Auf den Spuren eines Heiligen unterwegs nach Trondheim

Pilgern auf dem Olavsweg – in der Magie des Nordens

Veröffentlicht am 23.04.2023 um 12:14 Uhr – Von Harald Oppitz (KNA) – Lesedauer: 

Oslo/Trondheim ‐ Abseits des Pilgerbooms nach Santiago de Compostela entdecken immer mehr Wanderer die Olavswege in Skandinavien. Der bekannteste führt von Norwegens Hauptstadt nach Trondheim – und bietet atemberaubende Naturerlebnisse.

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"Dieser Weg will wirklich erarbeitet werden", sagt Tim bei der ersten Rast auf 1.000 Metern Höhe oberhalb der Baumgrenze. Vor ihm versteckt sich das Hochplateau des Dovrefjells in Nebelschwaden, und beim Blick zurück lässt die Morgensonne das gut 200 Kilometer lange Gudbrandstal in saftigem Grün schimmern. Der Student aus Hamburg, der schon Santiago de Compostela zu Fuß erreichte, ist begeistert: "Landschaftlich ist es hier einfach unglaublich!"

Es sind die Gesetze der Natur, durch die der Weg mit einem spricht: Gut zehn Kilometer Höhenunterschied wollen unterwegs überwunden werden. Und auch im Sommer ist das Wetter in Skandinavien bisweilen eine launische Diva. Nicht selten gehören bis Juni oder ab September Schneefelder zu den Wegmarken auf dem Dovrefjell. Sonne und Wolken, Wind und Regen wechseln sich oft ab – gerne auch innerhalb einer Tagesetappe. Keine leichte Aufgabe, den Wanderrucksack allen Bedingungen anzupassen. Hier kommt nur vorwärts, wer die Verbindung zur Natur sucht.

Positive emotionale Kraft

Verwirrung erwischt die Wanderer gleich zu Beginn, denn es gibt zwei Wege aus Oslo heraus. Beide Strecken sind anfangs nicht gerade von Charme geprägt, führen sie doch aus einer der flächenmäßig größten Metropolen Europas. Spätestens jedoch mit dem Erreichen des Mjosasees kann der Pilger in die faszinierende Landschaft Skandinaviens eintauchen: sanfte Hügel mit bewirtschafteten Hängen, Pfade durch dichte Wälder und an Ufern entlang. Historische Gehöfte, die zum Großteil bis heute bewirtschaftet werden, bieten oft Herberge.

"Wir glauben nicht an eine katholische oder protestantische Kirche, aber hier auf diesem Weg spüren wir eine unglaubliche Magie!", erzählt Lula, während sie die unterwegs gefundenen Pfifferlinge in der Küche der Herberge putzt. Immer wieder hätten sie angehalten, um gemeinsam zu meditieren, ergänzt ihr Lebenspartner Christian: Der Pilgerweg verströme eine positive emotionale Kraft.

Die beiden Senioren aus Trondheim sind ein erfahrenes Pilgerduo: Unterschiedlichste Jakobswege liegen hinter ihnen, ebenso der Franziskusweg, selbst von Canterbury haben sie sich schon nach Rom aufgemacht – nun pilgern sie faktisch nach Hause. Lula ist überzeugt: "Nirgends waren wir der Natur so nahe wie hier vor der eigenen Haustüre."

Abendstimmung bei der Stabkirche Ringebu
Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Ein abendlicher Blick auf die Stabkirche in Ringebu. Die Holzkirche ist von einem Friedhof umgeben.

Dabei habe erst Corona sie dazu gebracht, im eigenen Land auf die Suche zu gehen. In den zurückliegenden Jahren waren Auslandsreisen nur schwer möglich. Auch die Gastgeber in den Herbergen nehmen jüngst norwegisch als die meistgesprochene Sprache ihrer Gäste wahr.

Seit 1982 Papst Johannes Paul II. und der Europarat dann 1987 zur Wiederbelebung der Jakobswege aufriefen, hat auf dem ganzen Kontinent eine Renaissance des Pilgerns eingesetzt. So wurden bis 1997 auch die Olavswege wiederbelebt, als bekanntester sicher der 643 Kilometer lange Weg von Oslo durch das malerische Gundbrandsdal – der Gundbrandsdalsleden. Die nordischen Pilgerzahlen sind mit knapp 2.000 Langstrecken-Pilgern jedoch weit entfernt von den rund 300.000 jährlichen Jakobspilgern. Wer sich also auf den Weg macht, muss gut mit sich alleine auskommen können.

