Mancherorts gebe es ein "vertikales Schisma" zwischen Bischof und Gemeinden

Wenn Kirchenmitarbeitende umsetzen müssen, was sie nicht überzeugt

Veröffentlicht am 27.01.2023 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Wie gut Kirchenmitarbeitende vor Ort in Strukturreformen eingebunden sind, ist von Bistum zu Bistum unterschiedlich, beobachtet der Theologe Jan Loffeld. Während es mancherorts gut läuft, macht anderswo das Wort vom "vertikalen Schisma" die Runde.

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Überall in Deutschland sind Gemeindestrukturreformen im Gange. Nicht nur für die Gläubigen, auch für die Kirchenmitarbeitenden bedeuten sie große Veränderungen. Jan Loffeld, Priester und Praktischer Theologe, erklärt, was gut läuft, weist auf Probleme hin und erklärt, welche Probleme in ihrem Alltag die Kirchenmitarbeitenden bisweilen im Innersten erschüttern.

Frage: Herr Professor Loffeld, wie ändert sich durch Strukturreformen der Arbeitsalltag von Kirchenmitarbeitenden in Gemeinden und Pfarreien?

Loffeld: Bei Fusionen treffen häufig unterschiedliche Gemeindekulturen aufeinander. Manche Pfarreien sind stark durch einen Pfarrer geprägt oder durch ihre Gründungsgeschichte. Vielleicht sind sie einmal aus der Mutterpfarrei hervorgegangen, haben sich mühsam emanzipiert und müssen nun zurückkehren. All diese unterschiedlichen Kulturen miteinander zu vernetzen, ohne dass Pluralität verloren geht, ist eine riesige Herausforderung. Unterschiede müssen von den Kirchenmitarbeitenden offen angesprochen werden. Es sollte ausreichend Raum dafür geben, aufzuarbeiten und bisweilen Dinge bewusst zu verabschieden.

Frage: Finden sich Priester, Gemeinde- oder Pastoralreferenten in einer Mediatoren-Rolle wieder?

Loffeld: Ja, durchaus. Es gibt stark am Zweiten Vatikanischen Konzil ausgerichtete Gemeinden oder etwas konservativere bürgerliche Gemeinden, es gibt Brennpunktgemeinden, Gemeinden mit einer hohen ethnischen Diversität oder Hauptpfarreien in mittelgroßen Städten, in denen Liturgie und Kultur eine tragende Funktion einnehmen. Außerdem sind Gemeinden bei den Finanzen, Liegenschaften oder Immobilien häufig unterschiedlich aufgestellt. Manchmal wird kurz vor der Fusion noch schnell die eigene Kirche gestrichen, damit das Geld vor Ort bleibt. All das prallt aufeinander. Es gibt daher eine neue Unübersichtlichkeit in der Gemeindearbeit. Die Gemeinde war lange ein dörfliches Modell. Jeder wusste, wofür er zuständig ist. Eine Gemeindefusion bringt vielfältige Fremdheitserfahrungen mit sich und die müssen erstmal verarbeitet werden. Dazu braucht es die Fähigkeit, Heterogenes nebeneinander stehen zu lassen.

Jan Loffeld im Portrait
Bild: ©privat

Jan Loffeld ist Professor für Praktische Theologie in Utrecht in den Niederlanden und Priester des Bistums Münster.

Frage: Oft wird davon berichtet, dass Gemeindemitglieder sich mit Strukturreformen schwertun und die Kirche in ihrem Dorf behalten wollen. Wie sieht das mit Kirchenmitarbeitenden aus

Loffeld: Auch hier tun sich sicherlich viele schwer. Keiner will gern den eigenen Bibelkreis oder die eigene Firmkatechese aufgeben. Das sind liebgewonnene Traditionen, in denen sehr viel Zeit und Herzblut steckt. Aber bei den Hauptamtlichen tun sich auch andere Konflikte auf, die viele als Generalanfrage an ihre Identität erleben: Sie fragen sich mit jeder neuen Enthüllung des Missbrauchsskandals, Teil welches Systems sie da eigentlich sind. Das erschüttert sie im Innersten. Und sie merken schmerzlich, dass die Fusionen Ausdruck dessen sind, dass die Kirche schrumpft. Auf allen Ebenen stehen weniger Ressourcen zur Verfügung. Sei es im kirchlichen Kindergarten, in der Schule, bei der Sakramentenpastoral: Meist begegnen die Menschen der kirchlichen Arbeit mit Wohlwollen, aber der Bedarf nach echter Glaubensvermittlung ist gering. Hier bedarf es eines Erwartungsmanagements und intensiver Arbeit an inneren Bildern.

