Konservativ, loyal, kämpferisch: Marc Ouellet geht in Rente
"Michelina, das war ja so entschieden klar, wunderbar!" Weil die Mikrofone am Podium noch eingeschaltet waren, konnte man deutlich hören, wie begeistert Marc Ouellet vom Vortrag Michelina Tenaces war. Soeben hatte die italienische Dogmatik-Professorin sich eindeutig gegen eine Priesterweihe für Frauen ausgesprochen. Dies sei "keine angemessene Weise, ihre Würde anzuerkennen", empörte sich Tenace geradezu.
Kardinal Ouellet war Organisator des Symposiums über die Zukunft des Priestertums vor knapp einem Jahr im Vatikan. Der Frankokanadier präsentierte sich dort, wie man ihn schon bisher kannte: konservativ, loyal und kämpferisch. Kirchliche Reformen und Verbesserungen, ja – aber alles im Rahmen der bestehenden Lehre. Das Symposium sei aber nicht dazu gedacht, "das, was in Deutschland geschieht, zu lenken oder in Frage zu stellen", wies Ouellet damals entsprechende Vermutungen zurück.
Beim Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe im November war er deutlicher. Da brachte er ein Moratorium des Synodalen Weges ins Spiel – was die deutschen Bischöfe mehrheitlich zurückwiesen. Seither galt Ouellet als kurialer Hauptkontrahent des Reformprojekts. Noch kurz vor seinem Rücktritt sagte Ouellet mit Blick nach Deutschland einer spanischen Zeitung: "Jetzt müssen sie dem Kardinalstaatssekretär antworten. Dann werden wir sehen, wie wir den Dialog fortsetzen. Es ist klar, dass der Dialog fortgesetzt werden muss, auch um ihnen zu helfen, auf dem katholischen Weg zu bleiben."
Kaum ein Kurienchef so oft beim Papst
Kaum ein Kurienchef war so oft beim Papst wie Ouellet. Fast jede Woche schlug er dem Oberhaupt der katholischen Kirche Kandidaten für einige der weltweit rund 4.500 Bischofssitze zur Ernennung vor, die neu zu besetzen waren. Eine heikle Aufgabe, gerade seitdem bekannt ist, dass und wie Bischöfe ihrer Sorgfaltspflicht etwa bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen nicht gerecht geworden sind.
Dass Ouellet als loyaler Mitarbeiter des Papstes auch in die konservative Ecke austeilen konnte, bewies er 2018. Damals beschuldigte der frühere Vatikandiplomat Carlo Maria Vigano in einem Rundumschlag Franziskus und die halbe Kurie massiver Fehler im Umgang mit Ex-Kardinal Theodore McCarrick von Washington. Ouellet antwortete mit einem scharfen Offenen Brief. Zwar schloss er Fehleinschätzungen der Kurie nicht aus. Dennoch sei es verwerflich, dass Vigano vom Skandal sexuellen Missbrauchs zu profitieren suche, um der moralischen Autorität des Papstes "einen unerhörten und unverdienten Schlag zu versetzen".
Geboren wurde Marc Armand Ouellet am 8. Juni 1944 in La Motte in der französischsprachigen Provinz Quebec als Sohn einer Familie mit acht Kindern. Zunächst studierte er Philosophie und Pädagogik, um sich dann der Theologie zuzuwenden. Nach der Priesterweihe 1968 arbeitete er zwei Jahre lang als Gemeindeseelsorger, bevor er für zwei weitere Jahre als Dozent nach Bogota in Kolumbien ging.
Gute Beziehungen nach Lateinamerika
Seither hat Ouellet gute Beziehungen nach Lateinamerika. Nach Studien in Rom und Innsbruck hielt er sich für einen Deutschkurs kurz in Passau auf. Er wechselte mehrfach zwischen Rom, Kanada und Kolumbien. Ouellet ist Mitglied der Kongregation der Sulpizianer, die sich besonders der Erziehung und Ausbildung von Weltpriestern widmet.
Im März 2001 ernannte Johannes Paul II. den Kanadier zum Sekretär des Rates für die Einheit der Christen, wo er mit dessen Präsidenten Walter Kasper zusammenarbeitete. Ein gutes Jahr später sandte ihn der Papst als Erzbischof nach Quebec, im Folgejahr ernannte er ihn zum Kardinal. Benedikt XVI. holte Ouellet 2010 von Quebec nach Rom und betraute ihn mit der Leitung der Bischofskongregation.
Nach Benedikts Rücktritt am 28. Februar 2013 ging Ouellet als einer der möglichen Favoriten in die Papstwahl. Im ersten Wahlgang des Konklaves soll er mit 22 Stimmen an dritter Position gelegen haben – nach Angelo Scola mit 30 und Jorge Bergoglio mit 26 Stimmen. Der neue Papst Franziskus hielt von Ouellet so viel, dass er ihn bereits drei Tage nach der Wahl als Chef der Bischofskongregation bestätigte.
Missbrauchs-Erlass begleitet
Als der Vatikan 2019 den päpstlichen Erlass "Vos estis lux mundi" zu Ermittlungen gegen Missbrauch und Vertuschung veröffentlichte, war Ouellet einer derjenigen, die diese Maßnahme mit Stellungnahmen begleiteten. Dabei trat er Befürchtungen entgegen, die Normen könnten instrumentalisiert werden, etwa um Unschuldige in Misskredit zu bringen. Eine rasche Anzeige von Verdachtsfällen helfe nicht nur den Opfern – sondern auch fälschlicherweise Angeklagten, die mit einer zügigen Prüfung ihren Namen schnell wieder rein waschen könnten.
Ein Anliegen, das Ouellet zuletzt für sich selbst in Anspruch nahm. Mitte Dezember noch wehrte er sich gegen den Vorwurf sexueller Übergriffe – mit einer Schadenersatzklage wegen Verleumdung vor einem Gericht im kanadischen Quebec. Die von einer früheren Pastoralreferentin seines einstigen Erzbistums angezeigten Taten in den Jahren 2008 bis 2010 habe er niemals begangen. Die Frau wirft Ouellet "nicht einvernehmliche Berührungen sexueller Art" vor – darunter etwa Streicheln und leichte Nackenmassagen.
Der Geistliche sagte, er könne sich nicht erinnern, die Frau je getroffen zu haben. Für ein kirchliches Verfahren sah der Papst nach einer vatikanischen Voruntersuchung keinen Anlass. Warum das Kirchenoberhaupt den Rücktritt des 78-Jährigen jetzt schon annahm und nicht – wie traditionell – bei Kardinälen erst mit 80, ist nicht bekannt. Allerdings hat Franziskus auch in diesem Punkt seine eigenen Gepflogenheiten.