Bunte Vielfalt an Herbergen

Das Herbergssystem entlang der Strecke ist dabei im charmantesten Sinne zusammengeflickt: Eine bunte Vielfalt erwartet die Pilger auf den rund 30 Tagesetappen. Von Hotels, die ungefragt den Preis reduzieren – "sie sind doch Pilger, oder?" – über alte Gesindehäuser, Wanderheime, Campingplätze, Matratzenlager im Konfirmandensaal oder im Museum bis hin zu unbewirtschafteten Block- oder Schutzhütten wird alles angeboten. Selbst in manchem restaurierten Stall können müde Pilger Haupt und Knochen betten.

Ungewohnt für Pilger: Die meisten Kirchen unterwegs sind verschlossen – nicht unüblich für evangelische Kirchengebäude. Norwegen ist protestantisch geprägt, und der Brauch des Pilgerns wurde nach der Reformation 1537 faktisch verboten. Seit der Wiederbelebung ist die protestantische Kirche jedoch sehr aktiv, betreibt selbst Pilgerherbergen und beschäftig mehrere Pilgerseelsorger. Meist lässt sich mit etwas Recherche auf der offiziellen Pilgerseite auch jemand finden, der die Türen zu den vielen wunderschönen Holzkirchen öffnet.

In den Sommermonaten geöffnet ist die Stabkirche in Ringebu. Dieses ohne Nägel gebaute Kleinod entstand um 1220. Ausgrabungen weisen sogar auf einen Vorgängerbau aus der Zeit des Heiligen Olav hin. Bei gutem Wetter wird ein Abendspaziergang über den Kirchhof zu einem unvergesslichen Erlebnis in allen Farben.

Altarbild der Michaelskapelle
Bild: ©KNA/Harald Oppitz

In der Kapelle Sankt Michael nahe Oppdal blicken die Pilger auf ein ganz besonderes Altarbild: durch die Glasfront auf die Landschaft südlich von Trondheim.

Das schönste Altarbild des gesamten Wegs erwartet die Pilgerinnen und Pilger indes in einer unscheinbaren Kapelle am Tag des Abstiegs vom Dovrefjell: Mitten auf der Weide zwischen friedlich grasenden Kühen lädt die kleine Michaelskapelle zu einer Rast ein. Auf den Steinstufen sitzend gibt die Front der Holzkapelle durch eine riesige Glasscheibe den Blick frei auf die Täler und Hügel der Region Trondelag – der abschließenden Woche des Pilgerwegs.

Zuvor auf dem Hochplateau warten die vielleicht schwierigsten und zugleich schönsten Etappen des Weges. Die rund 80 Kilometer führen durch eine einsame karge Höhenlandschaft weitestgehend oberhalb der Baumgrenze. Wer Ruhe sucht, wird sie hier finden – wer Herberge sucht, muss gut planen, denn außer wenigen Pilgerhotels ("Fjellstue") und Safaricamps findet sich hier kaum ein Dach für die vier Etappen-Abende.

"Nur das Gespräch mit Gott, dem Wind und sich selbst"

Gerade diese Abgeschiedenheit wurde für Jörg zum Highlight seiner Pilgertour: "Wenn man will, kann man auf dem Jakobsweg immer mit anderen Menschen sprechen – auf dem Dovrefjell bleibt eigentlich nur das Gespräch mit Gott, dem Wind und sich selbst." Beinahe wäre er dabei an einem der schönsten Aussichtspunkte des gesamten Weges vorbeimarschiert: Genau am Wegkreuz mit dem Hinweis auf 208 Restkilometer bis zum Nidarosdom zweigt ein kleiner Pfad Richtung Osten auf einen Hügel ab – die Viertelstunde Umweg bescherte Jörg dann seinen liebsten Weitblick: "Diese atemberaubende Landschaft rundherum in alle Himmelsrichtungen, diese Weite, die klare Luft und diese Stille – das war magisch schön!"

Erreicht man dann nach rund 640 Kilometern sein Ziel, ist der charakteristische, spitze Vierungsturm des Nidarosdoms schon gut eine Stunde zuvor durch die Gärten im hügeligen Randbezirk Trondheims zu sehen. Die nördlichste Kathedrale der Welt wurde ab 1070 über dem Grab des Heiligen Olav erbaut und seither immer wieder umgestaltet. Ausgesprochen neu und modern ist die kleine katholische Schwesterkirche in direkter Nachbarschaft: Die internationale Gemeinde Trondheims wächst seit Jahren beständig; seit 2016 finden die Gottesdienstbesucher endlich Platz in der neuen Kathedrale Sankt Olav.

Nur einige Schritte weiter verschlägt es den Wandersleuten dann noch ein letztes Mal die Sprache: Der Innenraum des Nidarosdoms ist seit Herbst 2020 mit einem neuen, spektakulären Lichtkonzept in Szene gesetzt. Warmweißes Licht erhellt die Vorderseiten der Streben und Gewölbe, während aus den Galerien ein kühler Blauton der Architektur eine einzigartige Tiefe verleiht: ankommen, setzten, staunen. Der Weg hat sich gelohnt.

Von Harald Oppitz (KNA)