Theologe sieht deutsche Reformideen als Beitrag für Weltsynode

Halik: Der Synodale Weg hat wichtige Fragen scharf artikuliert

Veröffentlicht am 07.02.2023 um 10:00 Uhr – Lesedauer: 

Prag  ‐ Bei der Weltsynode könnten Vorurteile gegenüber dem deutschen Reformprojekt abgebaut werden, meint Theologe Tomas Halik. Themenfelder des Synodalen Wegs gehörten auf den Tisch – allerdings unter einer Bedingung.

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Der Theologe und Religionsphilosoph Tomas Halik ist in der katholischen Kirche ein Brückenbauer. Die Bücher des vom antikommunistischen Widerstand kommenden Priesters werden in West- und Osteuropa gelesen. Im Interview in Prag spricht er sich für eine kluge Erneuerung der Kirche aus.

Frage: Herr Halik, was erwarten Sie von der Europa-Etappe der Weltsynode in Prag?

Halik: Das ist eine ganz wichtige Gelegenheit, um wechselseitig Vorurteile zu überwinden. Denn es gibt solche Vorurteile zwischen den Ortskirchen – und hier können wir in brüderlicher Atmosphäre ein Stück auf einem langen Weg gemeinsam gehen. Es ist eine Möglichkeit, Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig Mut zu machen.

Frage: Wenn Sie von Vorurteilen sprechen, meinen Sie damit auch die Kirche in Deutschland?

Halik: Ja, das wissen wir alle! (lacht) Es gibt dieses Vorurteil, dass der deutsche Synodale Weg zu viel erhofft von der Veränderung der Institutionen. Die Mehrheit weiß, dass es Änderungen geben muss. Doch die müssen spirituell begleitet und vorbereitet sein. Fragen wie die nach neuen Möglichkeiten im priesterlichen Dienst oder einer anderen Rolle der Frauen in der Kirche können wir nicht tabuisieren. Wir müssen öffentlich darüber sprechen. Aber all das braucht eine theologische Vorbereitung. Vor dem Konzil war es eine ganze Generation von Theologen, insbesondere aus Deutschland, die das vorbereitet hat. Auch jetzt brauchen wir Theologen, die diese neuen Impulse erkennen.

Blick auf Prag.
Bild: ©neirfy/Fotolia.com

In Prag tagt derzeit die Europa-Etappe der Weltsynode.

Frage: Also reicht das Zweite Vatikanische Konzil nicht mehr aus?

Halik: Ich meine, dass dieses Konzil eigentlich ein bisschen zu spät kam. Es versuchte, den Dialog der Kirche mit der Moderne zu führen. Aber die Moderne war damals schon fast am Ende; die Postmoderne kündigte sich bereits an, in der wir heute leben. Die radikal plurale Gesellschaft der Postmoderne bringt neue Fragen mit sich. Die größten Herausforderungen für die Kirche heute sind nicht mehr Atheismus und Materialismus, sondern der Durst nach Spiritualität. Das ist ein Zeichen der Zeit, das die Kirche zu spät erkannt hat.

Frage: Und was folgt daraus?

Halik: Wir müssen nicht nur die überlieferte Lehre der Kirche und die Regeln von dem, was wir als Christen tun sollen, neu formulieren. Das nennt man Orthodoxie und Orthopraxie. Wir müssen aber auch einen guten Weg des Pathos entwickeln, des Fühlens mit den tieferen Bedürfnissen der Menschen; also eine neue Ortho-Pathie. Natürlich müssen wir manches an der praktischen Gestalt der Kirche ändern, aber immer in diesem größeren Kontext.

Frage: Beim Thema Orthopraxie oder anders gesagt bei Fragen der Moral scheint es in der Kirche sehr unterschiedliche Visionen zu geben. Die einen wollen die überlieferte Lehre der Kirche befolgen; die anderen fordern radikale Veränderungen. Ist das noch vereinbar?

Halik: Es ist höchste Zeit, dass wir eine neue, tiefere theologische Anthropologie entwickeln. Wir müssen die Erkenntnisse der Natur- und der Humanwissenschaften ernstnehmen. Auch die Sexualität ändert sich in der Geschichte und in kulturellen Kontexten. Wir müssen fragen: Was sind die Impulse der Kirche auf diesem wichtigen Feld für die menschlichen Beziehungen? Die Kirche hat die Sexuelle Revolution vor 50 Jahren als einen Schock erlebt, und sie ist in eine bloße Verteidigungshaltung gegangen. Wir müssen nicht alles akzeptieren, was auf diesem Gebiet geschieht; aber wir müssen den Dialog führen, auch mit Vertretern der Gender Studies. Das haben wir hier in Prag an der christlichen Akademie vor einiger Zeit gemacht, und das war sehr bereichernd, sowohl für die Moraltheologen als auch für die Experten der Gender Studies.

Das Logo der europäischen Kontinentalversammlung der Weltsynode zur Synodalität in Prag
Bild: ©CCEE

Das Logo der europäischen Kontinentalversammlung der Weltsynode zur Synodalität in Prag.

Frage: Hier bei der Europa-Etappe der Synode in Prag scheint es zwei sehr unterschiedliche Kirchenbilder zu geben. Die einen sprechen von einer festen Burg, die den Menschen Halt und Orientierung geben soll. Die anderen von einem Zelt, das weit offen sein und niemanden ausschließen sollte. Wie passt das zusammen?

Halik: (schmunzelt) Die Kirche als Burg mit Festungsanlagen, das hat keine Perspektive. Die Aufgabe der Kirche ist die Verkündigung des Evangeliums. Und das geht nur durch Inkulturation, also im Dialog mit der gegenwärtigen Kultur. Man muss darauf achten, dass man nicht einfach Zeitgeist, Mode und Sprache dieser Welt übernimmt. Aber es gibt auch die Zeichen der Zeit, die wir verstehen müssen, denn das sind die Ereignisse, durch die sich Gott in der Gegenwart zeigt. Und um den Zeitgeist und die Zeichen der Zeit auseinanderhalten zu können, braucht es eine gute geistliche Unterscheidung. Im 19. Jahrhundert hat die Kirche auf die Moderne falsch reagiert und den Ausweg in einer Gegenkultur gesucht; das war eine Art Exkulturation. In der heutigen Situation sollten wir einen anderen Weg gehen. Nicht eine billige Anpassung, sondern einen echten Dialog.

Frage: Und kann der deutsche Synodale Weg dazu etwas beitragen? Oder geht er in die Irre?

Halik: Nein, nein! Die haben wichtige Fragen ganz scharf artikuliert. Das müssen wir ernst nehmen, aber es vielleicht in einen breiteren Kontext stellen. Die Kirche muss symphonisch sein; die Deutschen sind eine wichtige Stimme, aber das muss Teil eines Ganzen sein. Und ich hoffe, dass wir hier in Prag einen Schritt machen können hin zu dieser Gemeinsamkeit. Es muss am Ende nicht unisono klingen; aber es sollte auch keine Kakophonie sein, sondern eine Symphonie mit wechselseitigem Respekt. Das ist der Sinn von Synodalität in der Kirche.

Von Ludwig Ring-Eifel (KNA)