Frage: Wie sieht der veränderte Alltag von Kirchenmitarbeitenden aus?

Loffeld: Sie nehmen sehr oft an Sitzungen der unterschiedlichsten Gremien teil. Der Kommunikationsbedarf ist in solch großen Systemen sehr hoch. Viele meinen, dass  dadurch weniger Zeit für konkrete Seelsorge bleibt. Hier offenbart sich eine Unsicherheit darüber, was das überhaupt ist und was Seelsorge können soll. Außerdem stellt sich angesichts zunehmender Ressourcenknappheit automatisch die Frage, welche der gemeindlichen Angebote nicht mehr weitergeführt werden können. Diesem Abschiednehmen wird nicht ausreichend Platz eingeräumt. Dabei ist es seit jeher Teil der christlichen Kultur. Im Ostergeheimnis verbirgt sich ja ein ganz großer Abschied.  

Frage: Bei welchen Berufsgruppen ändert sich der Arbeitsalltag am stärksten?

Loffeld: Es sind vermutlich die Gemeindereferentinnen und -referenten, die auf das klassische Gemeindekonzept hin ausgebildet worden sind und dann merken, dass es das eigentlich nicht mehr gibt. Zumindest erlebe ich sie in etwa bei Fortbildungen als sehr kreativ und konstruktiv bei diesen Fragen, weil sie hier über ein hohes Praxiswissen verfügen. Es gibt auch Priester, die angetreten sind mit der Vorstellung, ein Dorfpfarrer zu sein, so wie sie es noch aus ihrer Jugend kannten. Da kann die XXL-Pfarrei zu Frustration führen oder zu Kämpfen: "Ich gehe da nicht weg". Es ist an den Bistumsleitungen, an diesen inneren Bildern zu arbeiten und eindeutige Leitungsentscheidungen zu treffen. Dabei bringt es nichts, sich gegenseitig zu beschuldigen. Daran, dass sich unsere Kultur und Gesellschaft so stark verändern, kann erstmal niemandem direkt die Schuld gegeben werden. Letztendlich sitzen alle in der Kirche zusammen in einem Boot inmitten einer fundamentalen Transformation, die wir wohl gerade erst beginnen zu begreifen.

Frage: Sind die sich verändernden Aufgaben Thema in der Ausbildung von Pastoralreferenten und Co.?

Loffeld: Die künftigen Mitarbeitenden können nach der Ausbildung in unterschiedlichen Umgebungen landen: im städtischen Bereich, im dörflichen, im industriegeprägten oder auch kategorialen Bereich. Die eine passgenaue Ausbildung für alle diese Kontexte gibt es nicht.  Es geht vor allem um die Vermittlung einer Haltung, einer inneren Brille, um mit dem Wandel besser umgehen zu können. Da ist man in der Ausbildung grade stark am Nachjustieren, aber da ist sicher noch Luft nach oben. Insgesamt wird die Frage nach einem Zueinander von Territorialseelsorge und anderen, etwa okkasionellen Seelsorgeformen, dringlich. Was wird priorisiert, wohin fließen welche Ressourcen? Wird alles nur nach der Anzahl leitungsfähiger Priester zugeschnitten oder spielt auch die Frage eine Rolle, wie die Kirche das am wirkungsvollsten sein kann, was sie sein soll: Sakrament des Heils.

