. Wie kann man denen begegnen?
Solo: Man muss festhalten, dass wir in unserer Dialogarbeit fast immer mit dem moderaten Mainstream zusammenarbeiten. Das könnte den Eindruck erwecken, dass wir es uns damit einfach machen. Aber auch mit den Moderaten gibt es Herausforderungen. Vor allem, wenn es darum geht, dass wir trotz sensitiven Unterschieden etwas Gemeinsames schaffen oder ein gemeinsames Projekt stemmen wollen. Aber ja: Wir fördern den Dialog der Religionen meistens nur mit den Moderaten, mit den Liberalen und mit den Menschen guten Willens. Mit den Fundamentalisten und Radikalen ist es schwierig, weil sie vom Dialog nichts halten. In ihren Augen schwächt der Dialog den eigenen Glauben, das ist für sie Gleichmacherei, Relativismus bis zum Verrat des eigenen absoluten Wahrheitsanspruchs, was sich die stolzen Gläubigen nicht leisten können. Wir wollen diese Menschen durch ihre moderaten Glaubensgenossen erreichen.
Manchmal ist das ein Erfolg, manchmal ist das eine ewige Hausaufgabe. Und wenn wir es heute nicht schaffen, dann schafft es die nächste Generation. Unsere Grundprinzipien sind Wahrheit und Liebe – damit wollen wir gegenseitigen Respekt und Frieden erreichen. Es gibt nichts Wichtigeres und Fundamentaleres als diese zwei Grundwerte.
Frage: Wo sehen Sie im Moment die größten Baustellen in der islamischen Welt, an denen der interreligiöse Dialog vor Herausforderungen steht?
Solo: Die erste Baustelle ist die allgegenwärtige Tendenz, Religion für private Agenden zu instrumentalisieren – vor allem in politischen Krisen. Das liegt auch an der Natur des Islam, der nicht nur Religion, sondern auch ein politischer Anspruch ist (al-Islām dīn wa-daula). Deshalb haben Papst Franziskus und der Kairoer Großimam Ahmad al-Tayyib in der gemeinsamen Erklärung von Abu Dhabi im Jahr 2019 festgehalten, dass sie gegen die Instrumentalisierung der Religion kämpfen wollen. Das passiert natürlich auch im Christentum, wenn auch nicht so oft. Was die beiden Welt-Oberhäupter deklariert haben, das muss natürlich auch die Aufgabe und Verantwortung beider religiösen Gemeinschaften sein. Unser Dikasterium ist vom Papst beauftragt worden, dieses wichtige Dokument zu sozialisieren. Wenn es den beiden Seiten gelingt, das Problem der Instrumentalisierung der Religion zu beseitigen, dann haben sie einen enormen Beitrag zum Weltfrieden geleistet.
Der zweite Baustein ist die Erziehung. Ich nehme hier ein Beispiel aus meiner Heimat Indonesien; das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt. Oft werden Kinder von klein auf indoktriniert: Außer uns sind alle Heiden. Das sollte nicht passieren. Denn diese Vorstellung prägt das Denken weiterhin und kann zur Intoleranz und zum Fundamentalismus führen. Der Islam ist vorherrschend in vielen Ländern der sogenannten Dritten Welt, wo die Bildung immer noch ein Problem ist. Ich wünsche mir, dass die Regierungen dieser Länder mehr unternehmen, um Menschen mehr Bildung zu ermöglichen. Das ist eine Aufgabe von uns allen. Je mehr Menschen geformt und informiert werden, desto offener und dialogbereiter sind sie. Ich sage immer: Liebe kommt vom Wissen. Analog kann man sagen: Friede kommt von der Erkenntnis.
Zuletzt geht es um die Hierarchie. Pluralität gibt es nicht nur im Christentum mit Katholiken, Protestanten und vielen weiteren Denominationen. Der Islam kennt eine ähnliche Diversität. Zentralismus und Hierarchie wie in der katholischen Kirche gibt es im Islam nicht. Jede Gruppe hat ihre eigenen Strukturen. Das macht den Dialog schwieriger. Wir Christen betreiben bereits Ökumene. Dieser interne Dialog hat auch den Islam inspiriert. Denn das größte Problem des Dialogs sind oft die Lehrunterschiede der einzelnen islamischen Gruppen, während wir als Christen in vielen Fällen geeint auftreten können. Das ist schon eine schöne Frucht des Interreligiösen Dialogs, wenn auch noch viel Arbeit zu tun bleibt. Das muss alles noch besser funktionieren, damit wir als Katholiken auch islamische Partner mit einem entsprechenden Mandat finden. Wir würden uns beim Islam mehr verbindliche Vertreterstrukturen wünschen, die auch von religiöser Natur sind. Sonst verhandeln wir nur mit qualifizierten Minderheiten und der Interreligiöse Dialog kommt nicht bei der Basis an.