Institution hat sich in ihrer 30-jährigen Geschichte deutlich gewandelt

Wie die Päpstliche Akademie für das Leben für Furore sorgt

Veröffentlicht am 01.05.2023 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ Die Päpstliche Akademie für das Leben gerät regelmäßig in die Schlagzeilen. Zuletzt sorgte Präsident Vincenzo Paglia mit einem Statement zur Sterbehilfe für Aufsehen. Wie kommt das? Das hat auch mit der Geschichte der Institution zu tun.

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"Ich persönlich würde keinen assistierten Suizid durchführen", sagte Vincenzo Paglia. "Aber ich verstehe, dass ein juristischer Kompromiss unter den konkreten Umständen, in denen wir uns befinden, am besten für das Gemeinwohl sein könnte." Mit diesem Satz hat der Erzbischof und Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben bei einer Veranstaltung vor vorvergangene Woche für Aufsehen gesorgt – nicht zum ersten Mal. Bei konservativen Katholiken hat die Päpstliche Akademie für das Leben (Pontificia Academia pro Vita, kurz: PAV) schon lange keinen guten Ruf mehr, gilt sie ihnen doch als zu liberal. Das hat auch mit der wechselvollen Geschichte der Institution zu tun.

Diese Geschichte beginnt 1994 mit dem Motu proprio "Vitae mysterium" des damals amtierenden Papstes Johannes Paul II. (1978-2005). Der hatte recht genaue Vorstellungen davon, was die Akademie machen sollte: "Sie hat die besondere Aufgabe, die bedeutendsten Probleme des Rechts und der Biomedizin, die die Förderung und den Schutz des Lebens betreffen, zu erforschen sowie Informationen und Bildungsangebote bereitzustellen, insbesondere zu deren direkter Beziehung zur christlichen Moral und den Weisungen des kirchlichen Lehramtes." Es gab also eine von Anfang an festgesetzte Tendenz, unter der diese Akademie arbeiten sollte. Akademiemitglied und Bioethiker Roberto Dell'Oro beschrieb die PAV vergangenes Jahr gegenüber dem US-Pressedienst "CNA" unter Johannes Paul II. als "einen Raum, in dem man sich in der Pro-Life-Bewegung auf eine Weise engagieren kann, die a priori durch die Grenzen der katholischen Lehre stark definiert ist". Es ging also um einen Aktionsraum für Abtreibungsgegner, dementsprechend waren etwa der Schwangerschaftsabbruch oder die Sterbehilfe zu Anfang die bestimmenden Themen. Dazu gehörte auch, dass Mitglieder einen besonderen Treueeid ablegen mussten. Den schrieb der erste Präsident, der französische Kindermediziner Jérôme Lejeune, bevor er kurz nach Gründung der Akademie an Krebs starb. Demnach mussten die Mitglieder unterschreiben, dass "jeder Mensch für uns eine Person ist" und dass er "vom Moment der Bildung des Embryos bis zum Tod ein und dasselbe menschliche Wesen ist, das heranwächst und stirbt". Zudem sollten sie sich an das kirchliche Lehramt halten.

Sprengkraft bioethischer Themen

Doch schon im Pontifikat von Johannes Pauls II. Nachfolger Benedikt XVI. zeigte sich, wie groß die Sprengkraft bioethischer Themen sein kann. Vatikanbeobachter John L. Allen schrieb 2012, dass die Akademie im Gegensatz zu anderen vatikanischen Institutionen dadurch auffalle, dass hier "interne Spannungen die Angewohnheit haben, in aller Öffentlichkeit auszubrechen". Immer wieder ging es bei diesen Spannungen darum, wie viel "pro-life" denn "pro-life" genug ist. Es herrschten also Richtungsstreitigkeiten darüber, wie offen sich die Akademie geben oder wie eng sie sich an das Lehramt binden sollte.

Bild: ©KNA

Papst Johannes Paul II. gründete die Päpstliche Akademie für das Leben.

Papst Franziskus setzte die Akademie dann im Rahmen der Kurienreform 2016 neu auf und gab ihr neue Statuten. Ab jetzt ging es nicht mehr nur um "die Förderung und den Schutz des menschlichen Lebens", sondern auch um soziale Aspekte des menschlichen Lebens, verschiedene Generationen sowie das Verhältnis von Mensch und Natur. Vincenzo Paglia wurde Präsident und die Besetzung neu geregelt. Der Treueeid wurde abgeschafft, die Mitglieder sollten diverser werden. Zahlreiche neue Mitglieder wurden bestimmt. Diese dürfen, das halten die Statuten fest, jeder Religion angehören. Statt einer wie bis dahin praktizierten lebenslangen Mitgliedschaft ist diese nun auf fünf Jahre begrenzt, kann aber verlängert werden.