„Man spricht von einem "vertikalen Schisma" zwischen Bistumsleitung und Leuten vor Ort, gekennzeichnet von mangelndem Vertrauen und dem Gefühl, einer Unkultur der Interessenlosigkeit ausgeliefert zu sein, nach dem Motto die da oben interessieren sich gar nicht für das, was hier wirklich wichtig ist.“

—  Zitat: Jan Loffeld

Frage: Macht die stärkere Einbindung von Laien bei der Gemeindeleitung und eine höhere Verantwortung Kirchenberufe umgekehrt auch attraktiver?

Loffeld:   Das könnte durchaus der Fall sein. Als Gemeindeleitungen stehen Laien als Gesicht für die Gemeinde und übernehmen eine hohe Verantwortung. Das sollte immer ein Miteinander zwischen Priestern und Laien sein. Wenn der Pfarrer sich allerdings nur fragt, was er verliert und was ihm genommen wird, dann ist die Zusammenarbeit zum Scheitern verurteilt. Auch das ist eine Frage der Haltung, die man einüben kann. Die Ausbildung aller Seelsorger – ob Pastoralreferenten, Gemeindereferentin oder Priester – sollte deswegen soweit wie möglich verzahnt werden. So könnten sie sich gegenseitig kennenlernen und über ihre Zielvorstellungen austauschen.

Frage: Fühlen sich die Mitarbeitenden auch mal übergangen in den Entscheidungsprozessen, die zu den Reformen führen?

Loffeld: Da gibt es tatsächlich eine gewisse Müdigkeit und Resignation. Viele Mitarbeitende haben das Gefühl, etwas umsetzen zu müssen, von dem sie nicht überzeugt sind. Das ist von Bistum zu Bistum unterschiedlich. Mal funktioniert es gut, die Mitarbeitenden und ihre Kritik bei den Reformen einzubeziehen. Manchmal gibt es nur eine Scheinbeteiligung oder sie bekommen eine neue Struktur einfach vorgesetzt. Das gibt es ein sehr großes Frustrationspotenzial. Man spricht von einem "vertikalen Schisma" zwischen Bistumsleitung und Leuten vor Ort, gekennzeichnet von mangelndem Vertrauen und dem Gefühl, einer Unkultur der Interessenlosigkeit ausgeliefert zu sein, nach dem Motto die da oben interessieren sich gar nicht für das, was hier wirklich wichtig ist. Eins will ich aber noch ergänzen: Bei aller Problemanalyse sollte nicht vergessen werden, dass die Kirche an vielen Orten einen riesigen Schatz an hochmotivierten, sehr gut ausgebildeten Mitarbeitenden hat. Vieles läuft in den Gemeinden gut. Ich persönlich bin sehr dankbar für diese Menschen, die kirchliche Basisarbeit trotz allem am Laufen halten.

Frage: Gibt es Bistümer, bei denen die Einbindung der Mitarbeitenden in die Strukturreformen besonders gut funktioniert und andere, die hinterherhinken?

Loffeld: Es gibt da eine gewisse Ungleichzeitigkeit, je nachdem, ob ein Bistum eher städtisch oder ländlich geprägt ist, wie groß es ist, welche Finanzkraft es hat und über welches Vertrauen und welche Kompetenz diejenigen verfügen, die ein Bischof mit der Verantwortung für die Pastoralentwicklung beauftragt hat. Wichtig ist, voneinander zu lernen, auch von "Worst-Practice"-Beispielen, die schief laufen. Das sollte nicht unter den Teppich gekehrt werden. Ich weiß nicht, ob Bischöfe oder Generalvikare über solche Themen sprechen, wenn sie sich treffen, aber das wäre wünschenswert. Insgesamt ist die Kirche in Deutschland ihren Transformationsprozess bislang sehr strukturell angegangen. Diese organisational-strukturelle Vorgehensweise steht dann einer identitäts- bzw. traditionsbezogenen gegenüber, wie sie etwa mit dem Begriff der Neuevangelisierung verbunden werden kann. Viele Menschen vor Ort in der Seelsorge merken allerdings: Beides löst das Problem nicht und geht an meinem Alltag vorbei. Da gibt es Redebedarf untereinander und mit den Bistumsleitungen, um es mal vorsichtig zu sagen.

Von Gabriele Höfling