Auch bei Vollnarkose bleibt Petri Stuhl zunächst besetzt
Ungewöhnlich detailliert und offen teilte das vatikanische Presseamt am Mittwochmorgen mit, was Franziskus am selben Tag in der römischen Gemelli-Klinik medizinisch erwartete. Die schmerzhaften Darmbeschwerden des Papstes wurden ebenso klar benannt wie der bevorstehende Eingriff. Doch es war ein Wort in der Pressemitteilung, das Vatikan-Mitarbeiter und Journalisten elektrisierte: "Anestesia generale", zu deutsch: Vollnarkose.
Der Papst selbst hatte vor einiger Zeit erwähnt, dass er Narkose scheue, wegen schlechter Erfahrungen bei einem früheren Eingriff. Da sie nun als unvermeidlich mitgeteilt wurde, stand sofort die Frage im Raum: Wer regiert eigentlich die Kirche, wenn der Papst vorübergehend oder gar für längere Zeit nicht bei Bewusstsein ist?
Was sagt das Kirchenrecht zur Papst-Vertretung?
Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, mitunter als "Nummer zwei" im Vatikan bezeichnet, konnte die von Journalisten aufgeworfenen Fragen am Mittwoch höchstpersönlich beantworten. Es habe keine befristete Machtübergabe gegeben, versicherte er – und fügte hinzu, er gehe davon aus, dass der Papst nach dem Eingriff auch vom Krankenbett aus die Amtsgeschäfte weiter führen werde. Akten zu dringenden Angelegenheiten werde man ihm nötigenfalls in die Klinik bringen.
Damit hat Parolin die praktische Dimension dessen beschrieben, was aus dem Kirchenrecht folgt. Dort ist von einem Stellvertreter des Papstes im Verhinderungsfall keine Rede. Und auch der Kirchenrechts-Kanon 332, der den Amtsverzicht des Papstes regelt, enthält für den Fall einer dauerhaften Bewusstlosigkeit nichts. Dort heißt es lediglich: "Falls der Papst auf sein Amt verzichten sollte, ist zur Gültigkeit verlangt, dass der Verzicht frei geschieht und hinreichend kundgemacht, nicht jedoch, dass er von irgendwem angenommen wird." Was geschieht, wenn ein Papst ins Koma fällt und seinen Rücktritt nicht mehr selbst kundtun kann, regelt das Kirchenrecht nicht.
Allerdings hat Papst Franziskus selbst erklärt, dass er, ebenso wie seine Vorgänger, schon im ersten Jahr seines Pontifikats beim damaligen Kardinalstaatssekretär eine "bedingte Rücktrittserklärung" hinterlegt hat. Darin ist geregelt, dass der römische Bischofsstuhl auch dann als leer gilt, wenn der Papst durch Krankheit oder andere Umstände wie Entführung oder Gefangenschaft auf Dauer nicht mehr in der Lage ist, sein Amt auszuüben.
Kirchenrechtler haben auf Lücken im Gesetzbuch hingewiesen
Wer aber diese Feststellung trifft, ist im Kirchenrecht nicht klar geregelt. Ob es in der päpstlichen Erklärung steht, ist nicht bekannt. Allerdings gibt die Formulierung des Kanons 349 über Wesen und Aufgaben des Kardinalskollegiums einen Anhaltspunkt dafür, dass es im Fall eines Falles Aufgabe genau dieses Kollegiums sein dürfte, das Wirksamwerden des bedingten Amtsverzichts und damit das Eintreten einer faktischen Sedisvakanz festzustellen. Dort heißt es: "Die Kardinäle der heiligen römischen Kirche bilden ein besonderes Kollegium mit der Zuständigkeit, nach Maßgabe von besonderem Recht für die Papstwahl zu sorgen." Da es die Kardinäle sind, die einen neuen Papst wählen müssen, können folgerichtig nur sie – am besten einmütig – das Eintreten einer Sedisvakanz festzustellen, die nicht durch Tod oder durch unmittelbare Rücktrittserklärung zustande gekommen ist.
Dabei wird, wie auch bei der Feststellung des Papsttodes, dem "Camerlengo" und dem Dekan des Kardinalskollegiums eine Schlüsselfunktion zukommen. So heißt es in der geltenden Wahlordnung für ein künftiges Konklave: "Die Aufgabe des Dekans des Kardinalskollegiums ist es, den Tod des Papstes, sobald er hiervon durch den Camerlengo oder den Präfekten des Päpstlichen Hauses unterrichtet worden ist, allen Kardinälen mitzuteilen sowie diese zu den Kongregationen des Kollegiums zusammenzurufen." Dies könnte analog auch für den Fall einer dauerhaften Bewusstlosigkeit angewandt werden; aber wirklich klar ist es nicht. Kirchenrechtler haben in den vergangenen Jahren immer wieder auf diese Lücken im Gesetzbuch der Kirche hingewiesen – und zuletzt auch Papst Franziskus (vergeblich) aufgefordert, sie zu schließen.