Die Politik ringt um eine Reform des Prostitutionsgesetzes

Menschenwürde und Flatrate-Sex

Veröffentlicht am 12.06.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Politik

Augsburg/Berlin ‐ Beschaulich wirkt Augsburg auf den Besucher. Doch hinter der schönen Fassade zeigt sich das andere Gesicht der Fuggerstadt: Sie hat die höchste Dichte an Prostituierten in Deutschland. 1.500 bis 2.000 Frauen im Jahr kommen auf die rund 280.000 Einwohner - das schätzt die Polizei. Das eine sind die Zahlen, das andere die Schicksale dahinter. Meist die von Frauen aus Osteuropa.

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"Das Interesse des Marktes sind möglichst junge Frauen, Kleidergröße 32 bis 34, und vom Schlepper bis zum Zuhälter will jeder an ihnen verdienen", weiß die Augsburger Sozialarbeiterin Soni Unterreithmeier. Viele haben keine schulische Bildung. Unter Liebesversprechungen werden sie nach Deutschland gelockt oder von ihren verarmten Familien in die Prostitution geschickt. Hier werden sie Opfer von Gewalt, sie fürchten Repressalien gegen Kinder und Angehörige zu Hause.

13 Bordelle

In ihrem Büro am Königsplatz bildet ein Plakat das Augsburger Rotlicht-Milieu ab. Es verzeichnet rund 130 Wohnungen, elf reguläre Bordelle und ein großes Laufhaus - Stand Oktober 2013. Doch längst hinken diese Zahlen der Realität hinterher. "Das sind inzwischen 13 Bordelle, und weitere große Laufhäuser sind in Planung", erklärt die Beraterin.

Razzia in den Bordellen auf der Antoniusstraße in Aachen.
Bild: ©dpa/Ralf Roeger

Die Polizisten sperrte im September 2012 das Aachener Rotlichtviertel in der Antoniusstraße ab. Bei einer grenzübergreifenden Großrazzia haben hunderte Polizisten Rotlichtbetriebe in der Rhein-Maas-Region durchsucht. Ziel der Razzien waren Bordelle und Privatclubs in Deutschland, Belgien und den Niederlanden.

Viele Städte wollen den Rotlicht-Wildwuchs eindämmen. Doch ihnen fehlt die Handhabe, sie können meist nicht viel mehr tun, als den Umfang des Sperrbezirks festzulegen. Für die Rahmenbedingungen ist der Bundestag zuständig. Seit Monaten wird in Berlin um eine Reform des Prostitutionsgesetzes gerungen.

Prostitutionshochburg Deutschland

Das 2002 in Kraft getretene Recht sollte mit liberalen Regeln die Frauen aus der Schmuddelecke der Sittenwidrigkeit holen. Die Folge war, dass Deutschland nicht nur zur Prostitutionshochburg wurde, sondern auch zu einer der Zwangsprostitution . Nun sollen diese Auswüchse bekämpft werden. Dazu hört das Bundesfamilienministerium am Donnerstag Experten an, allerdings nicht öffentlich.

Mit einem Gesetzentwurf ist nicht vor Herbst zu rechnen. Als konsensfähig gelten unter anderem ein verbessertes Aufenthaltsrecht für die Opfer von Menschenhandel, ein Verbot der Flatrate-Bezahlmodelle sowie mehr Sozial- und Beratungsangebote. Zudem sollen Menschenhändler künftig schon aufgrund von Indizien verurteilt werden können. Viele Verfahren scheitern bisher, weil die eingeschüchterten Opfer eine Aussage verweigern.

Freier bestrafen

Umstritten ist hingegen, ob es ein Mindestalter von 21 Jahren für Prostituierte, die Abschaffung des Weisungsrechts in Bordellen, eine Erlaubnispflicht und strengere Auflagen für die Betreiber geben wird. Auch um eine Bestrafung der Freier von Zwangsprostituierten und verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen wird gerungen.

„Das ist eine Lieblingsfantasie der deutschen Männer und Politiker, dass Prostitution mit Freiwilligkeit zu tun hat.“

—  Zitat: Soni Unterreithmeier, Sozialarbeiterin

Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen wehrt sich gegen solch restriktive Regelungen. Viele deutsche Sexarbeiterinnen, aber auch Politiker heben stattdessen die Freiwilligkeit hervor. Für Unterreithmeier reiner Zynismus: "Das ist eine Lieblingsfantasie der deutschen Männer und Politiker, dass Prostitution mit Freiwilligkeit zu tun hat." Seit 2002 leitet sie die Augsburger Beratungsstelle der Menschenrechtsorganisation Solwodi und weiß daher: Dominas, Escort-Damen und andere "Edelhuren" sind absolute Minderheiten.

Kirchenvertreter fordern generelles Verbot von Prostitution

Die größte Gefahr sieht Unterreithmeier darin, dass die Parteien sich auf wohlklingende, aber weitgehend wirkungslose Maßnahmen einigen. Ein reines Verbot der Flatrate-Bordelle etwa hätte keine praktischen Folgen ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen für die Frauen. Denn in vielen anderen Betrieben würden sie zu ungeschütztem Verkehr genötigt, müssten alle Wünsche der Freier befriedigen, hätten lange Schichten ohne Pausen. "Dann hätte der Gesetzgeber mal etwas getan, und danach geschieht wieder zehn Jahre nichts."

Kirchenvertreter, etwa Solwodi-Gründerin Schwester Lea Ackermann und der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick , setzen sich für ein generelles Verbot der Prostitution ein. Unterreithmeier ist skeptisch: "Wir werden die Prostitution nicht abschaffen können." Doch die Politik könnte bei ihren Reformen zumindest die Würde der Frauen in den Mittelpunkt stellen.

Von Michael Merten (KNA)