Aus einem Hort der Abtreibungsgegner wurde dadurch ein deutlich vielfältigeres Forum, dessen Themengebiet sich dazu noch deutlich verbreitert hat. Es wurde also ein neuer Schwerpunkt gesetzt, der sich auch in zwei anderen Entscheidungen im Umfeld der Reform ausdrückte: Der Päpstliche Rat für die Familie und das Päpstliche Familieninstitut, die beide eng mit der Akademie verbunden und dezidiert konservativ geprägt waren, wurden aufgelöst. Stattdessen wurde das Dikasterium für Laien, Familie und Leben sowie das Päpstliche Theologische Institut Johannes Paul II. für Ehe- und Familienwissenschaften gegründet – all das war Teil der Kurienreform von Papst Franziskus.

Kontroversen um Personal und Inhalte

Seitdem ist es immer wieder zu Kontroversen um die Akademie gekommen. Dazu gehörte auch die Frage, welche Mitglieder berufen wurden. Einschläge Initiativen störten sich im vergangenen Jahr etwa an der Personalie der Ökonomin Mariana Mazzucato. Sie ist nicht nur bekennende Atheistin, sondern befürwortet auch das Recht von Frauen auf Schwangerschaftsabbrüche. Damit bildet sie ein Gegengewicht zur von Johannes Paul II. gewünschten Prägung der Akademie. Ebenso Aufmerksamkeit erregten nicht-katholische Mitglieder. Neben dem Rabbiner Fernando Szlajen ist das unter anderem der muslimische Rechtsgelehrte Saad Al-Din Mosaad Helaly.

Doch auch die Inhalte sind umstritten: Seit der Neuauflage bemängeln Kritiker, dass sich die Akademie zu sehr sozialen Themen widme und dadurch ihren Kern, die Fragen um den Anfang und das Ende des Lebens, aus dem Blick verloren habe. Allerdings sorgen gerade Stellungnahmen zu diesen Komplexen für Wirbel. So gab sie im Sommer 2022 ein Buch mit Essays heraus, von denen manche die Kirchenlehre etwa zu Empfängnisverhütung (wie sie etwa Paul VI. in seiner Enzyklika "Humanae vitae" geäußert hatte) infrage stellten. In einem später gelöschten Tweet der Akademie wurde "Humanae vitae" als nicht unfehlbar und deshalb änderbar bezeichnet. Von konservativer Seite wurde der Akademie daraufhin Aktivismus gegen die Kirchenlehre vorgeworfen.

Vincenzo Paglia im Portrait
Bild: ©KNA/Paul Haring/CNS photo

Erzbischof Vincenzo Paglia ist Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben.

Im Herbst darauf geriet Präsident Paglia in die Schlagzeilen, als er in einer TV-Diskussion das in Italien gültige Abtreibungsrecht mit Fristenlösung und Beratungspflicht als eine "Säule" des italienischen Rechtssystems bezeichnet.

Folgen der Synodalität

Damals rückte die Akademie in einer Stellungnahme die Ausführungen Paglias zurecht, er habe Schwangerschaftsabbrüche keineswegs gutgeheißen. So war es auch bei der jüngsten Äußerung zur Sterbehilfe: Kurz nach dem Aufschrei bekräftigte die Akademie in einigen Zeilen, dass Paglia am "Nein" der Kirchenlehre zu assistiertem Suizid und Sterbehilfe festhalte. Die Unterstützung von Papst Franziskus scheint Paglia jedoch weiter zu haben. Der empfing ihn nach den Schlagzeilen im Oktober erst zur Privataudienz und sicherte ihm "volle Wertschätzung" zu.

Die Auseinandersetzungen um die Päpstliche Akademie für das Leben sind also nur ein weiterer neuralgischer Punkt, an dem sich zeigt, wie polarisiert die Kirche bei manchen Themen ist. Papst Franziskus lässt hier, wie an anderen Stellen auch, Synodalität walten: Meinungen sollen frei geäußert und gehört werden. Wie in anderen Zusammenhängen gibt es bei der Akademie dazu ein "aber": Wenn offizielle Empfehlungen an Papst und Kurie von der Akademie formuliert werden, durchlaufen sie erst das Glaubensdikasterium. Die Kritik konservativer Initiativen lässt vermuten, dass diese bedingte Diskursfreiheit manchen schon zu viel ist. Doch die Zeiten von Johannes Paul II. sind lange vorbei.

Von Christoph Paul Hartmann