Kardinal Sako: "Wir werden bleiben – und wir haben jedes Recht dazu"
Im Irak ist ein heftiger Streit zwischen Regierung und chaldäischer Kirche entbrannt. Der Grund: Präsident Abdul Latif Raschid hob ein Dekret seines Vorgängers auf, das Patriarch Louis Raphael Sako weitreichende Befugnisse zur Verwaltung chaldäischer Stiftungsangelegenheiten einräumte. Der Kardinal spricht im Interview von einem "unglaublichen Präzedenzfall".
Frage: Herr Kardinal, erklären Sie uns bitte die aktuelle Lage im Irak.
Sako: Vor einigen Tagen hat der irakische Präsident ein Dekret aufgehoben, das meine Autorität als Kirchenoberhaupt in Eigentumsfragen anerkannte. Meine spirituelle Autorität als Kirchenoberhaupt oder meine Weihe kann er nicht aufheben. Das Dekret wurde von Raschids Vorgänger, Präsident Jalal Talabani, erlassen. Aber auch aus osmanischer Zeit gab es entsprechende Anerkennungsdekrete, die Fermane genannt werden. Wenn der Präsident Zweifel an der Rechtsgrundlage des Dekrets hatte, fragen wir uns, warum er nicht nach seiner Wahl tätig wurde. Anfangs war er sehr freundlich. Ich habe ihn zweimal getroffen. Warum hat er die Angelegenheit nicht mit uns erörtert?
Frage: Was steckt Ihrer Einschätzung nach dahinter?
Sako: Es zeigt, dass er unter großem Einfluss der Babylon-Milizen steht, die sich christlich nennen, aber in Wahrheit eine schiitische Gruppe mit wenigen Christen sind. Möglicherweise erhält Raschid von den Milizen falsche Informationen und war sich nicht über die Konsequenzen seines Handelns bewusst. Es handelt sich jedenfalls um einen unglaublichen Präzedenzfall, für den es keine Grundlage gibt. Aber ich erfahre auch eine große Solidarität. Viele irakische Anführer stehen auf meiner Seite und üben Druck auf den Präsidenten aus, ein neues Dekret zu erlassen.
Frage: Welche praktischen Konsequenzen hat die Aufhebung?
Sako: Er kann mich daran hindern, über unser Eigentum und unsere Finanzen zu verfügen, mit dramatischen Folgen für unsere Kirche. Gleichzeitig haben wir auch Besitz in der Autonomen Region Kurdistan, in der der irakische Präsident keine Autorität hat. Raschid muss wissen, dass er uns nicht angreifen kann, dass wir sehr stark sind. Als Kirche sind wir vom irakischen Staat anerkannt und sind die zweitgrößte Religionsgruppe nach den Muslimen. Die chaldäische Kirche ist immer für alle Iraker eingestanden, hat einen Rechtsstaat mit Bürgerrechten für alle gefordert.
Frage: Sie haben angekündigt, sich vorerst in die Kurdenregion zurückzuziehen. Haben Sie Angst um Ihren Patriarchatssitz in Bagdad?
Sako: Ich werde mich nach Erbil begeben, bis das Problem gelöst ist. Natürlich habe ich Angst um unseren Besitz in Bagdad, wenn ich nicht dort bin. Die Milizgruppe, von der wir reden, hat Häuser von Christen in der Ninive-Ebene und an anderen Orten besetzt. Unsere Christen haben Angst vor grundlosen Übergriffen, sie sind in Panik.
Frage: Wie war die Lage der irakischen Christen, bevor sich dieser Konflikt zuspitzte?
Sako: Der Irak muss seine Kultur und seine Gesetze ändern. Als Christen werden wir als Zweite-Klasse-Bürger betrachtet. Aber wir sind Iraker. Wir waren im Irak, bevor die Muslime da waren. Wir waren die Mehrheit und haben das Land und seine Kultur geprägt. Sie müssen uns dankbar sein, anstatt uns zu marginalisieren und zum Auswandern zu drängen.
Frage: Hält die Abwanderung weiterhin an, oder gibt es Christen, die zurück in den Irak kommen?
Sako: Nur die Armen und die Mittelklasse bleiben im Irak, die es sich nicht leisten können, in der Türkei oder im Libanon zu leben. Vor dem Regimewechsel waren allein wir Christen etwa 1,5 Millionen. Heute sind wir 500.000.
Frage: Sie haben viele Schwierigkeiten erwähnt. Welche Bilanz ihrer zehnjährigen Amtszeit ziehen Sie?
Sako: Es ist ein ständiger Kampf für die Rechte der Christen, aller Christen, nicht nur der Chaldäer. 2013, als ich Patriarch wurde, hatten wir Al-Kaida. 2014 kam der Islamische Staat und führte zum Exodus der Christen. 120.000 Menschen verließen die Ninive-Ebene und Mossul. Ich bin in die Kurdenregion gegangen, um sie dort willkommen zu heißen und ihnen zu helfen. Ich habe nach Wohnungen gesucht, nach Kliniken, Schulen. Am Anfang waren wir die einzigen, die diese Arbeit leisteten. Als Mossul und Ninive befreit wurden, bin ich mit einigen Bischöfen und Priestern dort hingegangen, um Häuser zu reparieren und die Menschen zur Rückkehr zu bewegen. Zum Glück sind rund 60 Prozent der Vertriebenen zurückgekehrt. Aber der Irak ist kein Land, in dem man in Würde leben kann. Menschenrechte gelten nichts. Es herrscht Korruption.
„Es ist ein ständiger Kampf für die Rechte der Christen, aller Christen, nicht nur der Chaldäer.“
Frage: Was erwarten Sie für die Zukunft?
Sako: Es ist ein Konflikt um Sein oder Nichtsein für uns. Ich bin überzeugt, dass wir diesen Konflikt bewältigen und die Christen viel stärker aus ihm hervorgehen. Wir werden im Irak bleiben - und wir haben jedes Recht dazu. Unser Kopf wird sich erheben. Wir sind Bürger des Iraks und müssen unsere Rechte und Würde einfordern.
Frage: Sie haben unlängst Ihren 75. Geburtstag gefeiert.
Sako: Das stimmt nicht. Ich wurde 1949 geboren. Aber ich hatte einen älteren Bruder selben Namens, der gestorben ist. Meine Eltern haben mir seine Geburtsurkunde gegeben. Ich werde also erst nächstes Jahr am 4. Juli 75 Jahre alt.
Sako: Rechtlich gibt es keine Verpflichtung für einen orientalischen Patriarchen, dem Papst seinen Rücktritt anzubieten. Aber ich werde auch irgendwann Ruhe benötigen. Und ich möchte Jüngeren eine Chance geben. Ob ich dem Papst nächstes Jahr meinen Rücktritt anbiete oder nicht, wird sehr von der Situation im Irak abhängen. Schon jetzt bitten mich viele Menschen und Bischöfe, im Amt zu bleiben.