Alleinherrscher Franziskus? Neue Pontifikats-Phase hat längst begonnen
Noch kurz vor Weihnachten wurde es richtig ungemütlich für Papst Franziskus. Der Skandal um den Jesuitenpater und Mosaikkünstler Marko Rupnik, dem mehrere Ordensfrauen sexuelle Ausbeutung vorwarfen, weitete sich bedrohlich aus. Erst erfasste er die Spitze des Jesuitenordens mitsamt dem Ordensgeneral, dem venezolanischen Franziskus-Intimus Pater Arturo Sosa. Der musste sich mehrmals korrigieren und gestand schließlich ein, dass der mutmaßliche Übeltäter nach einer Exkommunikation im Mai 2021 rasch wieder begnadigt worden war – mutmaßlich mit Zustimmung des Papstes.
Schließlich kam die Führung der Diözese Rom ins Visier der Medien. Des Papstes Vikar für das Bistum Rom, Kardinal Angelo De Donatis, sah sich gezwungen, am Tag vor Heiligabend in einer langen Presseerklärung Maßnahmen gegen Rupnik und dessen Mosaiken-Fabrik im Bistum Rom anzukündigen. Nur der Papst selbst hüllte sich erfolgreich in Schweigen.
Dann verkündete Franziskus am 28. Dezember überraschend, dass der Papa emeritus im Sterben lag, und seither dominieren ganz andere Themen die vatikanische Welt. Seit dem Begräbnis von Benedikt XVI. am 5. Januar, das auch viele internationale Medienvertreter wieder nach Rom brachte, richtet sich das Interesse auf die Zukunft des Pontifikats.
Konservativer Widerstand nicht auf Benedikts Zuspruch angewiesen
Nach einer zehnjährigen Phase der "Kohabitation" zweier Männer in Weiß könnte nun ein zweiter Abschnitt starten, so die These vieler Vaticanisti. Jetzt werde vieles einfacher für Franziskus, weil das seltene, aber doch unüberhörbare Störfeuer aus dem kleinen Kloster "Mater Ecclesiae" in den vatikanischen Gärten verstummt sei. Franziskus könne nun "durchregieren" – nicht nur, weil der Alt-Papst als Bremser weggefallen sei. Sondern auch, weil der Reformpapst nun unbehelligt von konservativen Widerständlern agieren könne, die im Gespräch mit dem alten Papst immer wieder Trost suchten und Kraft schöpften für ihre Stellungnahmen gegen – aus ihrer Sicht – waghalsige Öffnungen und dogmatische Schwammigkeiten des jesuitischen Pontifex.
Tatsächlich ist die Lage komplizierter. Zum einen hat sich die kirchenpolitische Landschaft an der Spitze der Weltkirche bereits seit einigen Jahren verändert. So waren die Speerspitzen des konservativen Widerstands schon lange nicht mehr auf Benedikts Zuspruch angewiesen. Das gilt für konservative Vordenker und Netzwerker im Vatikan wie die Kardinäle George Pell – der am Dienstag überraschend starb –, Raymond Burke, Gerhard Ludwig Müller und Walter Brandmüller, aber auch für – beispielsweise – die polnische oder die amerikanische Bischofskonferenz auf weltkirchlicher Ebene.
Letztere wählte am 16. November 2022 mit Timothy Broglio einen klar gegen den Franziskus-Reformkurs positionierten Vorsitzenden. Die theologischen Fixsterne dieses Flügels werden Benedikt XVI. (und Johannes Paul II.) bleiben. Deren Reden und Schriften sind als Teil des päpstlichen Lehramts in der Welt und wirken weiter, auch ohne die seltenen Einlassungen des Alt-Papstes in den vatikanischen Gärten.
Zum anderen hatte Papst Franziskus schon seit 2021 begonnen, neue Pflöcke einzuschlagen. Der markanteste war der Erlass "Traditionis custodes" vom 16. Juli 2021, mit dem er die vom Vorgänger wieder allgemein zugelassene Form der Alten Messe weitgehend aus der Kirche verbannte. Falls es Zweifel daran gab, wie sein Vorgänger das beurteilte, sind diese seit der Veröffentlichung des jüngsten Memoiren-Buches von Georg Gänswein erst einmal ausgeräumt: Benedikt XVI. fand das nicht gut.
Anschlussfähigkeit wichtiger als Agrenzung
Die seit Jahren erwartete Kodifizierung der Kurienreform mit der Konstitution "Praedicate evangelium" am 19. März 2022 war ein weiterer Schritt. Die Verdrängung der früheren Glaubenskongregation vom Platz 1 der vatikanischen Dikasterien zugunsten der Evangelisierungsbehörde war mehr als bloß symbolisch: Es war der institutionelle Ausdruck einer epochalen Verschiebung von Prioritäten.
