Warum sich Schwester Anna Bernhart auf das Sterben freut

100-jährige Ordensfrau: "Gott hat es so gewollt"

Veröffentlicht am 02.02.2023 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Schwester Anna Bernhart ist 100 Jahre alt. Ihr Weg führte sie spät ins Kloster – den Schritt hat sie keinen einzigen Tag bereut. Die Oberzeller Franziskanerin erzählt von ihrem Glauben und von den traurigen Momenten in ihrem Leben. Ihren Vater vermisst sie bis heute.

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Schwester Anna Bernhart ist 100 Jahre alt. Dass sie so alt geworden ist, ist für die Oberzeller Franziskanerin nichts Besonderes. "Das hat der liebe Gott so gewollt", meint sie. Die Ordensfrau lebt im Antoniushaus, dem Alten- und Pflegeheim der "Dienerinnen der heiligen Kindheit Jesu". Es liegt in Zell am Main, am Stadtrand von Würzburg. Schwester Anna mag den Trubel um ihre Person nicht so sehr, erklärt eine Mitarbeiterin des Klosters Oberzell. Daher antwortet die Ordensfrau lieber schriftlich auf unsere Fragen. Aus ihrem Leben erzählt sie gerne. 

"Einen Elternteil vermisst man immer, egal wie alt man ist"

1922 wurde Anna Rosa Bernhart in Werlsberg im Sudetenland, also im ehemaligen Grenzgebiet zwischen der damaligen Tschechoslowakei und Deutschland geboren. Dass ihr Geburtstag genau an Heiligabend ist, sei ein besonderes Geschenk vom Herrgott, so die Ordensfrau, die mit drei Brüdern aufwuchs. "Als jüngstes Kind meiner Eltern war ich angenommen und geliebt", blickt sie zurück. Früh verliert sie ihren Vater, als sie zwei Jahre alt ist. "Einen Elternteil vermisst man immer, egal wie alt man ist", meint die 100-Jährige. Ihr ältester Bruder übernahm damals die Rolle des Vaters. "Meine Mutter war immer für uns da und hat uns ihren eigenen Schmerz nicht spüren lassen", erinnert sich die Franziskanerin.

Bild: ©Daniel Peter

Das Antoniushaus ist das Alten- und Pflegeheim der Oberzeller Franziskanerinnen. Auf dem Klostergelände lebt Schwester Anna schon seit über 50 Jahren.

Mit ihren drei Geschwistern hilft die junge Anna Rosa beim elterlichen Landwirtschaftsbetrieb mit, die Arbeit ist körperlich schwer. "Trotz des nicht immer einfachen Lebens, hatte ich meinen Glauben", blickt die Ordensfrau zurück. "Wenn man auf Gott vertraut, kommt alles andere von ganz allein", meint sie. Gegen Ende des Kriegs wird die Familie vertrieben. Anna Rosa Bernhart landet mit ihrer Mutter und den drei Brüdern auf einem Bauernhof in Wiesenhagen bei Berlin. Diese Aussiedlung, wie sie sie nennt, hinterlässt tiefe Wunden in ihrem Leben. "Wir mussten alles zurücklassen, unser Haus, die Tiere und alle lieb gewordenen Erinnerungsstücke", so die Ordensfrau. "Es war furchtbar". Dennoch blickt sie versöhnt auf diese Zeit. Denn dieses Schicksal habe damal auch viele andere Familien getroffen. "Das war ein kleiner Trost", sagt sie heute im Rückblick.

"Ich dachte, in meinem Alter hätte ich keine Chance, noch Ordensschwester zu werden"

1951 holt ihr Bruder sie zu sich nach Rothenfels im Landkreis Main-Spessart. Anna Rosa arbeitet unter anderem in einem Holzwerk in Hafenlohr, als Stationshilfe und als Näherin. Nebenher pflegt sie ihre Mutter bis zu deren Tod. "Ich war für meine Mutter da, genauso wie sie es für mich war", erklärt sie. Das Rosenkranzbeten habe sie von ihr gelernt. Mehrmals täglich betet Schwester Anna das Gebet noch heute. "Die Muttergottes gab mir immer schon Kraft", meint sie und fügt hinzu: "Sie hilft halt immer".

Bild: ©Daniel Peter

Den Rosenkranz betet Schwester Anna Bernhart mehrmals täglich, meist gemeinsam mit ihren Mitschwestern in der Kapelle des Antoniushauses. "Maria hilft immer", ist sich die Ordensfrau sicher.

1967 beginnt die damals 44-Jährige eine Ausbildung zur Altenpflegerin in Würzburg und lernt dabei die Oberzeller Franziskanerinnen kennen. "Ich wollte schon immer in ein Kloster gehen. Aber ich dachte, in meinem Alter hätte ich keine Chance, noch Ordensschwester zu werden", verrät die 100-Jährige. Doch die damalige Generaloberin der Kongregation stimmt zu und aus Anna Rosa Bernhart wird Schwester Anna. "Meinen Vornamen konnte ich behalten", freut sich die Ordensfrau.

Durch den Eintritt ins Kloster hat sie eine neue Heimat gefunden. "Diesen Schritt habe ich keinen einzigen Tag bereut", so die Franziskanerin. Als Altenpflegerin arbeitet sie später im ordenseigenen Alten- und Pflegeheim und übernimmt sogar Leitungsaufgaben. Bis zu ihrem 95. Lebensjahr kümmert sie sich um ihre Mitschwestern. Momentan sind es rund 100 Ordensfrauen, die zu den Oberzeller Franziskanerinnen gehören. Dazu gehören auch zwei Niederlassungen in Südafrika und in den USA. Heute lebt Schwester Anna selbst in dieser Pflegeeinrichtung, in der sie früher mitgeholfen hat. Jeden Tag geht sie noch selbstständig in die hauseigene Kapelle des Antoniushauses, um gemeinsam mit ihren Mitschwestern zu beten und Gottesdienste zu feiern. "So bin ich dem lieben Gott noch näher", lacht sie.

Den Himmel stellt sie sich leuchtend vor. "Alle Sorgen sind dann vergessen". Vor dem Tod habe sie keine Angst. "Ich freue mich auf das Sterben, aber meine Zeit ist wohl noch nicht gekommen", meint die 100-Jährige. "Keiner in meiner Familie wurde so alt wie ich", meint sie. Sie freut sich schon darauf, alle im Himmel wiederzusehen. Für die von Gott ihr noch geschenkte Lebenszeit wünscht sich die 100-jährige Ordensfrau, dass sie niemanden zur Last fallen muss, selbstständig bleibt und, dass sie weiterhin Menschen um sich hat, die es gut und ehrlich mit ihr meinen.

Von Madeleine Spendier