Vatikan nimmt im Fall Orlandi wieder Ermittlungen auf
Der Vatikan rollt den Fall der vor 40 Jahren verschwundenen Emanuela Orlandi wieder auf. Wie "Vatican News" am Montag berichtete, habe der vatikanische Justizbeauftragte, Alessandro Diddi, zusammen mit der Gendarmerie beschlossen, Ermittlungen aufzunehmen. Die Entscheidung sei auch eine Antwort auf mehrere Anfragen der Familie Orlandi, habe Vatikansprecher Matteo Bruni mitgeteilt.
Zuvor hatte die italienische Nachrichtenagentur ADNKronos über die Wiederaufnahme des Falls berichtet. Demnach ist es das Ziel der Ermittler, alle Akten, Dokumente, Berichte, Informationen und Zeugenaussagen zum Fall erneut zu prüfen. Nach dem vom Büro des Justizbeauftragten erstellten Arbeitsplan würden die Ermittlungen von den im Prozess gesammelten Daten ausgehen und neuen Spuren nachgehen.
Untersuchungen auf Campo Santo Teutonico
Die damals 15-jährige Orlandi, Tochter eines Vatikan-Mitarbeiters, war am 22. Juni 1983 nicht vom Musikunterricht nach Hause zurückgekehrt. Ihr Verschwinden sorgte für Spekulationen und Verschwörungstheorien. Als Gründe wurden etwa ein Versuch, die Freilassung des Papst-Attentäters Ali Agca zu erzwingen, eine Erpressung der Vatikanbank durch eine römische Mafia-Organisation oder vatikanische Sex- und Drogenparties in Betracht gezogen. 2019 beantragte Orlandis Familie die Suche nach den sterblichen Überresten auf dem Campo Santo Teutonico, nachdem sie nach eigenen Angaben diesbezüglich konkrete Hinweise aus dem Vatikan erhalten hatte. Die Öffnung mehrerer Gräber blieb jedoch ergebnislos. Der Vatikan stellte die Untersuchungen schließlich im April 2020 ein und legte den Fall zu den Akten.
Die im Oktober 2022 erschienene vierteilige Netflix-Dokumentation "Vatican Girl" griff die vermuteten Szenarien zum Verschwinden des Mädchens auf und untersuchte alle Schritte des damaligen Ermittlungsprozesses. Brisanz erhielt die Serie durch neue Aussagen einer Freundin, die sagte, Orlandi habe ihr eine Woche vor ihrem Verschwinden erzählt, dass ein hochrangiger Kleriker des Vatikans ihr gegenüber sexuelle Annäherungsversuche gemacht habe. Orlandis Bruder Pietro, der sich seit Jahrzehnten für eine lückenlose Aufklärung des Falls einsetzt, betonte, er sei der Ansicht, dass der Vatikan genau wisse, was mit der Teenagerin geschehen ist, wie sie starb und wo sie begraben ist. (mal)