Die Frage, was rechtgläubig ist, hat nun weniger Gewicht als die Frage, wie Glaubensinhalte am besten verkündet werden. "Anschlussfähigkeit" an die Gesellschaft ist nun wichtiger als Abgrenzung von Häresien und Häretikern. Der alte Satz von Papst Franziskus, dass die Wirklichkeit wichtiger sei als die Idee aus seinem programmatischen Apostolischen Schreibens "Evangelii gaudium" von 2013 wurde damit auf dem Gebiet der vatikanischen Institutionen realisiert.
Ein weiterer Schritt war die überraschende Ankündigung des Papstes, die Weltsynode zum Thema Synodalität um ein Jahr zu verlängern. Diese Langzeit-Synode läuft nun auf eine zweite Verfassungsreform der pyramidenförmig hierarchisch verfassten Kirche des Ersten Vatikanums hinaus. Die erste Reform hatte das Zweite Vatikanum beschlossen, als es den Primat des Papstes um die Macht des Bischofskollegiums und der einzelnen Bischöfe ergänzte und damit ausbalancierte. Die zweite Reform soll nun das "Volk Gottes" – in der großen Mehrheit also nicht geweihte Laien – an der Entscheidungsfindung der Kirche und an der Verkündigung ihrer Botschaft auf Dauer beteiligen.
Als Franziskus am 16. Oktober 2022 die Verlängerung der Synode ankündigte, war die Unruhe im Vatikan groß. Denn nun wurde auch denen, die Synoden bislang als Modeerscheinung oder als bloße Show-Veranstaltung belächelt hatten, klar, dass mit einer doppelten Welt-Bischofssynode die Möglichkeit echter ekklesiologischer Veränderungen ins Auge gefasst werden muss. Auch gemäßigt konservative Kräfte in der Kurie äußerten nun hinter vorgehaltener Hand Befürchtungen, dass dies zu einer langen Phase der Instabilität und des Infragestellens bestehender Strukturen und Ordnungen führen könne.
Unruhe machte sich in der Kurie erneut breit, als im Dezember zunächst Gerüchte und dann auch einzelne Medienberichte über eine Berufung des Hildesheimer Bischofs Heiner Wilmer nach Rom aufkamen. Wilmer, ein ausgewiesener Unterstützer des in Rom kritisch beäugten deutschen Synodalen Wegs, sei einer von drei Favoriten des Papstes für die Stelle des Glaubenspräfekten, hieß es. Sollte wirklich Wilmer jene Stelle übernehmen, die einst Ratzinger mehr als 20 Jahre lang mit harter Hand geführt und sich mit der Maßregelung Dutzender kritischer Theologen den Beinamen "Panzerkardinal" erworben hatte?
Versöhnlichen Kurs in Richtung des konservativen Flügels?
Die Überlegung, dass demnächst auch noch der konservative kanadische Kardinal Marc Ouellet (78) die Spitze der Bischofsbehörde altersbedingt räumen muss, sorgte für zusätzliche Unruhe: Mit ihm geht einer der letzten der Präfekten, die noch aus der Ära Benedikts stammen. Eine verlängerte Synode mit offenem Ausgang und die mögliche Besetzung der wichtigsten Kurienbehörden mit "Reformern" – günstiger könnten die Voraussetzungen für den Papst ohne den Alt-Papst im Nacken kaum sein.
Aber gerade das birgt für Franziskus die Gefahr, den Bogen zu überspannen. Sein Machtinstinkt könnte ihn jedoch davor bewahren. Seine überraschenden Audienzen für zwei konservative Kritiker, Kardinal Joseph Zen am 8. und Erzbischof Gänswein am 9. Januar deutete das offiziöse Vatikanisten-Portal "Il sismografo" dahingehend, dass der Papst einen versöhnlichen Kurs in Richtung des konservativen Flügels einschlagen wolle, um weitere Zerreißproben erst einmal zu vermeiden.
Die Tatsache, dass der regierende Papst zum Begräbnis seines Vorgängers keine Staatstrauer angeordnet hatte und nach dem vergleichsweise kurzen Requiem auf dem Petersplatz nicht persönlich an der eigentlichen Beisetzung unter dem Petersdom teilnahm, wurde in diesen Kreisen als unverzeihlicher Affront gewertet. Wenn er den Graben zwischen sich und seinen konservativen Kritikern nicht weiter vertiefen will, muss Franziskus pfleglich mit ihnen umgehen.