Besonders junge Menschen gefährdet

Keul: Missbrauch in geistlichen Gemeinschaften wahrscheinlicher

Veröffentlicht am 14.03.2023 um 14:31 Uhr – Lesedauer: 

Würzburg ‐ "Neue Geistliche Gemeinschaften" galten lange als spiritueller Aufbruch in der Kirche. Doch die Bewegungen bergen auch große Risiken. Die Theologin Hildegund Keul sieht sie auch selbst in der Pflicht, geistlichen Missbrauch zu verhindern.

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Die Würzburger Theologin Hildegund Keul warnt vor Missbrauch in geistlichen Gemeinschaften und charismatischen Bewegungen. In einem Interview mit dem Kölner "Domradio" sagte die Fundamentaltheologin am Montag, dass die Wahrscheinlichkeit, in derartigen Gemeinschaften Missbrauch zu erfahren, erhöht sei. Das gelte für Missbrauch geistiger und spiritueller Art bis hin zu sexuellem Missbrauch und finanzieller Ausbeutung. Menschen, die sich in "Neuen Geistlichen Gemeinschaften" bewegen, empfiehlt die Wissenschaftlerin, einen kritischen Geist zu bewahren und gegenüber den Gemeinschaften skeptisch zu bleiben.

Typisch für geistliche Gemeinschaften sei ein sehr hohes elitäres Bewusstsein. "Wir sind die Richtigen, die anderen sind die Falschen", erläutert Keul. Ein Beispiel dafür sei die "Katholische Integrierte Gemeinde". "Die Menschen haben gedacht, da wird das wahre Christentum gelebt; da gehen Menschen an den Ursprung zurück", sagt die Theologin über die mittlerweile aufgelöste Gemeinschaft. In vielen Gemeinschaften sei Missbrauch systematisch integriert, wenn etwa Beziehungen zu Menschen außerhalb der Gemeinschaft gekappt werden sollen. In vielen Bewegungen gebe es charismatische Führungspersönlichkeiten, die Menschen für die Organisation begeistern und mitziehen. Aus persönlichen Abhängigkeiten erwachse dann der Kern von spirituellem Missbrauch. Die Übergänge zu Sekten seien dabei fließend.

In der Verantwortung, geistlichen Missbrauch zu vermeiden, stehen nach Ansicht Keuls auch die Gemeinschaften selbst. "Die geistlichen Gemeinschaften selbst müssen um diese Gefahr wissen, um die Gefahr bannen zu können." Besonders müsse dabei auf junge Menschen geachtet werden, die besonders begeisterungsfähig seien. "Diese Begeisterungsfähigkeit bringt Menschen in diesem Überschwang dazu, Dinge zu tun, die sie ohne diese Begeisterung gar nicht tun würden", betont die Theologin. Junge Menschen seien auch deshalb gefährdet, weil sie häufig noch nicht in Berufen etabliert sind und sich in Phasen der Neuorientierung befinden.

Auch Bischöfe sprachen über geistlichen Missbrauch

Keul leitet das Forschungsprojekt "Verwundbarkeiten" am Lehrstuhl für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft der Universität Würzburg. Im März erschien die von ihr herausgegebene deutsche Übersetzung des ursprünglich in Frankreich erschienenen Buchs "Der Verrat der Seelenführer", das sich mit Macht und Missbrauch in Neuen Geistlichen Gemeinschaften befasst.

Geistlicher Missbrauch stand auch auf der Tagesordnung der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) Anfang März. Die Bischöfe haben dazu eine neue Arbeitshilfe mit dem Titel "Missbrauch geistlicher Autorität" beraten und beschlossen. Unter geistlichem Missbrauch wird dabei der Missbrauch der eigenen oder ihnen zugeschriebenen geistlichen Autorität durch Verantwortliche in Seelsorge, Orden und Gemeinschaften sowie Bildung verstanden. 

Bereits in diesem Frühjahr beginnt eine unter anderem durch die DBK und die Bistümer Osnabrück und Münster finanzierte "Grundsatzstudie zur Aufarbeitung geistlichen Missbrauchs im Kontext (neuer) Geistlicher Gemeinschaften", die bereits im Dezember angekündigt wurde. Dabei sollen die in den beiden Bistümern präsenten geistlichen Gemeinschaften, in denen geistlicher Missbrauch gesichert vorkommen ist, untersucht werden. Die Studie wird geleitet von der Münsteraner Professorin für Religionspädagogik, Judith Könemann, zu deren Forschungsschwerpunkten geistlicher Missbrauch in Pastoral und Bildung gehört. (fxn)